Schlagwort: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

15. September

Wenn du nun isst und satt wirst, so hüte dich, dass du nicht den HERRN vergisst. 5. Mose 6,11–12

Das ist wohl das Schlimmste, was passieren kann. Inmitten meines Wohlstands, satt und matt, verliere ich den Zugang zum Urgrund meines Lebens. Dann wäre meine Quelle trüb, vielleicht sogar zugeschüttet. Nicht nur vom Wohlstand, sondern auch von meinen Wohlstandssorgen. Kann ich den Wohlstand halten? Reicht das Geld, auch später, wenn ich pensioniert bin? Wie gehe ich mit meiner zerbrechlichen Gesundheit um? Habe ich da die richtigen Versicherungen abgeschlossen? Die Fragen quälen und verschlingen meine Aufmerksamkeit. Dabei wäre eines not: Gott nicht aus den Augen (aus dem Herzen) zu verlieren. Und mich nicht selbst von meiner Quelle abzuschneiden.

In der Kirche, wo ich zurzeit predige, steht über der Kanzel: Eins ist not. Nach jedem Gottesdienst fragt mich jemand, was diese Worte denn bedeuten. Ich fasse jeweils die biblische Geschichte von Marta und Maria zusammen. Es ist eine Kurzfassung. Jesus besucht die beiden Schwestern zuhause. Marta arbeitet viel, ist fleissig und besorgt. Maria hört zu. Und Jesus sagt zu Marta: «Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.» Maria ist ganz Ohr.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

29. Juli

Der HERR, unser Gott, neige unser Herz zu ihm,
dass wir wandeln in allen seinen Wegen.
1. Könige 8,58

Salomo betet bei der Einweihung des Tempels. Wohl dem
Volk, dessen Staatschef nicht nur sich selbst als Referenzgrösse
kennt. Salomo weiss, dass nicht alles in seiner Hand
liegt. Er kennt die Verantwortung vor Gott. Und er weiss,
dass er diese nur wahrnehmen kann, wenn Gott irgendwie
mithilft. In einem langen Gebet folgt er der Spur, die ihm
die Tora legt. Und er vertraut darauf, dass Gott sein (Salomos)
Herz zu sich neigt. Das Herz ist das Organ, das für die
Menschen der Bibel die Verbindung zu Gott pflegt. Salomo
möchte Gott näherkommen. In eine engere Verbindung mit
ihm treten, damit sein Schritt sicherer wird.


Gebete sind immer ein Eingeständnis unserer Begrenztheit.
Wir spüren, dass wir nicht alles unter Kontrolle und im Griff
haben, und legen das, was nicht in unserer Macht ist, in Gottes
Hand. Wir greifen über den Horizont der eigenen Existenz
hinaus, richten uns aus auf ein Gegenüber, das grösser ist
als wir selbst. Ich vermisse diesen uralten Reflex in unserer
selbstverliebten Gegenwart. Sich einen Moment Zeit nehmen,
das Gespräch mit dem Innersten suchen, das, was da
inwendig auftaucht, hervorholen und es Gott anvertrauen:
Das tut gut, und mancher Schritt, der zunächst undenkbar
schien, wird möglich.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

15. Mai

HERR, sei unser Arm alle Morgen, ja, unser Heil zur Zeit
der Trübsal!
Jesaja 33,2

«All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad’ und
grosse Treu. Sie hat kein End, den langen Tag, drauf jeder sich
verlassen mag.» Dieses wunderbare Lied aus dem Gesangbuch
gehört zu meinen Lieblingsliedern. Jeden Morgen, egal,
wie der gestrige Tag war, egal, wie die vergangene Nacht:
Gottes Gnade, sein Arm, an dem ich mich halten kann, ist da.
Frisch und frei kann ich aufstehen und einen neuen Anfang
machen. Ein neuer Tag liegt vor mir, an dem ich mich für
Gottes Gerechtigkeit einsetzen kann. Eine neue Chance zu
lernen, dass in Gott mein Heil liegt.


Ein Lied aus der Reformationszeit. Einer schwierigen, turbulenten
Zeit. Und auch da hofften Menschen jeden Morgen
und überliessen den kommenden Tag nicht der Verzweiflung.
Jesaja betet aus der Not zu Gott. Jerusalem ist belagert und
er schreit zum Himmel: «Herr, sei uns gnädig. Sei unser Beistand
jeden Morgen und unsere Hilfe in der Zeit der Not.»
Diesen Worten habe ich in unseren Tagen nichts beizufügen.
Ich wiederhole sie einfach laut vor mich hin. Einmal, zweimal,
dreimal.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

14. Mai

Da sprach Jesus zu den Zwölfen:
Wollt ihr auch weggehen?
Johannes 6,67

Die Situation spitzt sich zu. Wer Jesus nachfolgen will, muss
sich entscheiden. Jesus hat im Johannesevangelium eine nicht
ganz einfache Rede gehalten. An deren Ende wenden sich
viele von ihm ab. «Das ist eine harte Rede, wer kann sie
hören?», fragen sogar die Jünger. Sie stehen vor der Entscheidung.
Weiter mit Jesus unterwegs sein? Oder zurück ins alte
Leben? Für Petrus, den Musterschüler, ist klar: «Herr, wohin
sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Und
wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.»


Ich bedaure, dass uns die Evangelisten an keiner Stelle darüber
berichten, dass Jesus auch gelacht habe. Es würde ihm
so gut anstehen. Gerade auch an dieser Stelle. Mir scheint,
wer ihm nachfolgen will, darf annehmen, was er schenkt:
«Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt.
Bleibt in meiner Liebe! Das habe ich euch gesagt, damit
meine Freude in euch sei!» (Johannes 15,11) Wir haben sein
Wort und darin seine Gegenwart, uns geschenkt, damit seine
Freude in uns bleibe.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

29. März

Als der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!
Matthäus 27,54

Der Tod Jesu war, so wie es Matthäus erzählt, ein Spektakel. Seit drei Stunden lag eine tiefe Finsternis über allem. Oben am Kreuz betet Jesus Psalm 22: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Ob er noch bis zum nächsten Psalm gekommen ist? «Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.» Nach seinem letzten Schrei zerreisst der Vorhang im Tempel. Der Weg zu Gott ist barrierefrei. Die Erde bebt, Felsen zerreissen und die Gräber tun sich auf. Die entschlafenen Heiligen nehme neue Wege unter die Füsse. Dass da auch der Hauptmann neue Gedanken denkt, leuchtet mir ein.

Am Abgrund, unter dem Kreuz, bekennt der Hauptmann: «Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.» Wie kann ich heute das, was wir den ersten Karfreitag nennen, mit meinem Leben verbinden? Wie kann ich es in meinem Leben bezeugen? «Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich einst erkalte, in dir mein Ende sei», so drückt es Paul Gerhardt im Lied «O Haupt voll Blut und Wunden» aus. So verbindet er jenen Tag, dessen wir heute gedenken, mit seinem Leben.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

15. März

Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Galater 3,26

Du bist ein Kind Gottes! Ich auch. Das steht bisher nicht im Stammbuch meiner Familie. Durch meinen Glauben, weil ich mich Gott anvertraue, bin ich hineingestellt in neue Zusammenhänge. Bin Teil einer neuen Familie. O.k. Nicht alle Familienmitglieder sind mir gleich sympathisch. Aber ich ahne, es lohnt sich, sie besser kennen zu lernen. Und Jesus ist mein grosser Bruder. Er kennt Gott schon länger als ich. Von ihm erfahre ich, wie Gott ist. Ihm glaube ich seinen Gott. Ihm hinterher sammle ich meine eigenen Erfahrungen, die ich gerne mit meiner neuen Schwester Chatrina teile.

Schwester, Bruder… mir ist das etwas zu viel Familie, lieber Lars. Das ist mir zu eng. Ist das Wesentliche der jüdisch-christlichen Tradition nicht, dass sie die grosse Idee der Menschlichkeit entdeckt hat? Hat Jesus auf dem Berg nicht sie verkündet? Und hat Maria mit dem Magnificat nicht sie besungen? «Mächtige hat Gott vom Thron gestürzt. Niedrige hat er erhöht. Hungrige hat er mit Gutem gesättigt.» Umfasst die Idee der Menschlichkeit nicht mehr als eine exklusive Familie? Gehören da nicht alle dazu? Auch solche, die nicht glauben?

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

14. März

Jesus sprach zur kanaanäischen Frau: Frau, dein Glaube ist gross. Dir geschehe, wie du willst! Matthäus 15,28

Wie gross muss mein Glaube sein, bis das geschieht, was ich will? Die Frau aus Kanaan beeindruckt mich. Sie lässt nicht locker, fordert Jesus heraus. Und sie ist schon mit wenig zufrieden. Ein kleiner Anteil seiner Macht, so gross wie die Brotkrümel, die vom Tisch fallen, würde ihr schon genügen, sagt sie. Dann, so gross ist ihr Glaube, wird ihre Tochter gesund. Da ist auch Jesus beeindruckt. Und er erfüllt ihren Wunsch. Dabei bittet er selbst später in Gethsemane «Nicht was ich will, sondern was du willst, geschehe.» Mein Wille versus Gottes Willen. Wie geht das zusammen?

Geht es um die Frage: Mein Wille versus Gottes Willen? Oder eher um die Frage: Mein Wille versus meinen Glauben? Jesus betet: «Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.» Mich beeindrucken die vier kleinen Worte: «Wenn es möglich ist, …» Glauben, verstanden als Vertrauen, als Verbindung mit dem Grund, der mich hält, kann ich nur jetzt. Ich kann weder gestern noch morgen glauben. Ebenso kann ich nicht auf Vorrat atmen. Atmen kann ich nur jetzt. Glauben ebenso. Die Frau aus Kanaan entscheidet sich, jetzt zu glauben. Jesus in Gethsemane ebenso. Das ist für mich gross, im Sinne von beeindruckend.   

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

29. Januar

Alle Völker auf Erden sollen erkennen, dass der HERR Gott ist und sonst keiner mehr! 1. Könige 8,60

Auch die Menschen im Appenzeller:innenland haben von Gott gehört. Das ist ganz schön weit weg von Israel, dem Mutterland unseres Glaubens. Aber haben wir schon erkannt, dass JHWH, der Gott, der sich Mose am brennenden Dornbusch gezeigt hat, tatsächlich auch für uns da ist? «Ich bin für dich da», so können wir diese vier hebräischen Buchstaben wohl übersetzen, die in unseren Bibeln meist mit HERR wiedergegeben sind.
Na ja. Wir verhalten uns jedenfalls selten so. Meistens rennen wir anderem hinterher. Werden wir eines Tages den Unterschied zwischen Gott und Nicht-Gott erkennen?


«Gott und Nicht-Gott», das verstehe ich nicht. Wenn ich von Gott spreche, brauche ich Bilder. Ich blättere weiter im Buch der Könige: «Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs.» (1. Könige 19, 12b). Im Flüstern entdeckt Elija Gott. Wo es laut ist, ist JHWH nicht zu finden. Elija geht Gott entgegen. Beide kommen aufeinander zu. Die Gottesbeziehung ist eine gegenseitige. Steckt darin das Geheimnis der Einzigkeit? «Höre, Israel: JHWH, unser Gott, ist einer. Und du sollst JHWH, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.» (5. Mose 6,4)

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

15. Januar

Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Römer 8,15

Die Kinder Gottes sind frei. Wir sind nicht länger Knechte oder Mägde irgendwelcher Menschen oder Mächte. Als Kinder Gottes nehmen wir mutig unseren Weg unter die Füsse. Zunächst so wie ein kleines Kind, das laufen lernt. Vorsichtig setzt es einen Fuss vor den anderen. Zaghaft, behutsam. Gelegentlich hält es sich fest. Wartet. Guckt, in welche Richtung es weitergehen kann. Und dann wieder los. Immer mit Blick auf das Gegenüber wackelt es den offenen Armen entgegen. Zu den Händen, die da sind, wenn es fällt.


Sorglose Kinder mag’s geben. Sorglose Erwachsene kenne ich nicht. Mit wem ich auch spreche, schon bald stosse ich auf Unbill, auf Kummer und Last: Werde ich es schaffen? Werde ich es überstehen? Ich weiss es nicht. Unter einem Geist der Knechtschaft verstehe ich einen Geist, der gefangen ist in der Sorge. «Sorget euch nicht um euer Leben. Sorget euch um Gottes Reich. Der Rest wird sich ergeben.» In seiner Predigt auf dem Berg stülpt Jesus die Reihenfolge der Sorgen um. Die Alltagssorge ist nicht die Mitte des Lebens, sondern der, der durch die Worte der Bibel zu mir spricht. Ich kann ihn Abba, Vater, nennen oder auch Imma, Mutter.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

14. Januar

So spricht der HERR: Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe, dass es komme, und meine Gerechtigkeit, dass sie offenbart werde. Jesaja 56,1

Das sind grosse Worte. Wie sollen wir das leben? Recht, Gerechtigkeit und Heil. Das sagt sich so leicht. Aber wie kriegen wir das hin? So ganz konkret? Im Grossen und im Kleinen? Ich spüre erste Anflüge von Überforderung.
Und dann ahne ich, dass ich das ja nicht allein tun muss. Das Heil Gottes ist nahe. Es kommt. Und seine Gerechtigkeit offenbart sich. Da zeigt sich etwas. Und ich vertraue darauf, dass sich so auch zeigt, wie ich mich für die Gerechtigkeit einsetzen kann. Weil mir der Detaillierungsgrad des Gesetzes ein bisschen zu gross ist, halte ich mich an das Doppelgebot der Liebe. Das ist schwierig genug.


Das sind grosse Worte, ohne Frage, und unser Raum, sie zu kommentieren, ist klein. In einem Buch mit Aphorismen des österreichisch-israelischen Autors Elazar Benyoëtz las ich kürzlich: «Die Augen täglich in einen heiligen Text tauchen, ein Wort bedenken, eins beherzigen, eins in Erinnerung behalten. Das ist genug gelesen.» Gott spricht. Diesen Satz bedenke ich heute. Wahre das Recht. Diese Worte beherzige ich heute. Mein Heil ist nahe. Dieses Versprechen behalte ich in Erinnerung. Das genügt mir für heute. Genug gelesen, genug geschrieben.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz