HERR, nach deiner grossen Barmherzigkeit hast du mit
deinem Volk nicht ein Ende gemacht noch es verlassen.
Nehemia 9,31

«Jahwe hat getröstet» bedeutet Nehemias Name, der im
Kontext der Losung dem Volk eine lange Kette an Verfehlungen
vorhält. Er durchläuft Israels Geschichte mit seinem Gott
als eine Geschichte voll von Verneinung und Bejahung der
Gottesbeziehung. Eine von Abfall und Rückkehr. Eine, in der
Gott, trotz Abfall und Übermut Israels, sich nicht abwendet,
sondern immer neu zuwendet. Gott verlässt seine «Liebe»
nicht. Nehemia nennt es Erbarmen. Im Jahresabschlusskonzert
unserer Philharmonie gab es Beethovens 9. Symphonie,
in der es heisst: «Brüder, über’m Sternenzelt muss ein lieber
Vater wohnen.» Ein Bild Schillers, das um den fürsorglichen
«Vater» der Menschheit weiss. Einer Menschheit, die in
Abfall, Egoismen, Konkurrenzkampf ihre Einheit verspielt
und nicht Gottes schöpfungsgewollte Barmherzigkeit lebt,
Ich schreibe diesen Text, wenn sich für viele Menschen
ein Jahr dem Ende zuneigt, das zum Annus horribilis wurde.
Nicht weil der barmherzige Gott verschwand, sondern weil
wir, denen die Umsetzung seiner Liebe anvertraut ist, uns
allzu oft unserer Aufgabe entzogen. Der Text erscheint im
Frühjahr, wenn die Natur darauf verweist, dass immer ein
Neubeginn möglich ist. Nehemias Worte machen deutlich,
dass dieser Neubeginn immer auch von Gottes Barmherzigkeit
begleitet sein kann, die wir Menschen weitergeben
dürfen, ja können. Denn Gott hat sein Volk nicht verlassen!

Von: Gert Rüppell