Voll Mitleid und Erbarmen ist der Herr. Jakobus 5,11

Gott hat viele Namen. Ganz bestimmt zählt «Buchhalterin»
nicht dazu. Gott berechnet nicht, wer wie viel Mitleid zugute
hat. Er zieht nicht Bilanz, wem wie viel Erbarmen zusteht.
Vor Gott sind wir alle gleich. Für alle ist genug da. Aber wir
führen uns dennoch oft als Buchhalter auf. Wir lassen den
einen mehr Mitgefühl zukommen als anderen – weil sie uns
sympathischer sind, vertrauter. Oder weil wir in Rechnung
stellen, dass sie uns schon mal geholfen haben oder wir noch
auf sie angewiesen sein könnten. Die Journalistin Christine
Wiedemann spricht von der «Ökonomie der Empathie». Es
gebe Richtungen, in die Empathie frei fliessen könne, und
andere, wo der Fluss blockiert sei.
Christine Wiedemann will, dass das, was gesellschaftliche
Gruppen in der Geschichte erlitten haben oder in der Gegenwart
erleiden, nicht in Konkurrenz zueinander gestellt wird.
Opferzahlen gehören nicht auf Waagschalen. Zum Beispiel
die Shoah, die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen
und Juden, und die Nakba, die Vertreibung der Palästinenserinnen
und Palästinenser aus ihrem Land. Gott ist voll
Mitleid und Erbarmen: Er will, was Christine Wiedemann
so beschreibt: «eine Welt, in der es keine Hierarchie von
Leiderfahrungen
mehr gibt und keinen Schmerz, der nicht
zählt».

Von: Matthias Hui