Schlagwort: Gert Rüppell

14. Juni

Freut euch! Lasst alle Menschen eure Freundlichkeit
spüren. Der Herr ist nahe.
Philipper 4,4–5


Sanftmut, Nachsicht, Aufgeschlossenheit, Herzensgüte,
Warmherzigkeit, Langmut sind einige der Begriffe, die sich
bei der Suche nach einem Synonym für Freundlichkeit im
Lexikon finden lassen. Sie verweisen zugleich auf das, was
der Inhalt des «Freut euch!» ist.
Hier wird ein Verhalten angesprochen, das in der Zeit der
Abfassung des Philipperbriefes von der Naherwartung, der
Hoffnung auf die baldige Wiederkehr Christi geprägt war. Ist
es damit ein Text von «ehemals», ohne Relevanz für heute?
Oder drückt er so etwas wie einen kategorischen Imperativ
des Christseins aus?
Ich fand es interessant, den Text von hinten her zu lesen.
Dann bedeutet, dass der Herr nahe ist, wenn allen Menschen
unsere Freundlichkeit in der obigen Verhaltensweise
entgegentritt. Wenn sie uns, unter anderem, als nachsichtig,
freundlich erleben. So, das wird mir deutlich, kommt auch
bei mir grosse Freude auf. Denn durch die von mir praktizierte
Herzensgüte, Warmherzigkeit in Langmut und Nachsicht,
anstelle von Ungeduld, Feindschaft und Gewalt, ist
der Herr und Vater Jesu Christi tatsächlich allen Menschen
nahe. So ist sie nicht von «ehemals», sondern eine Losung
für heute, gesprochen in unsere spannungsreiche Zeit, die
danach ruft, alle Menschen an gegenseitiger innerer und
äusserer Freude aktiv teilhaben zu lassen.

Von: Gert Rüppell

13. Juni

So lass nun deine Kraft, o Herr, gross werden,
wie du gesagt hast.
4. Mose 14,17


Im Kontext der Losung geht es Gott um die Bestrafung des
murrenden, ungläubigen Volkes Israel. Angesichts seines
Misstrauens und Unglaubens weigert Gott sich, es in das
versprochene
Land zu bringen. Da schaltet sich Mose ein
und argumentiert mit Gott, dem er – man ist versucht zu
sagen: in schelmischer Weise – vorführt, was für erbärmliche
Konsequenzen solches Handeln für Gottes Image hätte.
Ein Image, das ihn nicht nur in den Augen der Gegner als
Schwächling und unvollkommen darstellt, sondern vor allem
als einen Gott, der geduldig und barmherzig ist und Fehler
verzeiht. Mose erinnert Gott, dass er nicht nur ein befreiender,
sondern auch ein gnädiger Gott ist. Ein Gott, von dem
Maria, laut Lehrtext, später sagen wird, dass er grosse Dinge
an ihr getan hat. An diese Fähigkeit, grosse Dinge zu tun und
kein Gott der Strafaktionen zu sein, erinnert Mose Gott.
Dieser Dialog behandelt eine der Kerneinsichten unseres
Glaubens: Sola gratia. Wir sind bei all unserem Verhalten
immer neu auf die versprochene Kraft, auf die Gnade Gottes
angewiesen. Aus dem Zweifel, das macht diese Losung für
mich deutlich, führt in einem dialogischen Glauben der Weg
in das Gespräch mit Gott. Aus dem Zweifel führt der Weg
in das Gebet, das Ringen mit Gott, dessen Antwort bei Gott
liegt. Aber, das zeigt der Kontext heute, eine Antwort, die
die Kraft Gottes als Kraft eines barmherzigen Gottes zeigt.

Von: Gert Rüppell

14. April

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass
ich dem David einen gerechten Spross erwecken will.
Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht
und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Jeremia 23,5

Dieser so weihnachtliche Text soll hier in Rückschau auf
Ostern reflektiert werden. Ich sitze da, mit vier Adventskerzen,
wenige Tage vor Heiligabend, und überlege, wie mich
sowohl der Aspekt des gerechten Sprosses, der erweckt
werden soll, anregt wie auch die Vorstellung von einer von
Recht und Gerechtigkeit geprägten Herrschaft im Lande,
das heisst unserer Welt. Besonders der Aspekt des gerechten
Sprosses, der erweckt wird, verbindet dieses Weihnachten,
als Fest der Inkarnation, mit Ostern, dem Fest der Auferweckung,
auf das wir zurückblicken.
Eine Herrschaft wird hier dargestellt, die «wohl regiert»,
also das Wohl aller zum Thema hat. Gottes Wohl, das in
den Schriften von Thora bis Offenbarung als von Recht und
Gerechtigkeit geprägt beschrieben wird. Sicherlich werden
wir keine Könige, aber vielleicht ja, im Gefolge der Auferstehung,
zu Sprösslingen? Sprösslinge, die Recht und Gerechtigkeit
in ihrem Umfeld bewahren und erwirken? Mit solchem
Engagement könnten wir uns von der «letzten Generation»
zur ersten Generation mausern, die nicht aus Furcht vor dem
Tod ein Leben der Knechtschaft führt! Sondern zu Agenten
einer neuen, dem Wohle aller Menschen dienenden Wirklichkeit
wird. So werden in unserem Tun Weihnachten und
Ostern zusammengebunden. Christos anesti!

Von: Gert Rüpel

13. April

HERR, nach deiner grossen Barmherzigkeit hast du mit
deinem Volk nicht ein Ende gemacht noch es verlassen.
Nehemia 9,31

«Jahwe hat getröstet» bedeutet Nehemias Name, der im
Kontext der Losung dem Volk eine lange Kette an Verfehlungen
vorhält. Er durchläuft Israels Geschichte mit seinem Gott
als eine Geschichte voll von Verneinung und Bejahung der
Gottesbeziehung. Eine von Abfall und Rückkehr. Eine, in der
Gott, trotz Abfall und Übermut Israels, sich nicht abwendet,
sondern immer neu zuwendet. Gott verlässt seine «Liebe»
nicht. Nehemia nennt es Erbarmen. Im Jahresabschlusskonzert
unserer Philharmonie gab es Beethovens 9. Symphonie,
in der es heisst: «Brüder, über’m Sternenzelt muss ein lieber
Vater wohnen.» Ein Bild Schillers, das um den fürsorglichen
«Vater» der Menschheit weiss. Einer Menschheit, die in
Abfall, Egoismen, Konkurrenzkampf ihre Einheit verspielt
und nicht Gottes schöpfungsgewollte Barmherzigkeit lebt,
Ich schreibe diesen Text, wenn sich für viele Menschen
ein Jahr dem Ende zuneigt, das zum Annus horribilis wurde.
Nicht weil der barmherzige Gott verschwand, sondern weil
wir, denen die Umsetzung seiner Liebe anvertraut ist, uns
allzu oft unserer Aufgabe entzogen. Der Text erscheint im
Frühjahr, wenn die Natur darauf verweist, dass immer ein
Neubeginn möglich ist. Nehemias Worte machen deutlich,
dass dieser Neubeginn immer auch von Gottes Barmherzigkeit
begleitet sein kann, die wir Menschen weitergeben
dürfen, ja können. Denn Gott hat sein Volk nicht verlassen!

Von: Gert Rüppell