Monat: Dezember 2024

11. Dezember

Das Warten der Gerechten wird Freude werden.
Sprüche 10,28

Wer gerecht ist und Gutes tut, dem geht es gut. Dieser
Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen wird in den
«weisheitlichen» Schriften des Alten Testaments häufig ausgesprochen.
Nicht nur uns Heutigen erscheint das Prinzip
aber zu vordergründig, zu naiv, von der Erfahrung allzu oft
nicht gedeckt, gar ins Gegenteil verkehrt. Schon biblische
Autoren erheben dagegen Einspruch. In manchen Psalmen
und vor allem im Buch Hiob kommt die Gegenerfahrung
in aller Schärfe zum Zug. Hiob, der Gerechte, hatte ja nun
wahrlich keinen Grund zur Freude, konnte nicht verstehen,
was ihm widerfuhr, und klagte Gott an. Immerhin: Auch
wenn der Schluss des Buchs – die Wiederherstellung des
frommen Dulders – vielleicht nachträglich angefügt wurde,
könnte Hiob doch noch als Beleg für die heutige Losung
herhalten: Nach langem Warten fand er sein Glück wieder.
Nach langem Warten fand er sein Glück wieder. Allerdings
wird die Gegenerfahrung damit auch wieder verharmlost:
Nicht jedes Warten endet in erfahrener Freude.
So bleibt denn, wie so oft, die Hoffnung wider den Anschein,
wider die Erfahrung, wider eine realistische Erwartung, dass
am Ende alles gut sein wird.
Diese Hoffnung mag dem Verstand widersinnig erscheinen,
aber sie befreit aus der Lähmung und macht gutes,
gerechtes Handeln überhaupt erst sinnvoll und möglich.

Von: Andreas Marti

10. Dezember

Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis
hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere
Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde
zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem
Angesicht Jesu Christi.
2. Korinther 4,6

Bei den Worten «Leuchten» und «Angesicht» kommt mir
Folgendes in den Sinn: Meine Schwiegermutter nennt eines
meiner Kinder auf Russisch «maja solnitschka» – meine
kleine Sonne. Was schwingt in diesem Kosenamen alles mit?
Vielleicht dies: Du bist mein Ein und Alles! Du bist ein wunderbares
Geschöpf! Du bringst Licht und Wärme in mein
Herz!
Und das kennen Sie sicher auch: das Aufleuchten in den
Gesichtern, wenn sich Verwandte, Befreundete und Liebende
wiedersehen. Dabei zeigen die Gesichter, was gerade
in den Herzen geschieht: Berührtsein, Erkanntwerden, Verstandensein,
Freude, Liebe.
Die Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi: Für
mich bedeutet das, diese Herrlichkeit auch im Angesicht
meiner Mitmenschen und mir selbst suchen und finden zu
dürfen. Intensive Begegnungen und Erfahrungen können
uns aufleuchten lassen. Was ich dabei erfahre, hat für mich
durchaus eine religiöse Bedeutung: Ich werde gesehen, ich
werde erkannt, ich werde geliebt. Ich bin gut und richtig so,
wie ich bin. Ich bin geborgen.

Von: Katharina Metzger

9. Dezember

Paulus schreibt: In allem erweisen wir uns als Diener
Gottes: als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die
Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts
haben und doch alles haben.
2. Korinther 6,4.10

Der Abschnitt trägt in der Übersetzung die Überschrift «Die
Kraft Gottes». Und er handelt vom Dienen.
Ich selbst kenne das Dienen als das Erfüllen von Pflichten,
Pflichten in der Familie, im Beruf, in Vereinen. Dieses Dienen
ist mehr oder weniger selbst gewählt. Es macht manchmal
Freude und ist manchmal lästig. Oft schenkt es aber Sinn und
Befriedigung. Ich fühle mich nützlich, denn ich kann jemand
anderem etwas Gutes tun oder eine Sache vorantreiben.
In den Worten aus dem Korintherbrief schwingt aber noch
etwas anderes mit: das Dienen für etwas Grösseres, das
Dienen gegen Widerstand, das Dienen als ständige Daseinsform.
Das Dienen «als die Traurigen, aber allezeit fröhlich».
Gerade habe ich in der Zeitung einen Bericht über zwei Soldaten
gelesen, die eine heranrückende Front beobachten.
Laut Experten ist die Verteidigung der beschriebenen Stadt
entscheidend für den ganzen weiteren Kriegsverlauf. Das
Beispiel dieser Soldaten, die sich in den militärischen Dienst
stellen oder stellen müssen, zeigt mir eine ganz andere
Dimension des Dienens.
Der Gottes-Dienst als ständige Daseinsform: Wie kann er
in meinem Leben aussehen? Was bedeutet es, eine Dienerin
Gottes zu sein? Wie kann die «Kraft Gottes» in mir wirken?

Von: Katharina Metzger

8. Dezember

Wir haben gesündigt samt unsere Vätern, wir haben
unrecht getan und sind gottlos gewesen.
Psalm 106,6

Es ist ein Vers mit dem grösstmöglichen moralischen
Imperativ! Denn es ist eine Selbstanklage, die aus den eigenen
Reihen kommt. Nicht «ihr» wart es, sondern «wir» haben
uns etwas vorzuwerfen – inklusive der Generationen vor uns.
Ich musste beim Lesen dieses Satzes sogleich an den Klimawandel
denken und unsere damit verbundene menschliche
Verantwortung. Wir sind es, die mit unserem verschwenderischen
Lebenswandel Luft und Meere ins Ungleichgewicht
gebracht haben. Wir sind es, die unseren Umgang
mit Ressourcen dringend verändern sollten, um unseren
Planeten weniger zu belasten. Doch wie gehen wir mit dieser
Verantwortung um? Die Einsicht ist da: Wir haben «unrecht
getan» und sollten unser Verhalten dringend ändern. Doch
wie so oft: Was der Kopf versteht, wird im Alltag dann doch
nicht so richtig beherzigt. Woran hapert es? Am Schluss des
Verses steht das Wort «gottlos». Es macht uns aufmerksam,
dass die Menschen, die zur Zeit dieses Psalms lebten, noch
an eine göttliche Ordnung glaubten. Zwar wollen wir diese
nicht zurück, doch es täte uns in der wissenschaftlichen
Diskussion um die Zukunft auf Erden gut, wenn wir diese
Erde wieder vermehrt als göttliche Schöpfung respektieren
würden. So gesehen ist «gottlos» eine Metapher für unsere
Entfremdung von unserem Planeten, die zu einer Umkehr
nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen aufruft.

Von: Esther Hürlimann

7. Dezember

Der HERR sprach zu Kain: Was hast du getan?
Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu
mir von der Erde.
1. Mose 4,10

Aus der einen Stimme von Abels Blut ist ein unermesslich
grosser Chor von Stimmen geworden von Blut von Schwestern
und Brüdern, die ums Leben gebracht wurden und
werden, weil solche wie Kain sich zurückgesetzt fühlen und
deshalb ausser sich geraten.
Kain – sein Name bedeutet «Besitz» oder «Krieger» – war
es gewohnt, an erster Stelle zu kommen, der Stolz seiner
Eltern, der Erstgeborene. Doch bei Gott sind Letzte Erste.
Gott schaut zuerst Abel an, den «Windhauch» und «Flüchtigkeit
» genannten, der immer der Zweite bleibt, und Kain
erträgt das nicht. Denn für ihn wird damit eine Rangordnung
gestört, die er für natürlich, ja gottgegeben hält. Kommt
er tatsächlich zu kurz, weil er nicht das gewohnte Privileg
geniesst? Das spielt bekanntlich nie eine Rolle, wo Menschen
meinen, sie kämen zu kurz, und deshalb gewalttätig werden.
Manche erinnern sich: Auf einem der ersten «Hungertücher
» aus Äthiopien wird ein Zeuge des Verbrechens
gezeigt. Er sitzt daneben, schaut aber nicht hin, als Kain den
Abel erschlägt, sondern wendet sich von der Gewalttat ab.
Seine Augen sind dieselben wie die von Kain.
Gott hört die Stimme des Blutes, das vergossen wird. Gott
schaut nicht weg, sondern fragt: Was hast du getan?

Von: Benedict Schubert

6. Dezember

Ach HERR, siehe, du hast Himmel und Erde gemacht
durch deine grosse Kraft und durch deinen
ausgereckten Arm, und es ist kein Ding vor dir
unmöglich.
Jeremia 32,17

Vor 500 Jahren lag gerade für kleine Menschen (für den
«gemeinen Mann») dort, wo die Atmosphäre von der Reformation
durchtränkt war, Grosses in der Luft. Der reformatorische
Mystiker und Bauernführer Thomas Müntzer nahm
den biblischen Satz «Es ist bei Gott kein Ding unmöglich»
auf. Durch die Menschwerdung Christi seien die Menschen
ganz und gar in ihn verwandelt, «auf dass sich das irdische
Leben schwinge in den Himmel». Ganz in der Nähe der heutigen
Boldern predigte 1525 der Pfarrer von Hombrechtikon
in Sorge um die Armen gegen die Last des Zehnten ähnlich.
Auch für ihn war bei dem im Bibelstudium neu entdeckten
Gott kein Ding mehr unmöglich. Er sei keiner Autorität
Rechenschaft schuldig, sondern wolle sich allein «verantwurten
mit der göttlichen geschrift». Der Landvogt wollte
den widerständigen Pfarrer verhaften lassen. Dessen Frau
vermochte durch spontanes Glockenläuten und alarmierte
Gemeindeglieder die Gefangennahme zu verhindern. Darauf
bat der Landvogt die Gnädigen Herren in Zürich «die
unghorsamen ghorsam machen, wen ir mir wend helfen».
Aber: Konnten und können Obrigkeiten die Möglichkeit
unmöglicher Dinge blockieren und den Geist des Evangeliums
vollständig zurück in die Flasche zwingen?

Von: Matthias Hui

5. Dezember

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird
eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

Philipper 4,7

Wann wird denn endlich Friede – im Sudan, in Palästina,
in der Ukraine? Die Spirale der Gewalt, die Herrschaftsansprüche
auf Land, die Entmenschlichung der Anderen
scheinen nicht zu stoppen zu sein. Mit aller Vernunft und
realpolitisch betrachtet, sind die Wege zum Frieden total
verbaut. Es können nicht genügend Kräfte mobilisiert werden,
damit alle im Gegenüber den Menschen erkennen,
damit dem Morden ein Ende bereitet, gegen genozidale
Angriffskriege vorgegangen und für Kinder das Recht auf
Leben und Lebensfreude durchgesetzt werden kann.
Für Paulus ist aber die Realität des Friedens von Gott höher
und stärker als die tägliche Zerstörung des Kriegs. Er ist sich
sicher: «Der Friede wird», kein Wunsch, kein Konjunktiv,
«eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.» Gottes
universale Friedensvision steht am Anfang der biblischen
Überlieferung, eine gerechte Welt für alle, ein Leben ohne
Blutvergiessen unter Menschen und Tieren. Die Bibel steht
nicht für Illusionen: Jetzt herrschen Gewalt und Krieg. Aber
wir dürfen uns im Herzen nicht daran gewöhnen, an das
«Vernünftige», an die Macht der Stärkeren, an die Verletzungen
des Rechts, an Folter, Aufrüstung, Atomwaffen. Die
Bibel träumt den «Traum, dass einmal Tränen, Leid und Tod
vergangen sein werden» (Klara Butting).

Von: Matthias Hui

4. Dezember

O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest,
so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und
deine Gerechtigkeit wie Meereswellen.
Jesaja 48,18

Obwohl sie die politische Möglichkeit haben, zögern etliche
der in dritter Generation sesshaft und offenbar auch wohlhabend
gewordenen Menschen im Lande Babylon, nach
Jerusalem zurückzukehren. Sie zeigen nach aussen einen
Gottesglauben, auch wenn sie sich innerlich davon abgewandt
haben. Das wirft ihnen der lebendige Gott vor: Hättet
ihr doch auf meine Gebote achtgegeben …! Weil sie das nicht
getan haben, haben sie es (zumindest vorläufig) verpasst,
am Frieden und an der Gerechtigkeit Anteil zu bekommen,
die er allen im Land Israel zugesagt hat. Und es auch verpasst,
für andere zu einem Zeichen des Friedens und der
Gerechtigkeit zu werden. Am Ende des Kapitels kommt’s
noch deutlicher: Es wird keinen Frieden geben für Frevler,
also für Leute, die sich bewusst Gott widersetzen (Vers 22).
Das ist eine Anmahnung, aber sie lässt Raum zur Veränderung.
Wenn die Angesprochenen sich bewusst werden,
dass ihnen die Rückkehrmöglichkeit ausschliesslich wegen
Gottes Güte und Barmherzigkeit eröffnet wurde, wird Gott
sie annehmen und auch ihnen seine neue Zukunft geben.
Mit den Worten «Wasserstrom und Meereswellen» werden
die Menschen, welche in einem Wüstengebiet leben, daran
erinnert, wie Gott eben ist: grosszügig und vergebend. Zu
jeder Zeit, gestern und heute und morgen.

Von: Hans Strub

3. Dezember

Samuel sprach zu Saul: Der Geist des HERRN
wird über dich kommen; da wirst du umgewandelt
und ein anderer Mensch werden.
1. Samuel 10,6

Ein neues Amt mache aus dem Amtsträger einen neuen
Menschen, sagt der Volksmund. Die neue Verantwortung
verwandle jemanden und mache ihn … Hier können nun
verschiedenartigste Wörter stehen: lebendiger, besser, grosszügiger,
zugewandter; oder aber: härter, rechthaberischer,
gewalttätiger …
Natürlich ist die erste Reihe wünschenswert, wir wissen
aber, wie leider auch die zweite real ist. Wer in eine leitende
Stellung gewählt (oder erwählt) wird, muss sich bewusst
sein, dass ihn die Menschen, die ihn bisher kannten, neu
wahrnehmen und auch beurteilen. Genau das wird im Kapitel
10 dargestellt: Samuel salbt den neuen, herbeigewünschten
König über Israel und dann lässt er ihn öffentlich bestätigen.
Wir wissen aus dem Fortgang der Geschichte, dass Saul
seinem neuen Amt letztlich nicht gewachsen war (was in
Vers 22 fast etwas verschmitzt «vorweggenommen» wird).
Und dies, obwohl ihm Samuel zuspricht, dass er unter Gottes
Geist stehen werde. Das bewahrt ihn aber nicht davor, aus
seinem Amt etwas zu machen, das nicht gut ist. Die «Verwandlung
» für und durch ein neues Amt nötigt dazu, sich
mit aller Kraft für das Wohl der unterstellten Menschen
einzusetzen. Die Salbung/Wahl nimmt in die Pflicht, damals
wie heute. Gottes Geist unterstützt, aber er braucht mein
Wirken. Auch heute.

Von: Hans Strub

2. Dezember

Jesus spricht: Wer zu mir kommt und hört meine
Rede und tut sie – ich will euch zeigen, wem er gleicht.
Er gleicht einem Menschen, der ein Haus baute und
grub tief und legte den Grund auf Fels.
Lukas 6,47–48

Manchmal merkt man es erst, wenn man eine Weile darin
wohnt: Es stimmt nicht, wie es ist. Das hätte man anders
machen müssen. Bei uns zum Beispiel ist in einem Zimmer
der Lichtschalter nicht am richtigen Ort. Auch noch nach
Jahren greift meine Hand ins Leere. Ausgerechnet dann,
wenn es dunkel ist, finde ich den Lichtschalter nicht.
Wie muss es einem erst ergehen, wenn man merkt, dass das
Haus nicht sicher steht. Dass man sich beim Planen und
Bauen zeit seines Lebens geirrt hat. Dass zwar oben alles
schön aussieht, es unten aber zu wanken beginnt.
Wie muss es einem erst ergehen, wenn man denkt, man
habe auf Felsen gebaut. Zeit seines Lebens an Gott geglaubt.
Wenn nun aber trotzdem die Erde bebt und Hochwasser
sämtliche Mauern einreisst, kein Stein mehr auf dem andern
bleibt. Wenn Verletzungen, Schuld und Scham das eigene
Leben überschwemmen. Wenn Liebe stirbt. Und nichts
mehr bleibt.
Eine Zeitlang greift die Seele ins Leere. Doch sie weiss, dass
der Fels da ist. Auch nach banger Zeit im Dunkel führt mich
das Licht in mir zum Licht.

Von: Ruth Näf Bernhard