Kategorie: Texte

21. September

Boas zeugte Obed; die Mutter war Rut. Obed zeugte Isai. Isai zeugte den König David. Jakob zeugte Josef, den Mann von Maria. Sie wurde die Mutter von Jesus, der Christus genannt wird. Matthäus 1,5.6.16

Wir haben uns nicht selbst hervorgebracht. Wir haben Eltern, die selbst auch Eltern hatten. Wir sind nicht unbedingt das Ergebnis, aber doch irgendwie der Zwischenstand einer langen Kette von Menschen. Wer sind die ältesten Familienmitglieder, an die du dich erinnern kannst? Haben dir deine Grosseltern von ihren Grosseltern erzählt? Ich habe eine Urgrossmutter kennen gelernt. Sie sass bei unseren Festen im Sessel wie ein Wesen aus einer ganz anderen Zeit.

Je älter ich werde, desto faszinierender finde ich die Auseinandersetzung mit Vorfahren und ihrer Art und Weise, in der Welt zu sein. Wie gingen sie mit der Endlichkeit um? Was war ihnen ein Fundament im Leben? Die heutige Losung lädt die Leserin in die Geschichte Davids und Jesu ein. Sie wiederum hatten beide eine Geschichte mit Gott – oder Gott mit ihnen. Will ich heute am Bettag mit einer dieser Geschichten mitgehen? Ihr zuhören? Schauen, was dieser Pfeil aus der Vergangenheit mit mir macht? Will ich meine Lebensgeschichte in ihre Art und Weise, in der Welt zu sein, einfügen? Oder lieber nicht?

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

20. September

Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen,
denn du bist mein Gott; dein guter Geist führe
mich auf ebner Bahn.
Psalm 143,10

Kein Tag, keine Stunde vergeht, da Gott nicht angerufen wird. In tausend Sprachen, aus tausend Nöten und hie und da vielleicht auch aus purer Freude und Dankbarkeit: Halleluja! Lobet seinen heiligen Namen! Stimmen erheben sich: bitten, flehen, fragen, singen, danken. Hände falten sich und beten. Mir gefällt die Vorstellung, dass diese Stimmen und Hände sich finden und einander im Glauben «denn du bist mein Gott» stärken und zur Hoffnung «dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn» ermutigen.

Amen, Chatrina! Du sprichst mir aus dem Herzen. In einer Fotoausstellung habe ich neulich eine Montage gesehen, die aus Dürers «Betenden Händen» Hände gemacht hat, die sich ein «High five» geben, die sich abklatschen. Wer seine Hände nach dem Gebet wieder öffnet, ist bereit für neue Begegnungen. «Die Hände, die zum Beten ruh’n, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat», dichtete Jochen Klepper in seinem Mittagslied. Damit gehe ich heute durch den Tag!

Von: Chatrina Gaudenz und Lars Syring

19. September

Was vom Hause Juda errettet und übrig geblieben ist, wird von Neuem nach unten Wurzeln schlagen und oben Frucht tragen. 2. Könige 19,30

Auf ein Neues.
Nicht sofort. Nicht mit Gewalt.
Aber langsam. Zart.
Trotz allem.
Der Boden war fremd. Die Wurzeln verletzt.
Die Erinnerung schmerzlich. Eine Freundin gegangen.
Eine Lücke, die bleibt.
Ich habe eine Rose gepflanzt. Aus ihrem Garten.
Ein kleines Zeichen: Du fehlst – und lebst weiter.
Wochenlang: keine Blätter, keine Hoffnung.
Nur tägliches Giessen.
Geduld. Zuwendung.
Und dann:
Zarte neue Triebe. Zwei kleine Knospen.
Leben. Trotz allem.
Gott verheisst:
Wurzeln nach unten. Frucht nach oben.
Nicht sofort. Aber auf lange Sicht.
Das Leben findet einen Weg.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

18. September

Jesus sprach: Diese Witwe hat von ihrer Armut
ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Markus 12,44

Datenschutz? Keine Spur! Setzt sich Jesus doch beim Kollektenkasten so hin, dass er genau sehen kann, wer wie viel gibt. Gegenwärtig wäre so etwas ausgeschlossen. Auch das Twinten per QR-Code ist selbstverständlich anonym. Schleicht jemand auffällig bei den Kirchentüren herum, hat unser Sigrist ein aufmerksames Auge auf diese Person.
Diskretion? Totale Fehlanzeige. Ruft doch Jesus sogleich seine Jünger und erzählt ihnen brühwarm, wer wie viel gegeben hat. Heutzutage bräche man damit das Seelsorgegeheimnis und müsste sich auf Konsequenzen gefasst machen. Geht es irgendjemanden etwas an, wie viel ich in die Kollekte lege?
Dass Menschen sehen, was vor Augen ist, Gott aber das Herz ansieht, hatte ich mir viel geheimnisvoller, ja geradezu mystisch vorgestellt. Aber Jesus schaut hier über die Geldbeutel der Leute direkt in die Herzen.
Weil es um die Witwe geht, bleiben die Reichen meist unerwähnt. Ihnen sei an dieser Stelle ausdrücklich und herzlich gedankt. Denn sie geben viel von ihrem Überfluss, steht bei Markus geschrieben. Ohne solch reiche Leute, die gern ziemlich viel geben, ginge es gar nicht in der Kirche.
Bis heute macht uns unser Portemonnaie durchsichtig bis in die Herzgegend. Dabei reicht es vollkommen aus, wenn uns selbst auffällt, ob wir viel oder – wie die Witwe – alles geben.

Von: Dörte Gebhard

17. September

Jeremia sprach: Ich dachte: Ich will seiner nicht
mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen
predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie
ein brennendes Feuer.
Jeremia 20,9

In geradezu erschreckender Offenheit beschreibt der Prophet die Aufkündigung seines Dienstes, zu dem er berufen wurde. Er hat genug, definitiv. Weshalb muss er sich anpöbeln lassen den ganzen Tag? Weshalb muss er Umkehr predigen und wird dafür offen und versteckt angefeindet? Weshalb muss er sich ein solches Leben antun? So sieht er nur noch eine Möglichkeit: aufgeben und weggehen. – Aber: Es geht nicht. Er kann schimpfen und klagen, er kann seine Geburt verfluchen, er kann Schande empfinden über alles, was er tut und getan hat – er entkommt diesem Gott nicht! Er entkommt nicht dem Dienst, in den er gestellt wurde. Er findet keinen Weg aus seiner Beziehung zu Gott und mit Gott hinaus. So kommt es, wie es kommen muss: Er macht halt weiter. Nicht einfach plötzlich fröhlich, sondern immer wieder auch resigniert, voller Zweifel; er fühlt sich ungeeignet für den Prophetendienst, er hadert immer wieder mit Gott, dass er ihn nicht einfach ziehen lässt, er nimmt sein Klagen wieder auf. Und er führt aus, was ihm Gott zu sagen aufträgt. So wird er auch für mich zu einem Hoffnungsbild: Gott kann auch Hadernde gebrauchen. Auch sie werden beauftragt, am Kommen des Gottesreichs mitzubauen. Gottes Kriterien für die Wahl in seinen Dienst sind anders. Das ist tröstlich.

Von: Hans Strub

16. September

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. Psalm 19,2

Noch bevor die Sonne strahlend aufgeht, sehe ich den wuchtigen Glärnisch mit den letzten Schneefeldern oben, sehe den immer heller werdenden Himmel, die entknospete Rosenblüte im Topf neben mir, eine kleine und bald verschwindende Wolke über dem Sihlgraben, die dunkelgrüne Waldsilhouette davor, die noch grauen Seeflächen zwischen den Häusern hindurch … und dann kommt sie! «Wie ein Bräutigam kommt sie hervor aus ihrer Kammer, läuft freudig wie ein Held die Bahn» (Vers 6 – im Hebräischen ist die Sonne männlichen Geschlechts). Dann ist es wie im bekannten Kirchenlied: Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre! Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort … Jeder neue Morgen ist ein Gotteslob. Wie auch immer der Himmel aussieht, auch verhangen, auch dramatisch, auch vernebelt – immer ist er der überall auf unserer Erde wahrgenommene Spiegel der Schöpfung. Ich lasse die Bilder in mir wirken, und sie bewirken ein noch unartikuliertes Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es weitergeht. Dass die Welt und mein Leben weiter bestehen und Zukunft haben. Sogar eine neue Zukunft haben, wie der neue Tag, der begonnen hat. Diesem Gefühl versuche ich Ausdruck zu geben im Gebet. Im Dankgebet für das eben Erfahrene, im Bittgebet für das, was kommt. Und für das, was ich erhoffe, für mich, für meine Umgebung, für die Welt, für ihre Zukunft, für Frieden und Gerechtigkeit. Dieser «Himmel» gibt Kraft für den Tag!

Von: Hans Strub

15. September

Und viele, die zuhörten, verwunderten sich und
sprachen: Ist der nicht der Zimmermann?
Markus 6,2.3

Welchen Beruf Jesus einst genau ausgeübt hatte, ist nicht ganz klar. Vielleicht war er als Bauhandwerker beim Neuaufbau der in der Nähe von Nazaret liegenden Residenzstadt Sepphoris tätig. Vielleicht hatte er auch bäuerliches Gerät wie Pflüge und Joche hergestellt.
Jedenfalls hat er seinen Job in jungen Jahren aufgegeben. Seither verkündet er als Wanderprediger das «Geheimnis des Gottesreichs» (Markus 4,11) und verwirklicht es kraft seiner Wundertaten.
Nun kehrt er zurück in sein Heimatdorf. Die Synagoge ist voll, viele wollen ihn hören, eine Frage folgt der anderen, alle reden durcheinander. Man ist skeptisch ihm gegenüber. Man kennt ihn, man weiss, aus welcher Familie er stammt, welcher Arbeit er nachgegangen war. Man meint, ihn «in bekannte Kategorien eingliedern» zu können (E. Schweizer).
Doch der Messias ist nicht integrierbar, er ist anders, grösser. Er ist, wie der Apostel Paulus mit denselben Worten wie Markus 6,2 sagt, «Kraft Gottes» (das griechische Wort Dynamis, «Kraft», bedeutet in Markus 6,2: «Krafttaten») und «Weisheit Gottes» (1. Korinther 1,24).
Aus dieser Kraft und Weisheit Gottes leben auch wir. Durch sie, in ihnen werden auch wir die Horizonte des eigenen Gewordenseins weit überschreiten.

Von: Andreas Fischer

14. September

Als der Sohn noch weit entfernt war, sah ihn
sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und
fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Lukas 15,20

Martin Werlen, der frühere Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln, betont zu Recht: «Seine Not treibt den Verlorenen Sohn zurück nach Hause, nicht etwa die Liebe zu seinem Vater. Er will wenigstens wieder etwas zu essen haben.» Beim Vater verhält es sich anders: «Er hat ihn erwartet, hat nach ihm Ausschau gehalten, seine Liebe ist nicht erloschen.»
Das Mitgefühl des Vaters (es jammerte ihn) kommt von tief unten. Das entsprechende Wort im griechischen Urtext leitet sich von den Eingeweiden ab. Dort also, in den Eingeweiden, ist der Sitz der väterlichen Empathie.
Weiter ist es gegen jede Sitte, dass der Vater dem Sohn entgegenrennt. Ein würdiger Orientale rennt nicht, selbst wenn er es eilig hat. Dazu müsste er nämlich sein langes Gewand mit den Händen hochheben, und die nackten Waden würden sichtbar.
Der Kuss schliesslich ist in der Bibel Geste der Versöhnung. Mit dieser Geste kommt der Vater dem Schuldbekenntnis des Sohnes zuvor. Das in Vers 21 folgende Schuldbekenntnis hinkt hinterher. Es hat keine Bedeutung mehr.

Von: Andreas Fischer

13. September

Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht;
was können mir Menschen tun?
Psalm 56,12

Die Zürcher Bibel übersetzt dem Urtext gemässer und, wie ich finde, kraftvoller: «Auf Gott vertraue ich, und ich fürchte mich nicht. Was kann ein Mensch mir tun?» Ich versuche, den Satz nachzusprechen, ihm nachzuspüren … Es fühlt sich gut an: stark, frei, aufrecht, unerschrocken, selbstgewiss. Wäre ich das – im Fall?
Ich denke an Menschen, auf die dieser Satz nach meinem Empfinden zutrifft: die Witwe aus dem Lukasevangelium, die mutig und beharrlich vor Gericht ihr Recht einfordert (Lukas 18), oder Petrus und die anderen, die unerschrocken dem Hohen Rat entgegnen: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apostelgeschichte 5); oder Martin Luther und sein «Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir!». Dietrich Bonhoeffer kommt mir in den Sinn und sein gleichermassen von Selbstzweifeln und Vertrauen geprägtes Gedicht «Wer bin ich». Ich denke an die vor wenigen Wochen verstorbene Margot Friedländer, Überlebende der Shoa, die im hohen Alter nach Berlin zurückgekehrt war und sich unermüdlich für Versöhnung und gegen Hass, Feindschaft und Unmenschlichkeit eingesetzt hat. «Seid Menschen!» lautet ihre Botschaft – so einfach, und so herausfordernd.
Gottvertrauen macht mutig und frei. Es befreit von der Sorge um mich selbst; es lehrt mich den aufrechten Gang und den unerschrockenen Blick – beides täglich zu üben.

Von: Annegret Brauch

12. September

Fürchte dich nicht vor plötzlichem Schrecken;
denn der HERR ist deine Zuversicht.
Sprüche 3,25.26

Wie sieht gute Lebensführung aus? Wie gelingt ein Leben, das Wohlergehen, Zufriedenheit und Weisheit verspricht? Und was kann ich selber dazu tun? Solche und ähnliche Fragen bilden den Hintergrund des Buchs der Sprüche. Es will Einsichten und Regeln vermitteln, die helfen, ein gutes Leben zu führen; modern gesprochen: eine Art Lebensratgeber. Dabei geht es davon aus, dass eine Lebensführung, die sich von Gerechtigkeit und Rücksichtnahme leiten lässt, zum Wohlergehen des/der Einzelnen wie der Gemeinschaft beiträgt. In meinen Ohren klingt das erstaunlich aktuell und zukunftsweisend – und wird gleichzeitig tagtäglich vielfach und in einem Ausmass hintertrieben, dass es mir manchmal den Atem nimmt und ich mich fassungslos frage: Wo wird das alles hinführen? – Erschrecken, Wut, Ohnmacht drohen mir Hoffnung und Zuversicht zu rauben.
Die heutige Losung stellt dem Schrecken Gottvertrauen und Zuversicht entgegen: «Fürchte dich nicht vor plötzlichem Schrecken; denn der HERR ist deine Zuversicht.» Sie durchbricht die Verzagtheit meiner Gedanken, sie erinnert mich daran, dass ich gehalten bin von der Ewigen auch im grössten Schrecken.
«Nada te turbe, nada te espante … Solo Dios basta.»
«Nichts soll dich verwirren, nichts soll dich beirren … Gott nur besteht.» (Teresa von Avila)

Von: Annegret Brauch