Monat: November 2024

11. November

Die Israeliten werden umkehren und den HERRN, ihren
Gott, suchen, und werden mit Zittern zu dem HERRN
und seiner Gnade kommen in letzter Zeit.
Hosea 3,5

«… und den Herrn, ihren Gott, suchen. Und in fernen Tagen
werden sie zitternd zum Herrn kommen und zu seiner
Güte.» Die Zürcher Übersetzung lässt noch etwas deutlicher
diese schwache Spur einer positiven Entwicklung des
Volkes am Horizont erahnen. Vorher aber wird Israel (Hosea
meint das abgespaltene Nordreich, das 722 endgültig aus
der Geschichte getilgt wird) wegen seines Abfalls von Gott
und der Zuwendung zu anderen Göttern Schweres erleiden
müssen. In den folgenden Kapiteln werden die Gottesstrafen,
die über die Menschen kommen, präzis benannt
und in ihrer ganzen Heftigkeit beschrieben. In der Düsterkeit
seiner Reden an das Volk hat es ein paar kleine «Wolkenlöcher
», durch die etwas Himmelsblau wenigstens kurz zu
sehen ist. Gott hat sein Volk nicht einfach ganz verlassen –
eine Rest-Hoffnung bleibt ihm. Und an die können sich die
Menschen klammern … In einer verdunkelten Welt haben
solche «Durchblicke auf Zukunft» eine sehr hohe Bedeutung.
Auch der ziemlich unbarmherzige Prophet lässt ein
Stück Hoffnung zu. Er zeigt aber ebenso deutlich, dass das
Volk gut daran tut, die Nähe Gottes intensiv zu suchen. Gott
lässt sich finden, auch wenn es manchmal anstrengend ist.
Das zu hören, ist wichtig, gerade in Zeiten wie jetzt: Auch da
leuchtet Gottes Gnade oft durch Wolkenlöcher.

Von: Hans Strub

10. November

Meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er
hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit
dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet.
Jesaja 61,10

Ein Mensch, strahlend vor Freude und von Gott erfüllt,
wünscht, dass alle Menschen, die am Wiederaufbau des
zerstörten Jerusalem beteiligt sind, so empfinden und mit
dieser Gewissheit leben können: Gott verwandelt die Menschen,
die ihm folgen, und schenkt ihnen eine neue und
gute Zukunft. Das Kleid gibt mir neue Kraft, Zuversicht und
Mut («Heil»), der Mantel darüber macht mich zu einem
«Agenten der Gerechtigkeit», zu jemandem also, dem es
zentral wichtig ist, dass niemand mehr Unrecht ausgesetzt
ist, sondern in Würde, Ruhe und Frieden ein selbstverantwortetes
Leben leben kann. In geradezu poetischen Bildern
wird dem Volk, das sich neu finden muss, eine Verheissung
gegeben und ein Auftrag. Dieser ist im ersten Vers des vorangehenden
Kapitels formuliert: «Mache dich auf, werde licht!
Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn ist
aufgestrahlt über dir». (Vers 60,1) Die Verheissung wird in
Vers 61,11 nochmals deutlich gemacht: «So wird Gott, der
Herr, Gerechtigkeit spriessen lassen …». Verheissung und
Auftrag sind heute wieder sehr aktuell und herausfordernd:
Wir alle, die diesen Vers hören, bekommen im kleinen oder
im grossen eigenen Umfeld diese «Kleider des Heils» angezogen
– und werden dadurch zum Heil für andere.

Von: Hans Strub

9. November

Lobet den HERRN, alle seine Werke, an allen Orten
seiner Herrschaft! Lobe den HERRN, meine Seele!

Psalm 103,22

Der 103. Psalm ist einer der berühmtesten und berührendsten
biblischen Texte. Viele, vielleicht auch Sie, kennen
die ersten vier Verse auswendig. Falls nicht und Sie einen
Moment Zeit haben, lesen Sie sie nach. Sie sind von grosser
Schönheit und Tiefe.
Lange schon ist der Forschung aufgefallen, dass das Unservater
Motive aus diesen Versen aufnimmt – den heiligen
Namen, das Vergeben der Schuld, die Sättigung. Später im
Psalm kommen noch die Bilder von Gott als Vater (Vers 13)
und als Himmelskönig (Vers 19) hinzu.
Der «Vater im Himmel» ist zugleich nah wie ein Vater beziehungsweise
eine Mutter (im erwähnten Vers 13 ist vom «Erbarmen
» die Rede; das Wort im hebräischen Urtext ist verwandt
mit «Mutterschoss») und weltumspannender Pantokrator.
Entsprechend stehen in der heutigen Losung Weltall und
Seele parallel: Der ganze Kosmos erhebt seinen Lobgesang,
und auch mein Innerstes lobt Gott.
Wer weiss, vielleicht sind beide, Seele und Welt, gar nicht
voneinander getrennt, so wie auch Gottes intime Nähe und
kosmische Weite eins sind. Meister Eckhart sagt:
«Es ist eine Kraft in der Seele, die ist weiter als die ganze
Welt.»

Von: Andreas Fischer

8. November

Bist du neidisch, weil ich so grosszügig bin? So werden
die Letzten die Ersten sein.
Matthäus 20,15–16

Der heutige Lehrtext steht am Ende der Parabel Jesu von
den Arbeitern im Weinberg. Es lohnt sich, die Story wieder
einmal – möglichst unvoreingenommen – zu lesen. Dann,
scheint mir, zeigt sich: Die Güte des Gutsherrn hält sich in
engen Grenzen. Statt seine eigene Grosszügigkeit hervorzuheben
und den enttäuschten Taglöhnern vorzuwerfen,
dass sie neidisch seien, könnte er ihnen wenigstens erklären,
dass er im Moment nicht mehr übrighabe und in erster
Linie gewährleisten wolle, dass alle irgendwie durchkommen.
Stattdessen stösst er die armen Arbeiter vor den Kopf – und
mit ihnen irgendwie auch uns.
An diesem Punkt, wo man ratlos stehenbleibt, hilft die
grossartige Auslegung der Parabel durch den Schweizer
Theologen Leonhard Ragaz (1868–1945) weiter: In unserem
menschlichen Bewusstsein, sagt Ragaz sinngemäss, ist die
Vorstellung tief eingeprägt, dass ich einen Anspruch auf den
von mir erworbenen Besitz habe. Diese Vorstellung mag in
dieser Welt ihr relatives Recht haben.
Die Parabel aber zeigt, dass vor Gott eine andere Wirklichkeit
gilt: Der einzige Gutsbesitzer im Himmel und auf Erden
ist Gott. Wir Menschenkinder sind allesamt Taglöhner, die
ihren täglichen Denar empfangen. Wir alle empfangen –
unverfügbar, frei von Verdienst – unser Leben sola gratia,
allein aus Gnade, Atemzug für Atemzug als Geschenk.

Von: Andreas Fischer

7. November

Hilf uns, HERR, unser Gott;
denn wir verlassen uns auf dich.
2. Chronik 14,10

Was für eine Ansage!
Der Chronist betrachtet die Zeit der Könige Judas ab Salomon
und gibt seine persönlichen Bewertungen ab.
Es sei ihm gegönnt!
Angesichts von Politik- und Regierungshandeln in allen
Gesellschaften ist der Ausruf, den wir hier vor Augen haben,
nur zu verständlich. Auch in den Beziehungen zwischen
gleichen oder verschiedenen Geschlechtern kommt uns
dieser Ausruf wohl das eine oder andere Mal in den Sinn.
Ich frage mich allerdings, was macht denn Verlässlichkeit
in meinen Augen eigentlich aus? Es ist doch meine Erfahrung
mit anderen Menschen in sehr unterschiedlichen Situationen.
Die Erfahrung, dass Wort und Tat übereinstimmen. Die
Erfahrung, dass Loyalität bedingungslos gewährt wird. Die
Erfahrung, dass Kritik mit Liebe und Verständnis geübt wird.
Sich auf jemanden verlassen ist eine Mischung aus Erfahrung
und Gefühl. Alle, die in einer Partnerschaft leben, wissen
nur zu gut darum.
So ist es auch mit der grossen Politik: Erfahrung und Gefühl!
Hier wie dort muss sich die Verlässlichkeit täglich neu
beweisen und erntet Vertrauen und Sicherheit.
Und so kann dann dieser Vers auch leicht abgewandelt
werden: «Du darfst dich auf mich verlassen, aber leben und
deinen Weg gehen musst du schon selbständig!»

Von: Rolf Bielefeld

6. November

Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
die loben dich immerdar.
Psalm 84,5

In einem Haus (Wohnung) wohnen ist nicht unbedingt
mehr eine Selbstverständlichkeit für alle. Das war wohl in
der Zeit des Psalmisten nicht anders, auch wenn er hier im
wesentlichen Gott loben will.
Es ist also keine Erkenntnis der Neuzeit, dass eine Wohnung
zu haben, die Grundlage für ein sicheres und zufriedenes
Leben ist. Dies zu sagen, angesichts von millionenfacher
Flucht und Vertreibung, von sich häufenden Wetterkatastrophen
als Folge des Klimawandels, ist schon eine tapfere Ansage.
All die Umstände, die dazu führen, dass Menschen ihr
Zuhause verlieren oder erst gar keines finden, sind ebenfalls
von Menschen gemacht.
Na prima – dann wollen wir jetzt mal alle in tiefe Depression
verfallen und darauf hoffen, dass es irgendjemand schon
richten wird!
In Ordnung – das machen wir jetzt ganz bestimmt nicht.
Wir sehen all die Initiativen von ungezählten Menschen, die
sich gegen diese Entwicklungen stellen. Die die Ursachen
und ihre Verursacher bekämpfen und sich dabei ihrer eigenen
Menschlichkeit und Verletzlichkeit bewusst sind. Und es
sind so viele Glaubende dabei, die in ihrem Handeln unseren
Gott loben. Manchmal halten sie auch inne, tanken neue
Energie und sind sehr dankbar, dass sie in ihr sicheres Haus
zurückkehren können.

Von: Rolf Bielefeld

5. November

Ich will das steinerne Herz wegnehmen aus
ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben,
damit sie in meinen Geboten wandeln und meine
Ordnungen halten und danach tun.
Hesekiel 11,19–20

Die Geschichte von Ezechiel gehört in die Zeit, als Jerusalem
von den Babyloniern erobert und zerstört wurde. Schon
zehn Jahre vorher war eine Gruppe von Juden nach Babylon
deportiert worden. Sie hatten einen brutalen Krieg hinter
sich, gewaltsam erzwungene Auswanderung, Gefangenschaft,
Verlust der Heimat. Neuere Forschung kommt zum
Schluss, das Ezechielbuch sei als «Trauma-Literatur» zu verstehen.
Die Texte versuchen, die seelischen Verwundungen
zu bewältigen, von denen ein ganzes Volk betroffen war.
Abschnitte wie das Losungswort drücken die Hoffnung aus,
dass es Heilung gibt im «Herz», im Zentrum von Denken
und Fühlen. Wo nach einem seelischen Trauma die Gedanken
von den Gefühlen abgeschnitten waren, soll es wieder
eine Verbindung geben (ein einiges Herz). Neue Lebensenergie
soll gefunden werden (neue Geistkraft). Wo das Denken
starr und schematisch war (ein Herz aus Stein), soll es wieder
lebendig, beweglich und zum Mitgefühl fähig werden (ein
Herz aus Fleisch). «Ich werde ihnen ein einiges Herz geben.
Und neue Geistkraft werde ich in ihre Mitte geben. Ich werde
das Herz aus Stein aus ihrem Fleisch entfernen. Und ich
werde ihnen ein Herz aus Fleisch geben.»

Von: Andreas Egli

4. November

Höret, alle Völker! Merk auf, Erde und alles,
was darinnen ist! Gott der HERR tritt gegen
euch als Zeuge auf.
Micha 1,2

Was ein Zeuge ist, sagt das lateinische Wort testis bzw. ter-stis:
Ein Dritter steht dabei, während sich zwei Parteien in einer
Auseinandersetzung befinden. Ohne Zeugen würde sich einfach
der Stärkere durchsetzen. Wenn ein Dritter zuschaut,
kann er später vor Gericht eine Aussage machen. So wird
der Schuldige zur Verantwortung gezogen, und der Schwächere
kommt zu seinem Recht. Der Losungsvers gehört zur
Überschrift des Michabuchs. Was in den Prophetenworten
dokumentiert ist, hat sich nicht in einem rechtsfreien Raum
abgespielt. Sondern Gott ist der Dritte, der alles beobachtet
hat und für Gerechtigkeit sorgt. Zur Zeit des Propheten
Micha wurde die Oberschicht in der Stadt Jerusalem reich
und wollte mehr Grundbesitz ansammeln. Die Landbevölkerung
in den umliegenden Dörfern geriet in Schulden und
musste ihren Boden verkaufen. Micha, der selbst aus einem
Dorf stammte, legte den Finger auf dieses soziale Unrecht. In
späteren Jahrhunderten ging es um politische Spannungen
in einem grösseren Massstab. Nun befand sich das kleine
Land Israel in der unterlegenen Position, es stand den Grossmächten
Assur und Babylon gegenüber. Aber auch da gab es
einen Zeugen. – In welchen heutigen Situationen braucht es
Dritte, die den Mut haben, hinzuschauen?

Von: Andreas Egli

3. November

Fällt euch Reichtum zu, so hängt
euer Herz nicht daran.
Psalm 62,11

An Geld, Besitz, am Materiellen, sollen wir nicht hängen, das
wurde uns beigebracht und wird auch immer wieder gesagt.
Und doch, wie anders geht es in der Welt zu. Man will
immer mehr, ganz schnell wird Altes durch Neues ersetzt.
Die Kartonschachteln häufen sich ins Unendliche, in denen
uns neu Bestelltes zugeschickt wird. Abfall türmt sich auf
und die Welt droht daran zu ersticken. Genug ist nicht
genug. «Schneller, schöner, besser, praktischer» ist unsere
Devise geworden, und munter schwimmen wir mit im Strom
dieser unseligen Wasser!
Mich macht es immer wieder froh, wenn ich eine alte
Schüssel meiner Grossmutter benutze, auch sie hat darin
schon den Kuchen angerührt. Auch finde ich es schön, wenn
irgendetwas Altes, das sich in meinem Haushalt findet, mich
mit der Geschichte von früher verbindet, mit den Menschen,
mit der damaligen Zeit. Ich muss es nicht ersetzen,
es lebt mit mir weiter, und ich kann es weitergeben. Das
mehrt unser Gefühl der Kontinuität, des Dazugehörens, des
Verankertseins.
Und es schmerzt mich, kränkt mich, wenn ich um die Ecke
höre, dass meine Grossnichte die silberne Toilettengarnitur,
die noch aus der Familie stammte und die ich ihr zur Konfirmation
schenkte, verkauft hat, um sich dafür etwas Neues,
Besseres zu kaufen! Doch die Jugend schaut nach vorn und
wir Alten sind rückwärtsgewandt.

Von: Kathrin Asper

2. November

Paulus schreibt: Richtet nicht vor der Zeit, bis
der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird,
was im Finstern verborgen ist, und das Trachten
der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch
einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.
1. Korinther 4,5

Beim Lesen dieses Textes stolpere ich. Lese ich nur den ersten
Satz, so erwarte ich in der Folge, dass Schattenhaftes, Unliebsames
ans Tageslicht kommt. Lese ich dann den zweiten Satz,
ist das nicht so: Gutes wird offenbart und Gottes Lob wird
zugesagt. Ich muss gestehen, ich bin etwas verwirrt.
Der Akzent liegt offenbar auf der Mahnung, nicht vorschnell
zu richten, und ausserdem, dass richten nicht unsere
Aufgabe ist, sondern dass diese dem Herrn zukommt.
Das können wir uns zu Herzen nehmen. Es ist eine gültige
Lebensweisheit. Entsprechend wird der Text in der Regel
auch ausgelegt.
Lesen wir aber, dass Schattenhaftes und Unliebsames ans
Tageslicht kommen, dann sieht das ganz anders aus: Es ist
wichtig, dass wir, wenn wir eine nur gute Meinung von uns
haben, unseren Schatten erkennen lernen.
Dass wir lernen, uns anzunehmen mit unseren Beschränkungen
und unguten Seiten. Erst dann sind wir ganz, erst
dann lernen wir Bescheidenheit und Demut, erst dann überwinden
wir unsere Überheblichkeit. Wir müssen lernen, uns
selbst auszuhalten. Auf diesem Weg unterwegs, mag es uns
gelingen, andere nicht vorschnell zu richten.

Von: Kathrin Asper