Ich pries die Freude, dass der Mensch nichts Besseres
hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und
fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen
sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.
Prediger 8,15


Ist der Prediger ein Geniesser? Für eine Andacht in der Fastenwoche
würde ich sein Lob auf das Essen jedenfalls nicht
auswählen. Mit dem Spruch könnte man werben für eine
Gault-Millau-Tour! Mich erinnert er an einen anderen Spruch
des römischen Dichters Horaz, der mahnt, man soll die
kurze Lebenszeit nutzen. Horaz gibt den Rat, den Tag zu
pflücken, bevor es Abend wird. Wer sich die Mühe macht,
den Sinnzusammenhang der biblischen Carpe-Diem-Einsicht
zu erforschen, kommt allerdings auf eine andere Spur. Der
Prediger versucht sich nämlich einen Reim darauf zu machen,
warum es Gesetzesbrecher gibt, die in Saus und Braus leben,
und Gerechte, als ob sie das Gesetz gebrochen hätten. Das
schmeckt nach einer bitteren Pille. «Ein Sünder kann hundertmal
Böses tun und dennoch lang leben.» (Vers 12) Das
ist aber nur die eine Seite der Medaille. Ich höre auch: Wenn
schon gelebt, dann doch richtig gelebt. Wenn in dieser flüchtigen
Welt nichts ewig Bestand hat, dann freu dich an dem,
was Gott dir schenkt. Genussfähigkeit ist eine Gabe Gottes!
Ein anderer Meister der Wahrheit meinte ein paar Jahre
später:
«Sorget euch nicht um morgen!» (Matthäus 6,34)
Ihm glaube ich. Er hat auch die bittere Pille geschluckt.

Von: Ralph Kunz