Kategorie: Texte

14. Dezember

Wenn ich rufe zu dir, HERR, mein Fels,
so schweige mir nicht. Psalm 28,1

«Felsen reden – sie vollenden unsere Gebete.» Das haben
wir von Stan McKay gelernt. Stan gehört zur Fisher River
Cree Nation in Kanada. Er war nicht nur Moderator der
United Church of Canada, sondern auch der Kommission
des Ökumenischen Rates der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden
und Schöpfung. Stan erzählte die alte Überlieferung
der Cree: «Nachdem die Felsen geschaffen wurden, fragte
sie Schöpfergott, was sie für die Schöpfung tun wollten. Die
Felsen antworteten, sie werden für die Menschen beten.»
Die Cree sind überzeugt: Felsen treten für die Menschen ein.
Auch in der Bibel sind Felsen lebendige Wesen der Schöpfung.
Als das Gottesvolk in der Wüste lagerte und um Mirjam
trauerte, als es weder Nahrung noch Wasser gab, als
Durst und Verzweiflung schier unerträglich waren, sprach
Gott zu Mose: «Rede mit den Felsen! Sie werden euch Wasser
geben.»
Felsen reden – aber wir hören ihre Botschaft nicht. Wir
leben zu flüchtig und zu schnell. Felsen haben viel mehr Zeit,
Millionen und Milliarden von Jahren. Mit Felsen reden, mit
Pflanzen reden, mit Tieren reden, mit Menschen reden – das
ist fortwährende Kommunikation mit Gott. Die Gemeinschaft
des Lebens ist eine Gebetsgemeinschaft. Sie wird
unsere Gebete zu Gott vollenden. Sie zeugt von Respekt, sie
stiftet Vertrauen und schenkt Liebe.

Von: Barbara und Martin Robra

13. Dezember

Und ich sah die heilige Stadt: das neue Jerusalem.
Sie kam von Gott aus dem Himmel herab – für die
Hochzeit bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann
geschmückt hat. Und ich hörte eine laute Stimme
vom Thron her rufen: Sieh her: Gottes Wohnung ist
bei den Menschen! Offenbarung 21,2–3

Die Himmel sind zerrissen und offen. Gott ist wieder bei den
Menschen. Ich denke, eine andere Art der Auferstehung ist
es, wenn Gott in dieser Welt spürbar ist, er unter uns ist.
So schrieb mir ein Leser der Bolderntexte kürzlich folgende
Worte: «Auferstehung ist demnach die Kraft des Himmlischen
im Irdischen. Sie kann als einzige Kraft, Gewalt, Gier,
Zerstörung, Selbstbetrug und Verzweiflung überwinden
und wandeln.» Und er fügte ein Gedicht von Marie Luise
Kaschnitz bei. Es schildert in modernen Worten, wie Gott
im Alltag unter uns Menschen ist.
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
(…)
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Wie erleben Sie Gottes Wohnung unter den Menschen?

Von: Kathrin Asper

12. Dezember

Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab!
Jesaja 63,19

Gott hält sich fern, der Tempel ist zerstört, die Juden müssen
in fremdem Land fremden Herren dienen. In diesem Volksklagegebet
ist Gott abwesend, er hält sich bedeckt.
Im Dreissigjährigen Krieg dichtete Friedrich Spee in Anlehnung
an diese Jesajatexte das Adventslied: «O Heiland, reiss
die Himmel auf, reiss ab vom Himmel Tor und Tür …». Im
Negro Spiritual heisst es: «Swing low, sweet chariot, coming
for to carry me home.» Auch für die Schwarzen in Amerika,
fern ihrer Wurzeln und ihrer Heimat, war der Himmel zu,
verriegelt und Gott abwesend, und sie bitten, endlich in die
himmlische Heimat zu gelangen, endlich ein besseres Leben
zu haben. Und heute, wo so viele Kriege herrschen und nicht
enden wollen, ist es der Schrei der Betroffenen und die Hoffnung
derer, die hilflos zuschauen müssen, dass die Himmel
sich öffneten und Gott wieder unter ihnen weilte.
Doch nicht nur kollektiv gilt die heutige Losung, auch in
der privaten Vereinzelung fühlen sich Menschen von Gott
getrennt, erfahren ihn als einen Gott, der fernab ist und sich
nicht um die Not und das Elend eines einzelnen Menschen
kümmert. Da ist es schon viel, dass er mit obigem Vers sprechen
kann und hofft, die Himmel öffneten sich und es werde
wieder Licht. Für viele Heutige ist die Vorstellung, dass da
einer ist, der unser Leben begleitet und an den man sich wenden
kann, fremd. Sie können sich nur an sich selbst wenden,
sich anstrengen, dass die lichtlose Zeit ein Ende finde. Das ist
noch schlimmer als Gottferne.

Von: Kathrin Asper

11. Dezember

Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich
zu mir gezogen aus lauter Güte. Jeremia 31,3

Evangelium! Ein ganzes Kapitel lang – eine Verheissung nach
der anderen für ein Volk, das trauert, zerstreut und zerschlagen
ist. So spricht Gott: «Sie werden weinend kommen, aber
ich will sie trösten und leiten.» Gott gibt sich zu erkennen.
«Denn ich bin Israels Vater und Ephraim ist mein erstgeborener
Sohn.» (Jeremia 31,9)
Es ist der Wendepunkt im Beziehungsdrama zwischen
Gott und seinem Volk, ein Neuanfang und gleichzeitig ein
Wiederanknüpfen an dem, was den Bund zusammenhält –
der initialen, kreativen und radikalen Liebe Gottes. Sie heilt
das, was zerbrochen ist. Sie befreit von der Schuld und überwindet
die Kluft. Jetzt ist es an Israel, den Bund zu erneuern,
das Herz zu öffnen und Gottes Einladung zur Versöhnung
anzunehmen. Aber wie soll es weitergehen?
Meint es Gott ernst mit seinem Erbarmen? Oder poltert
er beim nächsten Fehltritt wieder drauflos, zürnt und straft
der Vater seine Kinder, wenn sie sich von ihm abwenden?
Nein! Weil sich Gott entschieden hat, seine Pädagogik zu
ändern. Wenn wir scheitern, bekommen wir keine Prügel.
Wenn wir fallen – und unseren Fall bekennen – spüren wir
eine Liebe, die uns je und je geliebt hat, wieder aufrichtet, leitet,
tröstet und ermutigt, die zu werden, die wir sein können.
Denn er hat uns zu sich gezogen aus lauter Güte!

Von: Ralph Kunz

10. Dezember

Du bist gross, Herr HERR! Denn es ist keiner wie du,
und ist kein Gott ausser dir nach allem, was wir mit
unsern Ohren gehört haben. 2. Samuel 7,22

Der Gedanke, dass Gott gross ist, gehört zum Standardrepertoire
des christlichen Glaubens. Unsere Ohren sind schon
derart auf die monotheistische Sendung eingestellt, dass
wir den Anspruch in der Ansage nicht mehr hören. Der
Gott, dessen Name aus Respekt nicht ausgesprochen wird,
wird als der einzige Gott gepriesen – also gibt es andere, die
als Götter verehrt werden, aber eigentlich Götzen sind. Im
säkularen Niemandsland heisst es Gott oder Mensch, im
alten Orient Gott unter Göttern. Die Israeliten hörten von
ihnen und sahen mit ihren Augen die Macht der Völker, die
sie verehrten. Es ist David, der König Israels, der behauptet,
sein Gott ist der Schöpfer. Das ist verwegen! Verglichen mit
den Philistern, Syrern oder Ägyptern sind die Israeliten eine
kleine Nummer. David antwortet auf eine Verheissung, die
der Prophet Nathan ihm und dem Volk gibt: dass ein Tempel
für Gott gebaut wird und sein Königshaus ewig bestehen
soll (1. Samuel 7,16). Das ist alles lange her und topaktuell.
Weil der Nachkomme Davids, der keine Armee befehligte
und wenig von Machpolitik hielt, glaubt, dass Gott gross
ist – grösser als die Götter, die mit Geld um sich werfen und
über Leichen gehen. Sie werden untergehen. Und sein Reich
wird kommen.

Von: Ralph Kunz

9. Dezember

Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet.
Ich habe es getan; ich will heben und tragen
und erretten. Jesaja 46,4

Es ist viel von Rumschleppen die Rede in diesem Kapitel.
Zuerst werden gestürzte babylonische Götter von Mauleseln
weggetragen, dann teilt Gott den Israeliten mit, dass er sie
ein Leben lang trägt (und erträgt), und schliesslich macht
Gott sich lustig über jene, die selbstgebastelte Götterbilder
mit viel Aufwand auf ganz besondere Plätze wuchten.
Gestern schenkten mir meine Nachbarin und ihr Mann
einen Abschnitt aus der Regel der Diakonissen von Reuilly,
in dem unter anderen steht: «Nimm dir Zeit, in Freundschaft
mit dir selbst zu leben. Atme. Hol mal wieder Luft. Empfange
den Frieden Christi.»
Diese wunderbaren Sätze kamen im rechten Moment zu
mir, der ich auch immer vieles rumschleppe: Sorgen, Verantwortungen,
Ungelöstes und dazwischen auch mal einen
kleinen, hausgemachten Götzen. Gott will mich tragen, ein
Leben lang. Aber ich vermute, dass er auch will, dass die
Last leichter wird. Weil die Sätze aus Reuilly wie ein Echo auf
Jesaja klingen, will ich sie mir zu Herzen nehmen und Ballast
abwerfen. Das ist gar nicht so einfach, weil einige der Lasten
ein Teil von mir geworden sind. Ich ahne, dass gerade diese
als Erstes runtermüssten. Grau bin ich schon. Also sollte ich
wohl langsam damit anfangen.

Von: Heiner Schubert

8. Dezember

Du wirst mit deinem Gott zurückkehren.
Halte fest an Liebe und Recht und hoffe stets
auf deinen Gott! Hosea 12,7

Das Buch Hosea kenne ich in etwa so gut wie viele wohl die
Death-Metal-Band Pantokrator. Wir können aber am gestrigen
Text anknüpfen von der Richtung her.
Sei zuversichtlich und vertrau auf deinen Gott! Hoffe, lass
nicht locker, lies deine Bolderntexte oder hör deine Podcasts,
stöbere in der Bibel und unterhalte dich mit Menschen, versuch
nicht zu schubladisieren, denk auch Unmögliches, sei
kreativ und probier auch die künstliche Intelligenz einmal
aus, bleib auf der Suche und lass dich nicht versuchen von
dieser Welt, mach tägliche stille Zeiten, hilf deinem alten
Nachbarn, hör deine Lieblingsmusik, teile deine Tränen und
deine Freuden, übe dich in Gelassenheit, mach einem hübschen
Menschen ein Kompliment, lass dich tätowieren, zeig
deinen Bauch, spende für ein Kinderhilfswerk, trag auch mal
einen Rock, trink einmal ein Bier zu viel, umarme deinen
letzten Feind, hab Erbarmen mit dem Bettler beim Bahnhof,
feiere das Leben, bring dich ein, beweg dich genügend, achte
auf deine Gedanken, sei dir selber und dem, was dir wichtig
ist, treu und halte fest an Liebe und Recht und hoffe stets
auf deinen Gott!
Das Leben ist wunderbar, voll und farbig. Und für mich
gehört dieser Gott der Liebe und der Gerechtigkeit dazu!

Von: Markus Bürki

7. Dezember

Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind.
Psalm 146,8

Im Psalm 146 redet (oder singt?) der Psalmist (die Psalmistin?)
von den Gottlosen. Wer sind die Gottlosen? Wer sind
die, welche nicht mit ganzem Herzen auf die Hilfe und Treue
des Gottes Jakobs setzen? Wer sind die, welche den Wettlauf
auf der Erde nicht schaffen und nur in der Hölle enden
können? Je nach Glaubensgemeinschaft gibt es nur sehr
wenige, die richtig glauben. Wir Reformierten sind da so
oder so ziemlich von Gott abgefallen. Zu liberal, zu beliebig,
zu weltoffen, zu wenig fromm, zu unstrukturiert, zu oft mit
Nebensächlichem beschäftigt.
Ich zähle mich bei weitem nicht zu den Gottlosen! Aber ich
zähle mich auch nicht zu denen, die anderen sagen müssen,
wie «richtig glauben» geht. Meine drei im Moment prägenden
Punkte im Glauben sind:

  1. Von Gott bin ich bedingungslos geliebt und gewollt, ich
    bin gut genau so, wie ich bin.
  2. Dank Jesus Christus habe ich meine Freiheit gefunden
    und dank dem Glauben an ihn bin ich frei geworden.
  3. Im Blick auf die Welt und die Zukunft der Menschheit
    habe ich begründete Hoffnung, dass es noch einmal besser
    wird, gut kommt. Noch knapper: Ich muss nichts, weil ich
    schon gut bin, ich lebe in liebender Freiheit und ich erstarre
    nicht ob der schrecklichen Zustände in dieser Welt. «Der
    HERR richtet auf!» Schon probiert heute?

Von: Markus Bürki

6. Dezember

O HERR, hilf! O HERR, lass wohlgelingen! Psalm 118,25

Für den Ruf um Hilfe kennt die Bibel ein eigenes Wort.
Laute Schreie drücken die Not und die Verzweiflung aus, die
jemand in einer extremen Situation erlebt. Menschen sind
in einer Notlage, die sie nicht allein bewältigen können. Sie
wenden sich an jemanden, dem sie zutrauen, dass er helfen
kann. Zum Beispiel an den König, der in einer lebensbedrohlichen
Not für Gerechtigkeit sorgen soll. Oder an Mitmenschen,
die zufällig anwesend sind und ihre Augen vor einer
Gewalttat nicht verschliessen sollen.
Der gleiche Ruf wird auch an Gott gerichtet. Im Buch der
Richter heisst es mehr als einmal: «Die Israeliten schrien zum
HERRN um Hilfe. Und der HERR liess für die Israeliten einen
Helfer aufstehen. Und er kam ihnen zu Hilfe: Otniel, der Sohn
von Kenas.» (Richter 3,9)
Gott lässt die Leidenden nicht allein. Er schickt jemanden,
der ihnen zu Hilfe kommt. Jemanden, der Hilfe in ihre
schwierige Situation bringt. Der Losungsvers enthält genau
den Wortlaut eines solchen Hilferufs: «Ach, HERR, komm
doch zu Hilfe! Ach, HERR, lass es doch gelingen!» Die Wörtchen
«ach» und «doch» unterstreichen die Dringlichkeit,
sie stehen für die Lautstärke des Schreis. Im zweiten Teil des
Verses steht die Bitte: Die Hilfe soll nicht nur ein gutgemeinter
Versuch sein. Sie soll tatsächlich Erfolg haben.

Von: Andreas Egli

5. Dezember

HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!
Psalm 85,8

Was meint das Wort chäsäd, das hier mit Gnade, besser
aber mit Güte übersetzt wird? Ein Beispiel findet sich in den
Erzählungen über Josef. Er sitzt im Gefängnis und lernt dort
einen Mitgefangenen kennen, den Obermundschenk des
Pharao. Dieser erzählt einen Traum, und Josef gibt ihm eine
hoffnungsvolle Deutung. Er werde in drei Tagen aus dem
Gefängnis entlassen und könne sein Amt wieder übernehmen.
Josef schliesst eine persönliche Bitte an: «Aber denk
an mich, wenn es dir wieder gut geht. Tu mir bitte einen
Gefallen. Ruf mich beim Pharao in Erinnerung und hilf mir,
dass ich das Gefängnis verlassen kann.» (1. Mose 40,14) Güte
ist eine gegenseitige Solidarität in einer Beziehung. «Tu mir
bitte einen Gefallen.» Güte zeigt sich darin, dass jemand
dem anderen etwas zuliebe tut. Sie geht über das hinaus,
was eine selbstverständliche Pflicht wäre. Güte ist die Bereitschaft,
für einen anderen da zu sein, der es nötig hat. Güte ist
aber nicht garantiert, und Josefs Bitte wird enttäuscht: «Der
Obermundschenk dachte nicht mehr an Josef und vergass
ihn.» (1. Mose 40,23)
Anders ist es, wenn die Bibel mit dem Wort Güte von Gott
spricht. «Danket dem HERRN, denn er ist gut. Ja, für alle Zeit
ist seine Güte.» (Psalm 136,1) Mit diesem Vertrauen bittet
der Losungsvers: «Lass uns, HERR, deine Güte sehen und
gib uns deine Hilfe.»

Von: Andreas Egli