Schlagwort: Käthi Koenig

29. März

Die Menschen sprachen am Pfingsttag:
Wir hören sie in unsern Sprachen die grossen Taten
Gottes verkünden. Apostelgeschichte 2,11

Es gab und es gibt sie immer noch, die Megakirchen. Billy
Graham reiste aus Amerika an und erweckte die Schweiz. In
seinem Heimatland konnten und können Christen die Frohe
Botschaft konsumieren, ohne einen Schritt tun zu müssen.
Drive-ins machen es möglich. In den USA bestimmen heute
religiöse Überzeugungen die Politik. In Lateinamerika überholen
Freikirchen die katholische Kirche. Wenn Frau Bolsonaro
ihre Buben nach den Weisungen ihrer Kirche erzogen
hat, macht mich das allerdings skeptisch gegenüber deren
froher Botschaft.
Von den «grossen Taten Gottes» haben die Zeugen der
ersten Gemeinde damals an Pfingsten gepredigt. Was meinten
sie damit? Sie bezeugten Christus, den Auferstandenen.
Ihn, Jesus, den sie auf seinen Wegen und bei seinen Taten
begleitet, dessen Leben sie geteilt hatten und der ihnen
später
als der Lebendige wieder erschienen war. «Auferstanden
». Aber vorher waren sie vor seinem Leiden geflüchtet.
Sie wissen es jetzt: Das Leiden gehörte dazu. Machtlosigkeit,
Demütigungen, Schmerz gehörten dazu. Auferstehung ist
offenbar nicht anders zu haben.
Die zum erbaulichen Zuhören Versammelten auf den Parkplätzen
der Drive-ins, die Lobpreisenden in den Hallen der
Megakirchen, die Bolsonaros, beim Frühstück vereint – wissen
sie es auch?

Von: Käthi Koenig

15. März

Mächtig waltet über uns seine Güte, und die Treue
des HERRN währt in Ewigkeit. Halleluja. Psalm 117,2

Man kommt auf neue Gedanken in dieser Zeit: Krieg in
Europa, Gewalt und Hass, Lug und Trug. Auch mir, wie vielen
anderen, drängt sich der Schluss auf: Dagegen braucht
es Widerstand. Dabei bleibe ich in dieser Zeit.
Aber die Gedanken wandern weiter: Wie ist das mit allen
anderen Kriegen, die in der Gegenwart geführt werden,
ebenso grausam, ebenso menschenverachtend? Und all
das, was ich im Geschichtsunterricht erfahren habe? Und
das, was dort nicht zur Sprache kam? Aber geschehen ist es
trotzdem, es ist die Geschichte unserer «Zivilisation». Und
die mir kaum bekannte Geschichte anderer Völker – ist sie
besser?
Es ist zum Verzweifeln. Und da dieser Satz: «Mächtig waltet
über uns seine Güte, und die Treue des HERRN währt in
Ewigkeit.» Dieser Psalm, dieser Dank und eine Vergegenwärtigung
von guten Tagen, von Erfüllung und Glück. Auch das
ist Menschheitsgeschichte.
Dass es die Menschheit überhaupt noch gibt, liegt vielleicht
daran, dass es zwar Gewalt und Leiden gibt, aber immer wieder
so viel Glück, Freude, Liebe. Alles, wofür es sich zu leben
lohnt. Immer wieder: Hoffnung!

Von: Käthi Koenig

14. März

Ich komme, um alle Völker und Zungen
zu versammeln, dass sie kommen und meine
Herrlichkeit sehen. Jesaja 66,18

Das kommt mir alles so bekannt vor – ich sehe die Bilder
dazu: die riesige rote Wand eines Saals, pompöses Mobiliar
und üppigen Blumenschmuck. Vor der Wand ein Podium.
Da sitzen in unzähligen Reihen kleine Männchen in westlichen
Anzügen und Krawatten, vielleicht, wenn man die Lupe
nimmt, findet man dazwischen sogar so etwas wie eine Frau.
Und vorne am Rednerpult steht er, der die Länder, Gehirne
und Gefühle beherrschen will. Der seine Leute ausschickt in
Dörfer und Städte. Sie werden jene im Auge behalten, die
dem Herrn auf dem Podium gegenüber argwöhnisch sind.
Andere Beauftragte in seinem Dienst kaufen Eisenbahnen
ein, Beteiligungen an Häfen oder Druckereien. Alles gesehen,
alles gelesen in den letzten Monaten. Wie da einer verkündigt:
Ich bin euer Herr, euer Führer und Wohltäter.
«Ich komme, um alle Völker und Zungen zu versammeln,
dass sie kommen und meine Herrlichkeit sehen», lässt Gott
seinem Volk durch den Propheten ausrichten. Es ist die
Zeit nach dem babylonischen Exil, die Menschen, die in die
Heimat zurückgekehrt sind, müssen sich in dieser neuen
Situation zurechtfinden. Wie weit menschliche Autoritäten
da helfen, ist fraglich. Menschen können ihre Amtszeiten
missachten, aber nicht ihre Lebenszeit verlängern. Die
Botschaft Gottes aber findet den Weg bis in unsere Zeit.

Von: Käthi Koenig

29. Januar

HERR, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; lass leuchten
dein Antlitz, so ist uns geholfen.
Psalm 80,20

Ich weiss nicht, was Trost ist. Ich weiss auch nicht, was das
Antlitz Gottes ist. Wenn ich das mit meinem Verstand
ergründen will, verirre ich mich in komplizierten abstrakten
Definitionen. Wenn ich diesen Satz aber einfach so lese, wird
mir warm und wohl. Ja, er leuchtet in mir. Ja, er vermag mich
zu trösten. Die Bitte erfüllt sich!
Aber das kann doch gar nicht sein. Und wenn schon, dürfte
ich es nicht zugeben. Wie wäre das doch kindlich und naiv.
Wie läge meine Seele blank und offen vor allen Diagnosen
aus psychologischen Lehrbüchern. Ich staune ja selber.
Meine Damen und Herren Sachverständige, und Sie alle,
die solche Worte nicht mehr hören wollen und können:
Trost? – Ein müdes Lächeln. Gottes Antlitz! – Schon wieder
der ewige Aufseher.
Aber so, wie es diesen realistischen Verdacht gibt, gibt es
auch die persönliche Erfahrung: stehen im Licht, befreit von
Ängsten und Verzweiflung. Das dauert vielleicht nicht an,
aber es geschieht immer wieder. Ich glaube, es kommt von
all den Gesichtern, die mich freundlich angesehen haben.
Von meinem ersten Lebenstag an. Vom Lächeln, das mir entgegenkommt.
Von allen wohlwollenden und interessierten
Blicken: Ich sehe dich! Ich hatte offensichtlich das Glück, dass
ich von klein auf erfahren habe: Trost, das gibt es. Ich glaube,
dass Gott selber die Begegnungen in meinem Leben in sein
freundliches Licht gestellt hat.

Von: Käthi König

15. Januar

Wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist der Glaube ohne
Werke tot.
Jakobus 2,26

Und gleich nochmals ein Zitat, das mehr Fragen aufwirft
als zum Verstehen beiträgt. Gestern ging es um die Vorherbestimmung,
die menschliches Entscheiden und Gestalten
einschränkt. Der Satz im Jakobusbrief nun steht im Widerspruch
zur reformatorischen Überzeugung, dass Glaube
allein genügt. Das Leben in seiner Gemeinde hat den Briefschreiber
gelehrt: Es reicht nicht, «einfach zu glauben»,
wenn gleichzeitig Unrecht geschieht, Hunger und Not herrschen,
Menschen Trost und Nähe brauchen. «Gute Werke»
halten eine Gemeinschaft im Kleinen und im Gesamten
lebendig, sie vermitteln Sicherheit und Zuversicht.
Aber sie retten nicht. Die Gnade Gottes lässt sich mit ihnen
nicht verdienen. Ist es im Text von gestern die Spannung zwischen
unbedingter Fürsorge Gottes und menschlicher Freiheit,
so geht es hier um die bedingungslose Gnade und den
menschlichen Beitrag zu einem Leben im Glauben. Beides
zusammen? Geht nicht! Das stimmt, wenn ein Krämerdenken
dahintersteckt, aber ich erkenne viele Orte und Gelegenheiten,
wo es ganz selbstverständlich funktioniert. Dort,
wo Menschen aus der Freundlichkeit, die sie erlebt haben,
selber freundlich auf andere zugehen, wo sie Verletzungen
und Verstörung spüren und darum geduldig auf das Urteilen
verzichten. Wo nicht eine Logik des Habens und Rechnens,
sondern des Teilens gilt. Da können Leben und Glauben
geteilt werden und gemeinsam wirken.

Von: Käthi König

14. Januar

Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet
war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die
noch werden sollten.
Psalm 139,16

Freiheitsliebende werden sich ob dieser Vorstellungen entsetzen
und empören: ständige Kontrolle und alles vorausbestimmt!
Ich verstehe solchen Protest. Und doch: Mir gefällt
die Vorstellung. Sie ist zwar nicht logisch, aber sie ist schön.
Ich sehe mich hier als von Gott gewolltes und gestaltetes
Lebewesen. Als Mensch, der auf seinem Lebensweg geführt
und bewahrt ist, als alternde Frau, die sich zwar bange fragt:
Wie werden die Tage sein, «die noch kommen sollen»? Die
aber auch das in Gottes Hand legen kann.
Ich weiss: Das Leben hat es mir leicht gemacht. Ganz anders
wird es für jene sein, auf deren Seiten im Lebensbuch von
Brüchen und Konflikten erzählt wird.
Es mag stimmen: Die Vorstellung, alles sei bereits festgelegt,
macht passiv, angepasst, ängstlich. Initiative, Phantasie,
Freude und Staunen können sich nicht entfalten. Aber ich
stelle mir vor, dieses «Buch des Lebens» sei ein Drehbuch,
das allein die grossen Linien und Ziele vorgibt. Der Regisseur
lässt jedoch dabei seinen Darstellern Raum und Freiheit,
sich mit ihren Plänen und Ideen hineinzugeben in die grosse
Geschichte. Und weil ihm die Beteiligten vertrauen, kann
es ein Lebenslauf in Freiheit werden, manchmal gefährlich,
manchmal entspannt und froh. Und, hoffentlich, mit einem
Happy End?

Von: Käthi König

15. November

Samuel sprach zu Saul: Du aber steh jetzt  still, dass ich dir kundtue, was Gott gesagt hat.   1. Samuel 9,27

Die Geschichte zu diesem Satz? Da sucht einer seine entlaufenen Eselinnen – und findet seine Lebensaufgabe: Wie der Bauernsohn Saul beim Seher Samuel nach den verlorenen Tieren fragen will, wird er mit unerwarteter Ehrerbietung empfangen. Und was ihm Samuel dann beim Abschied kundtut, ist keine mündliche Botschaft, sondern eine Zeichenhandlung. Er salbt Saul «zum Fürsten über Gottes Erbbesitz».

Wenn ich die Losung zum Anlass nehme, um in der Bibel den ganzen Text zu lesen, begegne ich dieser erstaunlichen Erwählungsgeschichte. Was aber mache ich mit dem einen Satz, wenn er mir an heutigen Novembertag einfach so zufällt, wie es eben das Wesen einer Losung ist? Ich stehe still und höre. Und was sagt mir da Gott? Nichts? Oder kommt aus einer meiner Bewusstseinsschichten eine Botschaft? Eine Zusage? Ein Trost? Eine Hilfe für jetzt und hier?

Zitate, aus dem Zusammenhang gerissen, haben einen schlechten Ruf. Aber es gibt manche Sätze, die mir viel bedeuten – bis ich ihnen innerhalb ihres Originaltextes begegne und feststelle: Sie gehören zu einem komplizierten Gedankensystem oder zu einer Gewaltgeschichte. Darf ich mir das ersparen? Darf ich aus einer alten Geschichte einen Satz ganz allein in meine Geschichte aufnehmen? Mir zur Hilfe? Kann mir Gott auch so etwas kundtun?

Von Käthi Koenig

15. Januar

Er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.      
Jesaja 53,5

Der Prophet, den wir unter der Bezeichnung Deuterojesaja kennen, zeugt in vier «Liedern» von einem geheimnisvollen «Gottesknecht». Wer ist damit gemeint? Die Erklärungen sind vielfältig, sie spiegeln Situationen, in die hinein diese Texte sprechen sollen. Kyros, der Perserkönig, könnte es sein, meinen die einen. Oder Zion, die zerstörte und gedemütigte Gottesstadt? Ist es vielleicht sogar der Prophet selber, der an der Last seiner Aufgabe zu zerbrechen droht? Dann, viel später, wird manchen klar: Der Gottesknecht, das ist Jesus, der unschuldig leidende Schmerzensmann.

Das Bild eines Wehrlosen, Verachteten, das Opfer eigen-üchtiger und uneinsichtiger Menschen, ich greife es auf als Bild für unsere Zeit. Darf ich das? Darf ich im leidenden Opfer unsere Erde erkennen, die Schöpfung, all das, was bedroht ist durch die Rücksichtslosigkeit der Menschen? Die Meere, die Luft, die Pflanzen, die Tiere – und unsere Missetat an ihnen. Wir sind alle beteiligt, niemand kann sich entziehen. Ich denke an das andere Bild aus dem Gottesknechtlied, auch es erscheint wieder im Neuen Testament: das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.

Gewiss, die Eingriffe in die Natur erleichtern uns das Leben. Aber geheilt werden wir nicht. Wir nicht und die Welt um uns nicht. Dazu braucht es Einsicht in die Würde und Verletzlichkeit der Schöpfung, es braucht unsere Demut und unsere Liebe.

Von Käthi Koenig

14. Januar

Die HERR hat Grosses an uns getan,
des sind wir fröhlich.   
Psalm 126,3

Grosses! Glorios tönt das – die Fülle des Lebens als Gottes Geschenk. Ja!

Ja, aber: Denn da ist nicht einfach Freude. Da ist ein Vorher: im Psalm die Verbannung Israels, die lange Zeit des Heimwehs und der Sehnsucht, des Fragens nach dem Warum und der bitteren Reue. Bei uns, beim Einzelnen: Krankheit, Feindschaft, Verlust. Schicksalsschläge.

Aber dann: die Wende, die Umkehr, der Ausweg. Im Psalm die Heimkehr des Volks. Bei uns Heilung Versöhnung, neuer Sinn. Freude.

Es gibt Momente, da glaubt man: Nie werde ich darüber hinwegkommen. Nie wieder werde ich vertrauen können, nie den Groll überwinden. Nie mehr werde ich unbeschwert leben – mit dieser Schuld. Nie mehr fröhlich sein.

«Der HERR hat Grosses an uns getan. Des sind wir fröhlich.» Ist vielleicht das das Grosse: dass wir wieder fröhlich sein können? Dass der Schmerz und die Last und die Schuld nicht alles auszufüllen vermögen? Dass Gott wieder Freude schenkt und dass er unser Geschick wendet? Hin zu einem Punkt, von dem aus eine andere Sichtweise möglich wird: Wo ich eine verborgene Frucht wahrnehme, die gewachsen ist im Lande des Elends.

«Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.»

Ist es das, was Gott aus den Samen wachsen lässt: Glaube. Liebe. Hoffnung?

Von Käthi Koenig