Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 1. Mose 4,7
Jetzt kommt mir wegen des Worts «fromm» gerade Frau Frommherz in den Sinn. Sie hiess tatsächlich so. Als ich in der Primarschule war, musste ich zu ihr in die Logopädie. In frühen Morgenstunden sassen wir nebeneinander im dämmrigen Schulzimmer – aus irgendeinem Grund schaltete sie nicht unbedingt das Licht an – und machten seltsame Übungen. Mein Einsatz war mässig, immer hatte ich nicht genug geübt. Da sagte sie mir – und das ist mir geblieben:
«Weisst du, ich mache jeden Tag zwei Dinge: Ich meditiere und ich mache ein Tänzchen für mich selbst. Und du solltest das so mit deinen Übungen halten.» Und obwohl die Übungen natürlich immer noch seltsam waren und nicht so spassig wie ein Tänzchen, konnte ich mir danach eine mir wohltuende Disziplin angewöhnen.
Die obigen Worte sagt Gott zu Kain, der wütend ist, weil Gott sein Opfer nicht gesehen hat, dafür das seines Bruders Abel. Ich verstehe Kain. Ich will auch gesehen werden. Erkannt. Anerkannt. Bewundert! Und dadurch wissen, wer ich bin. Aber jetzt kommt plötzlich das Bild von Frau Frommherz dazwischen, die alleine in einer Wohnung lebte, die nur aus einem grossen Zimmer bestand, und jeden Tag ein Tänzchen für sich tanzte. Ungesehen, unbewundert, tanzend.