8. Mai

Erneuert euch in eurem Geist und Sinn. Epheser 4, 23

Die genaue Übersetzung des heutigen Lehrtexts würde
vermutlich
so lauten: «Lasst euch erneuern durch den Geist,
der in eurer Vernunft wirksam ist.» Es geht also nicht um
aktives Erneuern, sondern darum, die Erneuerung zuzulassen.
Sie erfolgt durch den «Geist», der also nicht der
menschliche, sondern der göttliche Geist ist. Weiter meint
die «Vernunft» den Intellekt, doch nicht nur, sie meint auch
umfassender eine Haltung, die sich im Handeln äussert.
Vielleicht beschreibt das neudeutsche Wort «Mindset» die
Bedeutung am besten. Und noch etwas: Die Erneuerung
erfolgt nicht plötzlich, in einem Augenblick. Vielmehr, wie
es in einem Kommentar schön heisst, werden die Christenmenschen
«immer wieder hineinversetzt in das geheimnisvolle,
wunderbare Kraftfeld dieser Erneuerung, die ihnen
widerfährt». Es erinnert mich an das Lied, das mein Vater
selig gern mit uns sang, als wir Kinder waren: «All Morgen
ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und grosse Treu»
(RG 557). Indessen ist das «Kraftfeld», welches die «Geistkraft
» (das hebräische Wort «Ruach», das auch Wind und
Atem bedeutet, ist weiblich) generiert, irgendwie noch
anders als jenes des «Herrn»: Es verbindet mich mit dem
Rauschen des Winds, mit Inspiration und Intuition und mit
meinem Atem: Zu ihm zurückzukehren, «all Morgen» und
immer mal wieder mitten im Alltag, hat tatsächlich erneuernde,
erfrischende, erquickende Kraft.

Von: Andreas Fischer

7. Mai

Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. Unser Gott
kommt und schweiget nicht.
Psalm 50,2–3

Lassen Sie uns mal den ganzen historisch-
kritischen Teil
überspringen und uns mit der Frage beschäftigen, wie unser
Gott kommt und nicht schweigt.
Es klingelt an der Tür, wir öffnen und Gott steht vor der
Tür? Wohl eher nicht.
Es klingelt, jemand steht vor der Tür und will uns etwas
Wichtiges erzählen will. Schon eher!
Was immer es auch ist, was da nun erzählt oder berichtet
wird, es berührt uns und motiviert uns zu einem Handeln
oder einem Unterlassen.
In den letzten Wochen sind in Deutschland viele hunderttausend
Menschen auf die Strasse gegangen, um die demokratische
und rechtsstaatliche Verfassung dieses Landes zu
stärken. Sie haben sich dabei oft auch gegen Tendenzen von
Menschenfeindlichkeit und rechtem Extremismus ausgesprochen.
Gott hat keine anderen Arme, Beine und Münder als die
unseren. Unser Gott schweigt nicht, sondern redet durch
und mit uns. Der schöne Glanz Gottes nimmt dort Gestalt
an, wo wir als Glaubende, mit allem, was uns ausmacht, für
eine gerechte und menschenwürdige Welt eintreten und
sie gestalten.
Dort, wo wir schweigen bei der Herabsetzung anderer oder
bei Hass und Gewalt, dort schweigt auch Gott und kann nicht
gehört werden – das ist schon eine grosse Verantwortung.

Von: Rolf Bielefeld

6. Mai

Der Herr ist treu; der wird euch stärken und
bewahren vor dem Bösen.
2. Thessalonicher 3,3

Dieser von Paulus zitierte Zuspruch ist in seinem zweiten Teil
wahrscheinlich von vielen in den letzten Monaten mindestens
gewünscht worden. Das «Bewahren vor Bösem» ist so
alt wie die Menschheit. In vielen Epochen ist daraus geradezu
ein Geschäftsmodell gemacht worden, bei dem vermeintlicher
Schutz und vermeintliche Sicherheit verkauft werden.
Ich bin sicher, Paulus ging es nicht um Schutz und Sicherheit,
sondern ihm ging es um das Erhalten der zentralen
Lehre Jesu. Er wollte sicherstellen, dass die junge Gemeinde
mit Hoffnung in die Zukunft schaut und sich den Dingen
verpflichtet weiss, die dem Leben und der gemeinsamen
Entwicklung dienen. Genau auf diesem Weg wird Gottes
Treue wirksam.
Nun denn – wo stehen wir denn heute? Gottes Treue ist
unverändert, haben wir denn den Weg hin zum Leben, weg
von seiner Einschränkung und/oder Vernichtung genommen?
Die schlichte wie wahre Antwort ist wohl: «eher
nicht!»
Unser Heimatplanet ist in einem so schlechten Zustand,
wie er wohl noch nie war. Umweltzerstörung, Hunger, Krieg
und Tod sind allgegenwärtig.
Und doch sind überall Menschen unterwegs, sich gegen all
dieses «Böse» zu stemmen. Viele Glaubende sind darunter
und bilden so ein sehr lebendiges Zeugnis dafür, das Gott
treu, bei ihnen ist, sie stärkt und bewahrt.

Von: Rolf Bielefeld

5. Mai

Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Psalm 42,2

In biblischer Zeit lebten in Israel noch Hirsche. Der Psalm
stellt sich eine Hirschkuh vor, die Wasser sucht. Der Durst
treibt sie zu einem Bach. Aber das Bachbett ist nicht immer
mit Wasser gefüllt, zeitweise bleibt es ganz ausgetrocknet.
Beim Hirsch wird das Durstgefühl immer stärker. Er schreit
nach Wasser, wie Martin Luther übersetzte. Der Durst ist
eine Erfahrung, die wir Menschen mit den Tieren teilen. Die
trockene Kehle muss trinken können, sonst hält sie es nicht
lange aus. Was man gewöhnlich mit «Seele» wiedergibt,
heisst wörtlich «Kehle». Hier ist der Ort, wo der Mensch
seine Bedürftigkeit erlebt. Er ist darauf angewiesen, dass er
essen und trinken kann. Die Kehle ist aber auch der Ort,
wo wir unsere Lebendigkeit zum Ausdruck bringen, mit der
Stimme und der Sprache. Wir klagen und weinen, wir lachen
und danken. Der Psalm spricht die Erfahrung an, dass es
im Glauben manchmal eine Durststrecke gibt. Zu gewissen
Zeiten ist Gott für den Betenden weit weg. Aber der Psalm
zeigt einen Weg, mit der Durststrecke umzugehen. Er behält
Zeiten in Erinnerung, in denen sich die Seele darüber freute,
dass Gott nahe war. Der Mensch kann ein Selbstgespräch
mit der Seele führen und ihr sagen: «Warte auf Gott, denn
ich werde ihm noch einmal danken für seine Hilfe.» (Vers 6)

Von: Andreas Egli

4. Mai

Ihr sollt genug zu essen haben und den Namen
des HERRN, eures Gottes, preisen.
Joel 2,26

Das gleiche hebräische Wort hat zwei ganz verschiedene
Bedeutungen. In der Losung ist «essen» können etwas
Wohltuendes und Lebensnotwendiges. Aber der Anfang des
Joelbuchs beschreibt mit «fressen» zwei schwere Naturkatastrophen.
Riesige Schwärme von Wanderheuschrecken
fallen wie ein feindliches Heer über das Land und verzehren
alles, was in der Pflanzenwelt wächst. Die Flammen von
Wald- und Buschbränden entfalten eine ähnlich zerstörerische
Wirkung. Die Lebensgrundlagen, von denen sich Menschen
und Tiere ernähren, sind auf Jahre hinaus gefährdet.
Das Prophetenbuch gibt Hinweise, wie die Bewältigung einer
solchen Katastrophe aussehen kann. In einem langen Klagegebet
wird das Erschrecken über den Ausnahmezustand in
Worte gefasst. Die Wende beginnt mit dem Aufruf, dass sich
die Menschen besinnen und Gott neu zuwenden. Von Gott
kommt schliesslich die Zusage, im Land solle wieder ein
gutes Leben möglich sein. Im Losungsvers ist die Dankbarkeit
über den neuen Anfang zu spüren. Die Katastrophe ist
vorbei. Weil Gott seinen Segen gibt, können die Menschen
so viel essen, dass sie satt werden. – Wo liegen die Ursachen
für heutige Hungerkatastrophen? Krieg, Unrecht, Zusammenbruch
von Ökosystemen … Was heisst Besinnung? Was
ist nötig, damit der Segen zu allen Menschen kommt?

Von: Andreas Egli

3. Mai

Du sollst dem Tauben nicht fluchen und sollst
vor den Blinden kein Hindernis legen, denn du sollst
dich vor deinem Gott fürchten.
3. Mose 19,14

Levitikus Kapitel 19 ist gleichsam ein Kompendium wichtiger
Anweisungen für ein gelungenes Leben mit Gott und mit
den Menschen. Hinweise zum Gottesdienst und zu sozialem
Verhalten wechseln ab oder sind verschränkt. So wie hier,
wo Respekt und Achtung behinderter Menschen mit der
Beziehung zu Gott verbunden sind. Die im Kommentar der
gestrigen Losung beklagte Abwesenheit einer transzendenten
Verankerung ist hier noch deutlich vorhanden.
Menschen mit Behinderungen sind anders und bleiben es,
obschon alles getan wird, die Inklusion in die sogenannte
Normalität zu fördern. Assistiertes Leben, Hilfsmittel jeder
Art, Spezialschulen, Rampenvorschriften sollen eine in
jeder Hinsicht barrierefreie Gesellschaft schaffen. Das ist
gut so. Was nicht gut ist, ist die scheinbar gleichmachende
Inklusion in die Normalität. Das führt leicht zu Illusionen.
Indes: Es ist eine Tatsache, dass es behindertes Leben gibt,
und Menschen mit Behinderung und Menschen ohne sind
aufgerufen, intensive innere Arbeit zu leisten, mit diesem
Anderssein klarzukommen, zu lernen, sich nicht als Opfer
und benachteiligt zu fühlen, und zu lernen, Menschen mit
Behinderungen nicht als minder einzustufen. Jeder und jede
hat Berechtigung und macht wertvolle Lebenserfahrungen,
die auszutauschen von grossem Gewinn ist.

Von: Kathrin Asper

2. Mai

Der HERR spricht: Wenn doch mein Volk mir
gehorsam wäre!
Psalm 81,14

So vieles läuft schief in der heutigen Welt: Kriege, Klima,
Seuchen, Hunger, Dürren, Korruption im Grossen und im
Kleinen, Anonymität zwischen den Menschen, wenig soziale
Kontrolle, Gleichgültigkeit, Wegwerfgesellschaft, schwindende
Hilfsbereitschaft.
Wir haben wenig bis keine Verbindung zu einer Transzendenz,
in der wir einen Gott orten, der sich Sorgen um uns
macht und entsetzt ist, dass sein Volk seine Gesetze und
Anordnungen nicht einhält. Diese Beziehung nach oben geht
mehr und mehr verloren, und die Völker und Ethnien, die
sich bekriegen, die innenpolitische Schwierigkeiten, Querelen
und Feindschaften miteinander austragen, haben kaum
Bezug nach oben, sondern klagen sich selbst und andere an
und sind niemandem über sich hinaus mehr verantwortlich.
Es ist indes gut, sich an eine transzendente Orientierung zu
halten, diese Vorstellung im Innern noch lebendig zu fühlen.
Das schenkt uns einen Kompass ausserhalb unserer selbst
und ruft uns zu Verantwortung auf.
Wenn Rilke noch dichten konnte «auf Goldgrund und
gross» mit Bezug zur Malerei und damit die Verbindung
des Mittelalters zur Transzendenz meinte, so haben wir den
Weg zu einer Welt über uns weitgehend verloren. Und das
ist ein Verlust.
Was meinen Sie?

Von: Kathrin Asper

1. Mai

Ich bin bei dir, spricht der HERR, dass ich dir helfe.
Jeremia 30,11

Jemand hilft mir, ich helfe jemandem – wobei denn? In der
Not? Bei einer Aufgabe? Bei der Arbeit?
Das wäre das heutige Stichwort, das Thema für den Tag
der Arbeit. Es ist ja kein kirchlicher Feiertag, er ist weltlich,
gehört der Arbeiterbewegung. Ist er deshalb automatisch
nicht christlich, gar antichristlich? Freilich gibt es in der
Geschichte viele, zu viele Beispiele, die die Kirche auf der
Gegenseite sehen, sozialistisch und christlich als Gegensätze.
Immerhin aber hat die Arbeiterbewegung unter ihren mancherlei
Wurzeln auch eine christliche. Das beginnt schon im 19. Jahrhundert, noch vor Karl Marx, und zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurde ein «Religiöser Sozialismus» denkerisch und politisch entwickelt. Auch Karl Barth nahm hier
seinen theologischen Anfang, und die Reihe der Theologen
und Theologinnen, die diese Gedanken weiter ausbauten,
ist lang. Verwunderlich ist das nicht, vielmehr ist es begründet im
biblischen Menschenbild. Gott nimmt alle Menschen gleich
wichtig, er sagt allen gleichermassen seine Hilfe zu, er sagt sie
auch denen zu, die im Einsatz für eine gerechte Lebenswelt
und für Menschenwürde stehen.
Gott hilft helfen.

Von: Andreas Marti

    30. April

    Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind. Psalm 25,6

    Im Psalm 25 buchstabiert der Beter seinen Glauben durch. Der Text ist als alphabetisches Gedicht aufgebaut, zu jedem der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets wurde ein Vers verfasst. Der Psalm bildet damit die Summe aus Sinnsprüchen und Bekenntnissen vor einem weiten Horizont des Glaubens, der sich von der Bitte um Schutz in einer Situation der Verfolgung über das Gotteslob bis zum Eingeständnis des eigenen Ungenügens spannt.

    Im Vers, in dem die Güte und Barmherzigkeit Gottes erbeten wird, verdichtet sich die Glaubenshaltung, die den Psalm prägt. Gott gibt dem Menschen Orientierung, doch auf seinem Weg ist der Mensch immer wieder Anfeindungen ausgeliefert, er stolpert und stürzt, scheitert. Deshalb ist er auf die Gnade und den bedingungslosen Zuspruch Gottes angewiesen.

    Gott muss also nicht an seine Eigenschaften erinnert werden, vielmehr verbirgt sich hinter der Gedächtnisstütze eine Bitte. Und das Vertrauen, dass das Gebet erhört wird, folgt sogleich, denn die Barmherzigkeit und Güte Gottes ist «von Ewigkeit her gewesen». Davon berichten die Geschichten, die über Generationen hinweg erzählt werden. Und das zeigt sich wiederholt in der persönlichen Erfahrung.

    Von: Felix Reich

    29. April

    Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Ich will nicht. Danach aber reute es ihn, und er ging hin. Matthäus 21,2829

    Der erste Sohn im Gleichnis verweigert sich dem Willen des Vaters. Und dennoch tut er seinen Willen. Im Stillen. Denn statt zurück zum Vater zu gehen und seinen Ruf wiederherzustellen, tut er einfach seine Pflicht. Der zweite Sohn hingegen tut das Gegenteil. Er bejaht die Frage des Vaters, lässt seinem Versprechen aber keine Taten folgen und geht nicht in den Weinberg.

    Mit dem Gleichnis geht Jesus mit dem religiösen Establishment auf Konfrontationskurs. Entscheidend sei nicht, das fromme Bekenntnis abzulegen, sondern «den Weg der Gerechtigkeit» (Matthäus 21,32) zu gehen.

    Die Provokation Jesu erinnert daran, dass die Kirche nicht Kirche ist, wenn sie sich selbst genügt. Sie muss immer wieder den Schutz der eigenen Mauern verlassen und zu den Rändern der Gesellschaft vordringen, um Gemeinschaft und Frieden zu stiften. Mir kommen die diakonischen Werke in den Sinn, die in der Nachfolge Jesu für Menschen in allen Lebenslagen da sind. Einige haben sich von ihren religiösen Wurzeln gelöst, durch ihr Tun sind sie kirchlich geblieben.

    Von: Felix Reich