15. Mai

HERR, sei unser Arm alle Morgen, ja, unser Heil zur Zeit
der Trübsal!
Jesaja 33,2

«All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad’ und
grosse Treu. Sie hat kein End, den langen Tag, drauf jeder sich
verlassen mag.» Dieses wunderbare Lied aus dem Gesangbuch
gehört zu meinen Lieblingsliedern. Jeden Morgen, egal,
wie der gestrige Tag war, egal, wie die vergangene Nacht:
Gottes Gnade, sein Arm, an dem ich mich halten kann, ist da.
Frisch und frei kann ich aufstehen und einen neuen Anfang
machen. Ein neuer Tag liegt vor mir, an dem ich mich für
Gottes Gerechtigkeit einsetzen kann. Eine neue Chance zu
lernen, dass in Gott mein Heil liegt.


Ein Lied aus der Reformationszeit. Einer schwierigen, turbulenten
Zeit. Und auch da hofften Menschen jeden Morgen
und überliessen den kommenden Tag nicht der Verzweiflung.
Jesaja betet aus der Not zu Gott. Jerusalem ist belagert und
er schreit zum Himmel: «Herr, sei uns gnädig. Sei unser Beistand
jeden Morgen und unsere Hilfe in der Zeit der Not.»
Diesen Worten habe ich in unseren Tagen nichts beizufügen.
Ich wiederhole sie einfach laut vor mich hin. Einmal, zweimal,
dreimal.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

14. Mai

Da sprach Jesus zu den Zwölfen:
Wollt ihr auch weggehen?
Johannes 6,67

Die Situation spitzt sich zu. Wer Jesus nachfolgen will, muss
sich entscheiden. Jesus hat im Johannesevangelium eine nicht
ganz einfache Rede gehalten. An deren Ende wenden sich
viele von ihm ab. «Das ist eine harte Rede, wer kann sie
hören?», fragen sogar die Jünger. Sie stehen vor der Entscheidung.
Weiter mit Jesus unterwegs sein? Oder zurück ins alte
Leben? Für Petrus, den Musterschüler, ist klar: «Herr, wohin
sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Und
wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.»


Ich bedaure, dass uns die Evangelisten an keiner Stelle darüber
berichten, dass Jesus auch gelacht habe. Es würde ihm
so gut anstehen. Gerade auch an dieser Stelle. Mir scheint,
wer ihm nachfolgen will, darf annehmen, was er schenkt:
«Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt.
Bleibt in meiner Liebe! Das habe ich euch gesagt, damit
meine Freude in euch sei!» (Johannes 15,11) Wir haben sein
Wort und darin seine Gegenwart, uns geschenkt, damit seine
Freude in uns bleibe.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

13. Mai

Jesus spricht: Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich
will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen,
und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

Johannes 16,22

Im August ist der Geburtstermin unseres dritten Enkelkindes.
Bis zum Tag der Geburt leben wir in der freudigen
Erwartung, endlich dieses neue Leben, das im Bauch unserer
Tochter heranwächst, zu sehen und zu begrüssen. Zugleich
bleibt immer die Sorge, dass es Mutter und Kind weiter gut
gehen wird und es bei der Geburt nicht zu Komplikationen
kommt.
Auch wenn Väter bei der Geburt dabei sein dürfen, es ist
die Mutter, die durch das Tor unsäglicher Schmerzen geht,
bevor sie im Gefühl tiefsten Glücks ihr Kind in die Arme
schliesst. Nach Johannes vergleicht Jesus seinen Tod und
seine Auferstehung direkt vor dem Lehrtext in Vers 21 mit
der Geburt eines Kindes: Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat
sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie
aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst
um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen
ist.

Mit Tod und Auferstehung Jesu bricht neues Leben mit der
elementaren Schöpferkraft des Heiligen Geistes in diese Welt
ein. Mitten in der Dunkelheit von Schmerz und Traurigkeit
leuchtet die Freude auf über das Kommen Gottes.

Von: Barbara und Martin Robra

12. Mai

Ein drittes Mal fragte Jesus: Simon, Sohn von Johannes,
liebst du mich? Petrus wurde traurig, weil er ihn ein
drittes Mal fragte: Liebst du mich? Er sagte zu ihm:
Herr, du weisst alles, du weisst auch, dass ich dich
liebe! Jesus sagte zu ihm: Sorge für meine Schafe!

Johannes 21,17

Einmal reicht. Zweimal ist einmal zu viel. Aber: Aller guten
Dinge sind drei. Liebst du mich? Traurig, aber wahr: Der
Allwissende fragt einmal, zweimal, dreimal. Muss das sein?
Dann keine Antwort, auch keine Bitte, sondern ein Befehl:
Sorge für meine Schafe!
Ohne Liebe geht das nicht. Ohne wahre, tiefe, innige Liebe
ist das nicht möglich. Denn für Schafe sorgen heisst: ein
Nomadenleben führen; Tag und Nacht, Sommer wie Winter
mit der Herde unterwegs sein; Hitze und Kälte ertragen,
Sonne und Regen; Futter im felsigen Gelände und Wasser
in der Dürre suchen; Schutz vor Gewitter und Schneesturm
herrichten; kranke Tiere pflegen; übermütige Jungtiere
besänftigen; schwachen Muttertieren helfen, Neugeborene
versorgen, wilde Tiere vertreiben … und damit: die Natur, die
Mitwelt, das Leben schützen.
Schafe hüten – wer das tut, vertraut dem Leben und übernimmt
mit Leib und Seele Verantwortung – tagaus, tagein.
Wer das tut, sagt nicht nur einmal, sondern immer wieder:
Ich liebe dich. Wer das tut, liebt wirklich und wahrhaftig.

Von: Barbara und Martin Robra

11. Mai

Gott verletzt und verbindet;
er zerschlägt und seine Hand heilt.
Hiob 5,18

Hiobs Freund Elifas versucht den Schwergeprüften in seinem
Leid zu trösten. Er macht ihm Hoffnung damit, dass
auch in der Schwachheit ein Grund zur Hoffnung liegt.
Denn Gott lässt seine Menschen auch in grosser Not nicht
allein. Aber kein Lebenswandel, und sei er noch so fromm
und ohne Schuld, bewahrt vor Schicksalsschlägen. Es gibt
keine «Garantie» für ein glückliches Leben. Aber es gibt eine
grosse Zuversicht, hört Hiob von Elifas: Gott bleibt da. Zu
jeder Zeit. Wenn er, Hiob, auch «da» bleibt. Wenn er sich
also von seinem Leid und Schmerz nicht von Gott trennen
lässt. Wenn er seinen Glauben daran, dass Gott seine Situation
wenden kann, behält. Auch wenn das eine grosse Herausforderung
ist, kann es möglich werden, wenn der Notleidende
seine Not beklagt. Wenn er offen zu Gott ist – und so
auch offen für Gott bleibt. Gott ist bei den Schwachen und
Armen. Ihnen gilt seine Liebe zuerst. Aber genau in solchen
Situationen
fällt es oft schwer, einen zugewandten Gott im
Herzen zu bewahren. Auch Hiob entgleitet die Kontrolle
über seine Worte, sein Unmut über Gott ist stärker. Aber: Er
wendet sich damit nicht von Gott ab, sondern – im Gegenteil
– ihm zu! Ob das uns hier auch gelingen kann …?
Gott, wir bitten um die Kraft, bei dir zu bleiben, auch wenn
es uns schlecht geht und so vieles gegen dich spricht!

Von: Hans Strub

10. Mai

Der HERR spricht: Ich will mich zu euch wenden
und will euch fruchtbar machen und euch mehren
und will meinen Bund mit euch halten.
3. Mose 26,9

Das ganze Kapitel 26 fasst nochmals zusammen, was in den
vorangegangenen Teilen detailliert beschrieben ist: Gott
verpflichtet sich seinem Volk gegenüber – und baut darauf,
dass auch es seinen Teil aus dem Bundesvertrag einhält,
die erlassenen «Satzungen» befolgt und so seine Heiligkeit
respektiert (Verse 1–3). Dann wird über dem Land und
dem Volk Gottes Segen liegen und seine Zukunft sichern
(Verse 4–13). Viermal in einem einzigen Vers steht hier
«euch»! Viermal sagt Gott an und zu, dass er das Beste für
sein Volk will. Viermal zeigt Gott, wie ernst es ihm ist und
wie sehr ihm daran liegt, dass das Volk eine segensvolle
Zukunft hat. Wer so spricht, muss sehr lieben und unter
allen Umständen wollen, dass es «euch»/uns gut geht. Diese
Liebe geht allem, was kommt, voraus! Verhalten und Handeln
des Volkes sind nachgeordnet und eine Folge dieser
zugesagten Liebe. Eigentlich kann es gar nicht anders, als sich
dieser grossen Zuwendung dankbar zu erweisen – für die es
keine Vorleistung brauchte! Es tut gut, gerade in diesen unerwartet
düster gewordenen Zeiten diese uneingeschränkte
Hinwendung unseres Gottes zu hören und in unserer Seele
abzuspeichern. Und unseren eigenen Teil als Bundesgenossinnen
und -genossen nach besten Kräften und mit unerschütterlichem
Willen zu übernehmen.

Von: Hans Strub

9. Mai

Seid allezeit fröhlich. 1. Thessalonicher 5,16

Die Freude, schreibt der grosse Schweizer katholische Theologe
Hans Urs von Balthasar (1905–1988) in einem Kommentar
zum heutigen Lehrtext mit Feuereifer, «ist striktes Gebot,
deshalb ist Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, schlechte
Laune, Verdrossenheit, mürrisches, verschlossenes Wesen,
Schwermut einfachhin Sünde». Ich bin, denke ich an dem
Nachmittag, an dem ich diese kleine Betrachtung schreibe,
ein grosser Sünder. Die Stimmung hängt situativ tief wie die
Wolken draussen am Himmel. Ich tröste mich mit der Feststellung,
die der österreichisch-amerikanische
Psychotherapeut
Paul Watzlawick (1921–2007) im Buch «Anleitung zum
Unglücklichsein» macht: Es gebe, sagt er ironisch, jene Dickhäuter,
die «schon immer der Ansicht sind, dass gelegentliche
Traurigkeit ein unvermeidbarer Teil des Alltagslebens
ist». Der heutige Lehrtext könnte als typisches Beispiel
für das gelten, was Watzlawick als Sei-
spontan-Paradoxie bezeichnet: Sich auf Befehl zu freuen, ist schwierig und kann
krank machen. Doch ist es, scheint mir, nicht diese Paradoxie,
welche der Lehrtext meint. Sondern jene, die in der Liedzeile
«In dir ist Freude / in allem Leide» (RG 652) zur Sprache
kommt. Weiter heisst es dort: «Durch dich wir haben /
himmlische Gaben.» Die Freude ist eine solche Gabe. Sie
strömt uns – «allezeit» und unabhängig von der situativen
Befindlichkeit – zu aus jener Dimension, in die Christus aufgestiegen
ist am heutigen Tag.

Von: Andreas Fischer

8. Mai

Erneuert euch in eurem Geist und Sinn. Epheser 4, 23

Die genaue Übersetzung des heutigen Lehrtexts würde
vermutlich
so lauten: «Lasst euch erneuern durch den Geist,
der in eurer Vernunft wirksam ist.» Es geht also nicht um
aktives Erneuern, sondern darum, die Erneuerung zuzulassen.
Sie erfolgt durch den «Geist», der also nicht der
menschliche, sondern der göttliche Geist ist. Weiter meint
die «Vernunft» den Intellekt, doch nicht nur, sie meint auch
umfassender eine Haltung, die sich im Handeln äussert.
Vielleicht beschreibt das neudeutsche Wort «Mindset» die
Bedeutung am besten. Und noch etwas: Die Erneuerung
erfolgt nicht plötzlich, in einem Augenblick. Vielmehr, wie
es in einem Kommentar schön heisst, werden die Christenmenschen
«immer wieder hineinversetzt in das geheimnisvolle,
wunderbare Kraftfeld dieser Erneuerung, die ihnen
widerfährt». Es erinnert mich an das Lied, das mein Vater
selig gern mit uns sang, als wir Kinder waren: «All Morgen
ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und grosse Treu»
(RG 557). Indessen ist das «Kraftfeld», welches die «Geistkraft
» (das hebräische Wort «Ruach», das auch Wind und
Atem bedeutet, ist weiblich) generiert, irgendwie noch
anders als jenes des «Herrn»: Es verbindet mich mit dem
Rauschen des Winds, mit Inspiration und Intuition und mit
meinem Atem: Zu ihm zurückzukehren, «all Morgen» und
immer mal wieder mitten im Alltag, hat tatsächlich erneuernde,
erfrischende, erquickende Kraft.

Von: Andreas Fischer

7. Mai

Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. Unser Gott
kommt und schweiget nicht.
Psalm 50,2–3

Lassen Sie uns mal den ganzen historisch-
kritischen Teil
überspringen und uns mit der Frage beschäftigen, wie unser
Gott kommt und nicht schweigt.
Es klingelt an der Tür, wir öffnen und Gott steht vor der
Tür? Wohl eher nicht.
Es klingelt, jemand steht vor der Tür und will uns etwas
Wichtiges erzählen will. Schon eher!
Was immer es auch ist, was da nun erzählt oder berichtet
wird, es berührt uns und motiviert uns zu einem Handeln
oder einem Unterlassen.
In den letzten Wochen sind in Deutschland viele hunderttausend
Menschen auf die Strasse gegangen, um die demokratische
und rechtsstaatliche Verfassung dieses Landes zu
stärken. Sie haben sich dabei oft auch gegen Tendenzen von
Menschenfeindlichkeit und rechtem Extremismus ausgesprochen.
Gott hat keine anderen Arme, Beine und Münder als die
unseren. Unser Gott schweigt nicht, sondern redet durch
und mit uns. Der schöne Glanz Gottes nimmt dort Gestalt
an, wo wir als Glaubende, mit allem, was uns ausmacht, für
eine gerechte und menschenwürdige Welt eintreten und
sie gestalten.
Dort, wo wir schweigen bei der Herabsetzung anderer oder
bei Hass und Gewalt, dort schweigt auch Gott und kann nicht
gehört werden – das ist schon eine grosse Verantwortung.

Von: Rolf Bielefeld

6. Mai

Der Herr ist treu; der wird euch stärken und
bewahren vor dem Bösen.
2. Thessalonicher 3,3

Dieser von Paulus zitierte Zuspruch ist in seinem zweiten Teil
wahrscheinlich von vielen in den letzten Monaten mindestens
gewünscht worden. Das «Bewahren vor Bösem» ist so
alt wie die Menschheit. In vielen Epochen ist daraus geradezu
ein Geschäftsmodell gemacht worden, bei dem vermeintlicher
Schutz und vermeintliche Sicherheit verkauft werden.
Ich bin sicher, Paulus ging es nicht um Schutz und Sicherheit,
sondern ihm ging es um das Erhalten der zentralen
Lehre Jesu. Er wollte sicherstellen, dass die junge Gemeinde
mit Hoffnung in die Zukunft schaut und sich den Dingen
verpflichtet weiss, die dem Leben und der gemeinsamen
Entwicklung dienen. Genau auf diesem Weg wird Gottes
Treue wirksam.
Nun denn – wo stehen wir denn heute? Gottes Treue ist
unverändert, haben wir denn den Weg hin zum Leben, weg
von seiner Einschränkung und/oder Vernichtung genommen?
Die schlichte wie wahre Antwort ist wohl: «eher
nicht!»
Unser Heimatplanet ist in einem so schlechten Zustand,
wie er wohl noch nie war. Umweltzerstörung, Hunger, Krieg
und Tod sind allgegenwärtig.
Und doch sind überall Menschen unterwegs, sich gegen all
dieses «Böse» zu stemmen. Viele Glaubende sind darunter
und bilden so ein sehr lebendiges Zeugnis dafür, das Gott
treu, bei ihnen ist, sie stärkt und bewahrt.

Von: Rolf Bielefeld