Lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue
auf dich!
Psalm 25,20

Der Ausdruck «zuschanden werden» ist nicht gerade Alltagssprache.
Wir sagen «lass mich nicht scheitern» oder
«enttäusche mich nicht». In der altertümlichen Wendung
«Schande» steckt aber etwas drin, das moderne Übersetzungen
verpassen. Die Angst des Beters ist es, in Schande zu
geraten, gedemütigt und beschämt zu werden, dass andere
auf ihn zeigen und über ihn spotten: «Schau nur, was für
ein Versager!» Dass die Feinde triumphieren, ist die Schreckensvorstellung
schlechthin. Davor soll Gott ihn bewahren.
Was uns zunächst fremd erscheint, ist beim näheren
Hinsehen sehr aktuell. Wie wichtig ist es doch bis heute,
dass Menschen ihr Gesicht wahren können. Selbst wenn
sie schuldig geworden sind und sich ihrer Schuld bewusst
sind, hoffen sie, dass die Ankläger ihnen einen Rest Würde
lassen. Feinde sind Menschen, die die Schwäche der Gegner
gnadenlos ausnutzen, um sie fertigzumachen. Sie nutzen
die Schwachstelle. Das kann die moralische Schuld sein, ein
Mangel an Mut, ein Fehler … Der Beter bittet um Bewahrung
seiner Seele, um Vergebung und den Beistand Gottes. Früher
oder später wird er straucheln. Das ist menschlich. Aber er
weiss, dass Gott nicht gnadenlos verurteilt. Er traut Gott. Das
kann lebenswichtig werden, wenn weniger gnädige Richter
ein Urteil fällen.

Von: Ralph Kunz