Kategorie: Texte

15. September

Und viele, die zuhörten, verwunderten sich und
sprachen: Ist der nicht der Zimmermann?
Markus 6,2.3

Welchen Beruf Jesus einst genau ausgeübt hatte, ist nicht ganz klar. Vielleicht war er als Bauhandwerker beim Neuaufbau der in der Nähe von Nazaret liegenden Residenzstadt Sepphoris tätig. Vielleicht hatte er auch bäuerliches Gerät wie Pflüge und Joche hergestellt.
Jedenfalls hat er seinen Job in jungen Jahren aufgegeben. Seither verkündet er als Wanderprediger das «Geheimnis des Gottesreichs» (Markus 4,11) und verwirklicht es kraft seiner Wundertaten.
Nun kehrt er zurück in sein Heimatdorf. Die Synagoge ist voll, viele wollen ihn hören, eine Frage folgt der anderen, alle reden durcheinander. Man ist skeptisch ihm gegenüber. Man kennt ihn, man weiss, aus welcher Familie er stammt, welcher Arbeit er nachgegangen war. Man meint, ihn «in bekannte Kategorien eingliedern» zu können (E. Schweizer).
Doch der Messias ist nicht integrierbar, er ist anders, grösser. Er ist, wie der Apostel Paulus mit denselben Worten wie Markus 6,2 sagt, «Kraft Gottes» (das griechische Wort Dynamis, «Kraft», bedeutet in Markus 6,2: «Krafttaten») und «Weisheit Gottes» (1. Korinther 1,24).
Aus dieser Kraft und Weisheit Gottes leben auch wir. Durch sie, in ihnen werden auch wir die Horizonte des eigenen Gewordenseins weit überschreiten.

Von: Andreas Fischer

14. September

Als der Sohn noch weit entfernt war, sah ihn
sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und
fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Lukas 15,20

Martin Werlen, der frühere Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln, betont zu Recht: «Seine Not treibt den Verlorenen Sohn zurück nach Hause, nicht etwa die Liebe zu seinem Vater. Er will wenigstens wieder etwas zu essen haben.» Beim Vater verhält es sich anders: «Er hat ihn erwartet, hat nach ihm Ausschau gehalten, seine Liebe ist nicht erloschen.»
Das Mitgefühl des Vaters (es jammerte ihn) kommt von tief unten. Das entsprechende Wort im griechischen Urtext leitet sich von den Eingeweiden ab. Dort also, in den Eingeweiden, ist der Sitz der väterlichen Empathie.
Weiter ist es gegen jede Sitte, dass der Vater dem Sohn entgegenrennt. Ein würdiger Orientale rennt nicht, selbst wenn er es eilig hat. Dazu müsste er nämlich sein langes Gewand mit den Händen hochheben, und die nackten Waden würden sichtbar.
Der Kuss schliesslich ist in der Bibel Geste der Versöhnung. Mit dieser Geste kommt der Vater dem Schuldbekenntnis des Sohnes zuvor. Das in Vers 21 folgende Schuldbekenntnis hinkt hinterher. Es hat keine Bedeutung mehr.

Von: Andreas Fischer

13. September

Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht;
was können mir Menschen tun?
Psalm 56,12

Die Zürcher Bibel übersetzt dem Urtext gemässer und, wie ich finde, kraftvoller: «Auf Gott vertraue ich, und ich fürchte mich nicht. Was kann ein Mensch mir tun?» Ich versuche, den Satz nachzusprechen, ihm nachzuspüren … Es fühlt sich gut an: stark, frei, aufrecht, unerschrocken, selbstgewiss. Wäre ich das – im Fall?
Ich denke an Menschen, auf die dieser Satz nach meinem Empfinden zutrifft: die Witwe aus dem Lukasevangelium, die mutig und beharrlich vor Gericht ihr Recht einfordert (Lukas 18), oder Petrus und die anderen, die unerschrocken dem Hohen Rat entgegnen: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apostelgeschichte 5); oder Martin Luther und sein «Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir!». Dietrich Bonhoeffer kommt mir in den Sinn und sein gleichermassen von Selbstzweifeln und Vertrauen geprägtes Gedicht «Wer bin ich». Ich denke an die vor wenigen Wochen verstorbene Margot Friedländer, Überlebende der Shoa, die im hohen Alter nach Berlin zurückgekehrt war und sich unermüdlich für Versöhnung und gegen Hass, Feindschaft und Unmenschlichkeit eingesetzt hat. «Seid Menschen!» lautet ihre Botschaft – so einfach, und so herausfordernd.
Gottvertrauen macht mutig und frei. Es befreit von der Sorge um mich selbst; es lehrt mich den aufrechten Gang und den unerschrockenen Blick – beides täglich zu üben.

Von: Annegret Brauch

12. September

Fürchte dich nicht vor plötzlichem Schrecken;
denn der HERR ist deine Zuversicht.
Sprüche 3,25.26

Wie sieht gute Lebensführung aus? Wie gelingt ein Leben, das Wohlergehen, Zufriedenheit und Weisheit verspricht? Und was kann ich selber dazu tun? Solche und ähnliche Fragen bilden den Hintergrund des Buchs der Sprüche. Es will Einsichten und Regeln vermitteln, die helfen, ein gutes Leben zu führen; modern gesprochen: eine Art Lebensratgeber. Dabei geht es davon aus, dass eine Lebensführung, die sich von Gerechtigkeit und Rücksichtnahme leiten lässt, zum Wohlergehen des/der Einzelnen wie der Gemeinschaft beiträgt. In meinen Ohren klingt das erstaunlich aktuell und zukunftsweisend – und wird gleichzeitig tagtäglich vielfach und in einem Ausmass hintertrieben, dass es mir manchmal den Atem nimmt und ich mich fassungslos frage: Wo wird das alles hinführen? – Erschrecken, Wut, Ohnmacht drohen mir Hoffnung und Zuversicht zu rauben.
Die heutige Losung stellt dem Schrecken Gottvertrauen und Zuversicht entgegen: «Fürchte dich nicht vor plötzlichem Schrecken; denn der HERR ist deine Zuversicht.» Sie durchbricht die Verzagtheit meiner Gedanken, sie erinnert mich daran, dass ich gehalten bin von der Ewigen auch im grössten Schrecken.
«Nada te turbe, nada te espante … Solo Dios basta.»
«Nichts soll dich verwirren, nichts soll dich beirren … Gott nur besteht.» (Teresa von Avila)

Von: Annegret Brauch

11. September

Ich bin der HERR. Was ich rede, das soll geschehen
und sich nicht lange hinausziehen.
Hesekiel 12,25

Von Erich Kästner gibt es den schönen Aphorismus mit dem Titel «Moral», der eine Mahnung an Sprücheklopfer enthält, die nur reden, aber nicht handeln: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.» Das Wort des Propheten verspricht, dass Gott tut, was Gott sagt – und dann erst noch schnell. Gott macht keine leeren Versprechungen, Gott ist tatkräftig und erst noch effizient. Was Gott redet, wird bald geschehen, keine Terminprobleme und keine Verzögerungen!
Jesus nimmt den Ball auf und kündigt an, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist (Markus 1,15). Nun ist das so eine Sache mit dieser «Nähe». Klopfen wir den Spruch! Gott hat viel versprochen und noch ist nicht alles eingetroffen. Es zieht sich schon sehr lange hin, und den Himmel auf Erden haben wir noch nicht. Ich denke an das Leid und an das Elend in der Welt. Muss das noch einmal zweitausend Jahre so weitergehen? Nein, denke ich, muss es nicht, und weiss auch nicht, wie lange «nicht lange» dauert.
Aber eines weiss ich. Wenn wir beten «dein Wille geschehe», nimmt uns das in Anspruch. Gott wartet auf unsere Bereitschaft zur Vergebung, unsere Nächstenliebe.
Es gibt nichts Gutes, ausser es tut sich etwas unter uns. Ich stelle mich also besser auf einen längeren Prozess ein und bin froh, hat Gott Geduld und macht nicht kurzen Prozess mit uns.

Von: Ralph Kunz

10. September

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Römer 8,38–39

Es bricht regelrecht aus Paulus heraus, so begeistert ist er von der Liebe Gottes in Christus. Sein hymnisches Lob hat eine kosmische Weite. Alle Mächte werden aufgezählt, die uns von der Liebe scheiden könnten. Aber sie sind machtlos gegen die Übermacht der göttlichen Liebe. Einzig und allein, weil sie in Christus Jesus befestigt ist!
Etwas Gewisseres vermag Paulus nicht zu denken und etwas Grösseres nicht aufzubieten. Die Liebe, die Christus Jesus ist, ist das Herz der Schöpfung, Quelle alles Seienden, Anfang und Ende aller Kreatur und darum ewigwährend, unzerstörbar, alles überbietend, alles überwindend – auch den Tod und selbst die herrenlosen Mächte, die uns jetzt noch das Leben schwer machen.
Ich will es gerne glauben, auch wenn ich gewiss bin, dass weder Saulus noch Paulus Übermenschen waren. Auch Paulus kannte Momente der Anfechtung, in denen sich ein Spalt des Zweifels auftat. Er würde erst recht darauf beharren, dass es die Liebe Gottes ist, der wir vertrauen. Selbst wenn wir zweifeln. Denn die Treue Gottes ist grösser als unsere Untreue!

Von: Ralph Kunz

9. September

Es hat dem HERRN gefallen,
euch zu seinem Volk zu machen.
1. Samuel 12,22

Ein Wort, das Vertrauen weckt. Gott lässt sein Volk nicht im Stich, er steht zu seinem Entschluss. Ich darf darauf vertrauen, dass er nicht launisch handelt. Gott selbst hat ja Gefallen an dem, was er bewirkt.
Treue ist nicht selbstverständlich. Wenn ich erwarte, dass mir meine Freunde die Treue halten, muss auch ich meinen Beitrag dafür leisten. Aber wahre Freunde bleiben trotz Fehlern treu. Unachtsame Kommunikation kann eine Freundschaft bedrohen. Auf Reue folgt aber Vergebung. Freundschaft basiert auf Geben und Nehmen, und mit Freunden verbringen wir gerne Zeit.
Hier redet Samuel zum Volk, weil er ihm Gewissheit geben will, dass Gott treu ist. Gott steht mit seinem Volk in einer Beziehung. Wie in einer Freundschaft geht es auch in dieser Beziehung um Geben und Nehmen, um Reue und Vergebung. Wir Menschen erkennen oft erst in der Not, dass wir Gott brauchen. Und dann sind wir verunsichert und fragen: Habe ich Gott etwas gegeben? Habe ich seine Gaben mit Dankbarkeit angenommen und bin ich mit seiner Schöpfung verantwortlich umgegangen? Wenn ich plötzlich nach Gott frage und mir dann einfällt, dass ich kaum etwas gegeben habe, und ich dies bereue, darf ich mit Vergebung rechnen.
Ich darf mich darauf verlassen, dass Gott an der Beziehung zu uns festhält, denn Gott selbst hat Gefallen an ihr.

Von: Monika Britt

8. September

Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung. Galater 5,22–23

Als ich begann, diesen Paulustext auf mich wirken zu lassen und mir Gedanken dazu zu machen, kam mir dieser Vers verblüffend vertraut vor. Dieser Reigen an menschenverbindenden Tugenden und Gemütszuständen weckte weiche, angenehme Gefühle in mir – mit Ausnahme vielleicht der «Selbstbeherrschung», die etwas altmodisch daherkommt. Und schon wollte ich etwas darüber schreiben, dass auch uns, die wir nicht so bibelfest sind und viele Jahrhunderte nach dem Verfassen der Testamente leben, das Göttliche und seine «geistigen Früchte» nahe erscheinen. Doch dann merkte ich zufällig, dass mir bereits letztes Jahr für einen anderen Tag genau dieser Text zugelost worden war. Das berührte mich und stellte eine ganz besondere innere Verbindung zu diesem Vers her. Und plötzlich beschäftigten mich die Unterschiede von einst und heute. Dabei wurde mir bewusst, wie die Bibel aus ihrer Zeit gelesen immer eine neue Aktualität gewinnt. Denn bei der Lektüre dieses Mal kommen mir diese Tugenden noch viel schützenswerter vor, weil sich die Welt inzwischen noch mehr ins Gegenteil verwandelt hat. Lasst uns daran arbeiten, dass wir die Paulusworte an die Galater sorgsam in uns immer wieder aufsagen und sie dort wirken lassen, wo wir zusehen müssen, wie sich die Menschheit in eine andere Richtung entwickelt.

Von: Esther Hürlimann

7. September

Jesus legte die Hände auf die verkrümmte Frau;
und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott
. Lukas 13,13

Das Bild schmerzt. Eine Frau, bis zur Entstellung erdrückt und in sich zusammengesunken. Der aufrechte Gang, der den Menschen zum Gegenüber macht, gebrochen. Der Geist krank. Seit achtzehn Jahren schon ist die Frau Gefangene eines Leidens, erzählt uns Lukas in diesem Buch. Und doch ist sie in die Synagoge gekommen, um Jesus zu hören. Als Jesus die Frau sieht, ruft er sie zu sich, legt ihr die Hände auf, und sogleich wird sie von ihren Fesseln befreit. Sie richtet sich auf und preist Gott.
Zu schön, um wahr zu sein? Es handelt sich um ein Gleichnis. Lesen wir diesen Vers als ein Symbol dafür, dass der Schritt, sich ein Leiden einzugestehen und Hilfe anzunehmen, der Anfang sein kann, uns von den Fesseln einer grossen Sorge zu befreien. Gehen wir davon aus, dass die Frau schon lange mit sich gerungen hat und dem Besuch in der Synagoge ein innerer Prozess vorausgegangen ist. Sie hat von Jesus gehört und gedacht, dass er ihr helfen könnte. Nehmen wir diesen Vers als Ermutigung, nicht alles allein zu buckeln, weil es für manche Sorgen oder Bürden im Alltag Unterstützung gibt, um eine Last loszuwerden oder sich von einer Fessel zu befreien. Vielleicht ist es keine aufgelegte Hand, dafür aber ein Gespräch oder andere Formen der Berührung. Geben wir uns heute einen Ruck, um etwas, das schon länger auf uns lastet, loszuwerden. Und seien wir dankbar.

Von: Esther Hürlimann

6. September

Gott spricht: Ich will für Israel wie der Tau sein,
dass es blüht wie eine Lilie.
Hosea 14,6

Einfach nur wunderbar. Grossartige verheissungsvolle Worte. Herrlich: Bilder von Wachstum und Erneuerung. Gott wird für sein Volk da sein, um es zu erfrischen und ihm zu helfen, zu gedeihen und stark zu werden.
Der Tau ist ein Symbol für Erfrischung, Erneuerung und Leben. Tau spendet Feuchtigkeit und bringt die Pflanzen zum Blühen.
Die Lilie ist eine schöne und zarte Blume. Die Lilie symbolisiert Reinheit und Schönheit. Diese Verheissung deutet auf eine Zeit des Aufblühens und der Freude für Israel hin.
Alles in allem weht mir da heute viel Hoffnung entgegen. Hoffnung spielt in der Lebensbewältigung eine zentrale Rolle. Hoffnung spendet mir Trost und motiviert zur positiven Gestaltung des Alltags. Hoffnung ist mehr als nur eine positive Erwartung. Hoffnung ist eine innere Haltung, die uns antreibt, an eine bessere Zukunft zu glauben, auch wenn die Umstände gerade schwierig sind. Hoffnung verleiht uns Kraft, Mut und Ausdauer, um Herausforderungen zu meistern.
Hoffnung hilft mir, schwierige Situationen besser zu verstehen. Hoffnung ermutigt mich, positiv in die Zukunft zu schauen und aktiv an der Gestaltung meines Lebens mitzuwirken. Vielleicht suche ich heute in der Gärtnerei noch nach einer Lilie …

Von: Carsten Marx