Schlagwort: Ralph Kunz

23. Januar

Lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue
auf dich!
Psalm 25,20

Der Ausdruck «zuschanden werden» ist nicht gerade Alltagssprache.
Wir sagen «lass mich nicht scheitern» oder
«enttäusche mich nicht». In der altertümlichen Wendung
«Schande» steckt aber etwas drin, das moderne Übersetzungen
verpassen. Die Angst des Beters ist es, in Schande zu
geraten, gedemütigt und beschämt zu werden, dass andere
auf ihn zeigen und über ihn spotten: «Schau nur, was für
ein Versager!» Dass die Feinde triumphieren, ist die Schreckensvorstellung
schlechthin. Davor soll Gott ihn bewahren.
Was uns zunächst fremd erscheint, ist beim näheren
Hinsehen sehr aktuell. Wie wichtig ist es doch bis heute,
dass Menschen ihr Gesicht wahren können. Selbst wenn
sie schuldig geworden sind und sich ihrer Schuld bewusst
sind, hoffen sie, dass die Ankläger ihnen einen Rest Würde
lassen. Feinde sind Menschen, die die Schwäche der Gegner
gnadenlos ausnutzen, um sie fertigzumachen. Sie nutzen
die Schwachstelle. Das kann die moralische Schuld sein, ein
Mangel an Mut, ein Fehler … Der Beter bittet um Bewahrung
seiner Seele, um Vergebung und den Beistand Gottes. Früher
oder später wird er straucheln. Das ist menschlich. Aber er
weiss, dass Gott nicht gnadenlos verurteilt. Er traut Gott. Das
kann lebenswichtig werden, wenn weniger gnädige Richter
ein Urteil fällen.

Von: Ralph Kunz

22. Januar

Einen andern Grund kann niemand legen ausser dem,
der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
1. Korinther 3,11

Wenn Paulus über den Grund redet, hat er seine Gründe. Die
Gemeinde in Korinth ist daran, den Boden unter den Füssen
zu verlieren. Es gibt offensichtlich ein paar besonders einflussreiche
Gestalten in der kleinen Gemeinschaft, die meinen,
sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und es sei okay,
andere um sich scharen, die sie bewundern. Korinth wird zu
einer Gemeinde für charismatische Rosinenpicker – nomen
est omen. Ob Rosinen, Sultaninen oder Korinthen: Paulus
ist das Tuttifrutti unheimlich. Haben wir es mit einer ersten
Sektenbildung zu tun? Jedenfalls stellt der Apostel die Möchtegern-
Erleuchteten samt ihren Anhängern gehörig in den
Senkel. Wie macht er das? Indem er sie an das Fundament
erinnert. Der Vergleich ist vielleicht etwas gewagt, aber mir
leuchtet er ein. Paulus verweist die Ekklesia auf ihre Verfassung.
Er sagt: «Passt auf, wenn ihr in eurem Enthusiasmus
euch selbst zu religiösen Autoritäten erklärt. Unsere Glaubensbasis
hat ein anderer gelegt, Jesus Christus.» Sagt er, der
Gründer der korinthischen Gemeinde.
Wir brauchen von Zeit zu Zeit einen theologischen Bodenleger.
Irre ich mich, oder ist unsere Kirche diesbezüglich in
einer schlechten Verfassung? Genug Studentenfutter für
einen Sonntag …

Von: Ralph Kunz

22. November

In allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in Schlä-gen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten  und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben. 2. Korinther 6,4.5.8–9

Was für eine gruselige Aufzählung! Wenn ich Theologiestudierenden ihren zukünftigen Beruf schmackhaft machen will, muss ich andere Listen präsentieren: Lohnklasse 21, Pfarrhaus, Ansehen und ein sicherer Job. Die Chancen stehen nicht schlecht – es herrscht Mangel an Pfarrpersonen. Ach, Paulus, was bist du doch für ein Spielverderber! Mit deinen Aussichten auf ein Leben in Mühen und Wachen finden wir keinen Nachwuchs. Wenn da nicht die Erfahrung wäre, die (nicht nur Pfarrpersonen) machen: wie tief und reich ein Leben in der Nachfolge Jesu ist, mit welcher Kraft die ausgerüstet werden, die sich in den Dienst Gottes stellen und welches Glück – ja Glück! – es sein kann, im Widerstand zu wachsen, Zeuge zu sein für das Abenteuer,  in das uns  Gottes Ruf   hineinleitet.

«Und siehe, wir leben.» Das Leben, von dem Paulus spricht, ist keine Party, kein Zuckerschlecken und keine Wohlfühloase. Es ist ein Pilgern an ein Ziel, das vor uns liegt. Gott sei Dank mit wunderbaren Unterbrechungen, in denen wir das Geschenk der Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern feiern, erfüllt vom Vorgeschmack einer Freiheit, die uns manchmal weinen macht und immer wieder jubeln lässt.

Von Ralph Kunz

23. Januar

Ich will dem HERRN singen mein Leben lang
und meinen Gott loben, solange ich bin.       

Psalm 104,33

Der Lobgesang auf den Schöpfer mündet in ein Gelübde des Geschöpfs, lebenslänglich Gott zu ehren. Es sieht darin – modern gesagt – den Sinn seines Lebens. Der Sänger nimmt seinen Mund ganz schön voll. Was treibt ihn dazu? Erhofft er sich eine Karriere als religiöser Schlagersänger? Ist es eine Pflicht, die er zu erfüllen hat?
Nichts von alledem! Für den Dichter ist die Antwort Teil des Gedichts.
«Möge ihm mein Dichten gefallen. Ich will mich freuen am Herrn.» (Vers 34)
Gott loben ist eine Herzensangelegenheit; der Mund ist voll, weil das Herz überfliesst. Man fragt sich: Ist der Sänger nicht zu überschwänglich? Er verzichtet auf jede Dissonanz. Im Psalter gibt es genug Beispiele dafür, dass auch das Leiden an Gott und der Welt eine Herzensangelegenheit ist, die  im Lied ihren Ausdruck findet. Dieses Lied hier antwortet aber auf das Lied, das der erste Dichter erfunden hat. Der Philosoph Hartmut Rosa fände hier das perfekte Beispiel für eine «vertikale Resonanz». Es schwingt, singt und klingt aus diesem Psalm der Überschwang der Freude, ein Lied, das die Geistkraft am Anfang der Schöpfung angestimmt hat. Sie hat Freude an ihrem Werk. Also hat ihr Geschöpf Freude an ihr.
Könnte es sein, dass der Sinn der Schöpfung darin liegt, jetzt schon auf den Klang der Freude zu lauschen, der am Ende aller Tage allen Missklang übertönt? Wie fragte der Berner Sänger Kurt Marti so schön: «ich hörte klang – ist klang der sinn?»

Von Ralph Kunz

22. Januar

Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift,  wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.     Jesaja 9,4

Diese Worte des Propheten – gesättigt mit der Erfahrung unermesslichen Leids und nach Gerechtigkeit hungernd – sind Worte in Gottes Ohr und zugleich Worte aus seinem Mund! Sie verheissen das Ende der Gewalt, eine glückliche Wende. Wer wird sie herbeiführen? Es folgt eine Weissagung, die offenbar schon erfüllt ist: «Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heisst Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.»
Gemäss jüdischer Tradition war mit dem Sar-Schalom (Prinz des Friedens) der gerechte israelische König Hiskija gemeint, der in den Jahren von 727 bis 698 v. Chr. über Juda herrschte. Allerdings dauerte Hiskijas Friedensreich nicht «von nun an bis in Ewigkeit» (Jesaja 9,6). In der christlichen Auslegung ist der Friedefürst ein Hoheitstitel für Jesus von Nazareth. Der christliche Glaube zehrt, wenn man so will, vom Verheissungsüberschuss Israels. Mit welchem Recht? Ist mit Jesus das Friedensreich gekommen? Müssig, so zu fragen … Der Überschuss ist geblieben – ein Anlass, IHM, auf den wir hoffen, unser Ohr zu leihen und seinem Wort nachzuleben: «Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.» (Matthäus 5,9)

Von Ralph Kunz