Paulus schreibt: Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich. 2. Timotheus 4,17

Paulus beschreibt in seinem Brief an den Gemeindeleiter Timotheus, wie er, als er vor Gericht stand, von allen im Stich gelassen wurde. Aber: «Gott stand mir bei und stärkte mich.» Ja, diese Hilfe hat Paulus in seinem abenteuerlichen Leben immer wieder erfahren. Das kann man glauben.
Nur: Wer da als Paulus schreibt, ist gar nicht Paulus. Der Verfasser des Briefes gibt sich vielmehr als Paulus aus und nutzt so dessen Autorität für sein Anliegen. Was heute als Irreführung erscheint, war zu anderen Zeiten ein durchaus akzeptiertes Kommunikationsmittel. Mir wird bewusst: Auch ich greife bei manchen Gelegenheiten auf die Worte und die Autorität anderer zurück. Wenn ich in Ängsten bin, lasse ich mir helfen durch eine fremde, aber vertraute Stimme. Ich finde Trost und Mut in einem Satz aus dem Vorrat an Versen und Liedern, der in mir aufbewahrt ist. «Er wird meinen Fuss nicht gleiten lassen …» «Tröste mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem freudigen Geist rüste mich aus!» Wer weiss, vielleicht sind solche Verse auch gar nicht Zeugnisse einer tatsächlichen Rettung, sondern wiederum die Beschwörung der Erfahrung anderer in Momenten von Not und Gefahr.
Ist eine solche Deutung ernüchternd? Vielleicht, aber mir hilft sie, denn sie schliesst auch jene ein, die schlussendlich keine offensichtliche Rettung erfuhren – und doch eine Hilfe, irgendwie, durch eine ferne Stimme, die gehört und weitergesagt wurde von Generation zu Generation.

Von Käthi Koenig