Christus wurde zwar getötet im Fleisch, lebendig gemacht aber im Geist. So ist er auch zu den Geistern im Gefängnis hinabgefahren und hat ihnen die Botschaft verkündigt. 1. Petrus 3,18–19

Die Kraft biblischer Texte entzieht sich uns heute lebenden
Menschen oft. Seit ihrer Entstehung und Niederschrift
hat sich unser Weltbild stark verändert. Unser Denken und
unser Fühlen sind geleitet von vielen neuen Kenntnissen und
Errungenschaften, die den Brückenschlag zum Glauben der
biblischen Menschen von damals erschweren. Zugleich liegt
darin aber auch ein Reiz. Wir müssen uns innerlich bewegen,
um zu diesem Geschehen eine Brücke zu schlagen und uns
davon berühren zu lassen. Aber auch ihr Befremden kann
eine Faszination auslösen, die sich sperrig oder unnahbar in
unseren Gedanken festsetzt.
Das Geschehen an Ostern gehört für mich seit jeher zu
jenen Geschichten in der Bibel, zu denen ich schwer Zugang
finde. Die Tatsache, dass darin die Essenz des christlichen
Glaubens liegt, lässt mich Jahr für Jahr rätseln, ja zweifeln, wie
sehr sich Menschen über Jahrhunderte in den Sog von Jesu
Tod und Auferstehung in den Bann ziehen liessen und heute
noch lassen. «Tot im Fleisch, lebendig aber im Geist» – der
Karsamstag verkörpert diesen Zweifel wie kein Tag sonst im
Jahr. Die Radikalität des Todes an Karfreitag ist unausweichlich;
die Auferstehung noch nicht greifbar. Dieser Schwebezustand
zwischen Körper und Geist, Leiden und Erlösung,
Abschied und Aufbruch, Gefangenschaft und Befreiung ist
wie eine Metapher für unser Leben. Der Zustand an Karsamstag
kann uns lehren, diese Spannung und Ungesichertheit
auszuhalten: Wir wissen nicht, was kommen wird, und
fühlen uns darin doch geborgen.

Von: Esther Hürlimann