Was euch gesagt wird in das Ohr,
das verkündigt auf den Dächern. Matthäus 10,27

In den antiken Häusern gab es fensterlose Kammern. Was
man sich dort drin im Dunkeln ins Ohr geflüstert hat, soll
nun auf den Dächern ausgerufen werden. Die Hausdächer
waren Teil des Lebensraums. Dazu gehörte auch die Konversation
unter Nachbarn. Was dort oben geplaudert wurde,
das war nachher im ganzen Dorf bekannt. Die Worte, die
Jesus hier spricht, sind ursprünglich wohl eine Sentenz über
den Dorfklatsch. – Der Evangelist Lukas (12,1–3) bezieht
die Worte auf die Pharisäer, welche Jesus als «getünchte Gräber
» bezeichnet: Die Fassade ist blitzsauber, innen
verbirgt sich Moder und Müll. Die Worte Jesu, in diesem
Sinn verstanden, ermutigen dazu, sich dem «Schatten»
(C. G. Jung) zu öffnen, den dunklen Zonen der Seele. Sie
werden einst sowieso ans Tageslicht kommen. – Der Evangelist
Matthäus, in unserem heutigen Lehrtext, gibt der
Sentenz nochmals einen anderen Sinn: Aus der Begegnung
mit dem «Schatten» entsteht eine neue Ganzheit, eine Persönlichkeit,
die um das eigene Dunkel weiss, es integriert hat
und entsprechend integer ist. Sie ist im Kontakt mit dem
Wesenszentrum, dem «Christus in mir». Diesen gilt es zu
«verkündigen». – Als einer, der dies Sonntag für Sonntag zu
tun hat, würde ich sagen: Wichtiger als das Predigen in der
Öffentlichkeit ist das Ohr-Sein, das Lauschen im Dunkeln.
Daraus werden die wesentlichen Worte entstehen.

Von: Andreas Fischer