Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen,
sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen,
damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich lädst.
3. Mose 19,17

Die heutige Losung spricht die Beziehungen zu Menschen
an. Und doch möchte ich sie auch auf Strukturen beziehen,
denn diese lassen mich selber mit all den Verstrickungen
Schuld auf mich laden. Was ist mit den Geldern meiner Pensionskasse?
Es geht nicht um Hass. Vielmehr geht es darum,
eine Haltung einzunehmen, die einen bewussten Umgang
mit unseren Verstrickungen pflegt, diese hinterfragt. Es ist
ja nicht so, dass ich durch das, was ich nicht beeinflussen
kann, Schuld auf mich lade. In unserem Text geht es um ein
individuelles Verhalten. Ich meine aber, dass er uns trotzdem
einlädt, unser Verhalten den Strukturen gegenüber zu reflektieren.
Und so, wie die Losung eine Haltung auch im sozialen
Bereich vorschreibt, so lädt sie uns ein, global zu denken und
mitzuwirken – da, wo wir etwas verändern können. Wir können
zum Beispiel unsere Stimme erheben, wenn wir eingeladen
werden, eine Petition zu unterschreiben, die von Konzernen
mehr Verantwortung verlangt. Könnte das gemeint sein,
wenn der Text sagt, dass wir «den Nächsten» zurechtweisen
sollen? Und noch etwas: Die individuelle Schuld erdrückt
uns. Das braucht zu viel Kraft. Die Mitverantwortung für die
Menschen und die Schöpfung soll uns nicht zur Last werden.
Schenke du die Hoffnung auf Veränderung.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud