Monat: November 2024

21. November

Wer im Finstern wandelt und wem kein Licht scheint,
der hoffe auf den Namen des HERRN!
Jesaja 50,10

Die Zürcher Bibel übersetzt den Vers so: «der stütze sich auf
Gott». Finsternis hat etwas Bedrohliches. Als Pfadimädchen
hatte ich den Auftrag, in der finsteren Nacht am Rheinfall
Wache zu stehen. Wie dankbar war ich für ein Mäuerchen,
das mir Halt verlieh, eine Stütze. Und wie froh war ich, auch
ein wenig stolz, dass ich nach zwei Stunden wohlbehalten ins
Bett sinken konnte. Auf das Mäuerchen war Verlass, es war
eine Stütze in der Finsternis.
Ich hoffe, dass Gott in der Angst bei mir ist. Das dritte
Gottesknechtlied spricht von den Schmähungen, die der
Diener Gottes erleiden muss. Doch er vertraut auf Gott und
ist zuversichtlich. Wenn ich heute die Zeitung aufschlage
oder Nachrichten höre, dann denke ich, unsere Welt ist
eine einzige Finsternis. Wir sind privilegiert hier, wo wir so
leben können, wie wir möchten. Was ist zu tun, damit all die
Millionen Menschen, die leiden, Licht erfahren? Ich bin keine
Prophetin. Aber ich kann beten, dass der Gott des Lebens
eine Stütze ist für die leidenden Menschen. Ich kann beten,
dass die Lebendige Licht bringt in diese Finsternis.
Schenke du Licht und sei den leidenden Menschen eine Stütze.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

20. November

Der HERR ist gnädig, barmherzig, geduldig und von
grosser Güte, und es reut ihn bald die Strafe.
Joel 2,13

Es ist ein wunderbarer Sommertag, der See ist glatt und
glänzt mit seiner grünen Farbe. Herz, was willst du mehr?
Und doch bin ich etwas melancholisch, wie immer, wenn das
Losungsbüchlein langsam, aber sicher das Ende des Jahres
ankündigt. In dieser Stimmung lese ich den heutigen Text
und den dazugehörigen Kontext. Der Prophet spricht von
einer grossen Plage, die alles zerstört. In dieser Zerstörung
ruft er das Volk auf, zu Gott zurückzukehren mit ganzem
Herzen. Sie sollen ihre Kleider zerreissen, nicht die Herzen.
Umkehr zu Gott, der Lebendigen, ist das Thema. In meinen
Augen braucht es keine Katastrophe, um über meine Beziehung
zu Gott nachzudenken. Das verstehe ich unter Umkehr.
Vielmehr tut es gut, in aller Ruhe zu der Lebendigen eine
Beziehung aufzubauen, um daraus Kraft zu schöpfen. Die
Möglichkeit, mit Gott verbunden zu sein, ist die Gnade, die
uns begleitet, ist die Barmherzigkeit und die Güte. Darauf
vertrauen, dass Gott mich stärkt, ohne Wenn und Aber. Es
ist die Lebendigkeit der Beziehung zu Gott, die das Vertrauen
und die Zuversicht ausmacht. Denn «Gott reut die Strafe».
Gerade heute, wenn mir etwas mulmig zumute ist, bin ich
dankbar für das Mit-mir-Sein der Lebendigen. Das Jahr geht
zu Ende, der Weg geht weiter.
Danke für deine Gegenwart.

Von: Madeleine Strub-Jaccoud

19. November

Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netze des
Vogelfängers; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.

Psalm 124,7

Die Artenvielfalt ist bei der Freiheit sehr gross. Hier folgt
eine kleine, unvollständige Artenbestimmungshilfe, damit
man herausfindet, welche Freiheiten bei einem selbst schon
wachsen und welche besser gedeihen könnten.
Es gibt die Freiheit von allen möglichen Zwängen, aber
auch die Freiheit zu etwas. Bei diesem Tun und Lassen geht
es fast immer um Gut und Böse. Ich kann zum Beispiel helfen
und Hilfe verweigern; ich bin frei, um Hilfe zu bitten und sie
anzunehmen, oder kann dazu zu stolz sein und schweigen.
Es gibt Freiheiten, die ihre menschlichen Grenzen haben an
der Freiheit der anderen, und solch grosse Freiheiten, die nur
bei Gott zu finden sind, die wir als endliche Geschöpfe anstreben,
aber zuletzt nur mit Gottes Hilfe erreichen werden.
Es gibt Freiheiten, die äusserlich in den politischen und
gesellschaftlichen Umständen wurzeln, zum Beispiel Meinungs-
und Versammlungsfreiheit, und innerliche Freiheiten,
die Menschen in äusserlicher Unfreiheit dennoch haben
können. Viktor Frankl, jüdischer Psychologe, erprobte und
lehrte, wie man selbst im KZ innerlich frei bleiben kann.
Im Psalm geht es nicht um das Freisein, sondern um das
Freiwerden. Dazu muss ich, tendenziell auch wie ein Vogelfänger,
auf die Pirsch, um zu erkennen, wo ich gefangen
bin. Das selbsterrichtete Gefängnis meiner Vorurteile zum
Beispiel hat ziemlich dicke Mauern und sehr kleine Fenster.

Von: Dörte Gebhard

18. November

Freut euch immerzu, weil ihr zum Herrn gehört.
Philipper 4,4

Lieber Paulus
Du bist ein eifriger Briefschreiber, daher kommt heute, etwas
verspätet, Post von mir. Ob du dich selbst immerzu gefreut
hast, will ich wissen. Vor Gericht? In Seenot? Auf der Flucht?
Angesichts der Korinther und ihrer unnötigen Streitereien?
Ich glaube dir nicht, dass dich die Freude nie verliess. Wer es
heute versucht mit der permanenten Begeisterung, hat dann so
ein aufgesetztes Grinsen, das ich überhaupt nicht leiden kann.
Weder an Kirchtüren sonntags noch an Bankschaltern montags.
Ein paar Unentwegte strengen sich für die Dauerfreude
richtig an. Auch, weil Friedrich Nietzsche, ein Pfarrerssohn,
einmal befand, Christen müssten erlöster aussehen, wenn er an
ihren Erlöser glauben sollte. Manche stresst dieser provokante
Philosophenspruch. Mich nicht. Ich gucke lieber abwechslungsreich
in die Welt hinaus, denn Freud und Leid sind so nahe
beieinander, dass ich beides gelegentlich gleichzeitig empfinde.
Dann danke ich Gott innig und stelle ihm zugleich ein paar
ernste Fragen. Dann lache ich mit einem Auge und weine mit
dem anderen. Dann wird mir warm ums Herz, aber der Kopf
bleibt widerspenstig. Dann beginne ich zu hoffen, aber zweifle
im selben Moment. Ich halte es mit den Psalmisten: Sie haben
geklagt und geschrien, dann aber auch überschwänglich Gott
gelobt, von einem Vers auf den anderen.
Herzliche Grüsse von einer, die sich freut, so oft sie kann.

Von: Dörte Gebhard

17. November

Die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft
der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der
Kinder Gottes.
Römer 8,21

Der Brief an die Römer ist ein Meisterwerk des Paulus von
Tarsus. Schön geschrieben und gut zu lesen. Schön fromm
könnte ich auch sagen. Paulus schreibt klar, wer der Meister
ist und was wir erwarten dürfen, wenn wir denn die richtigen
Entscheidungen im Leben und im Glauben treffen. Eine ganz
klare Absicht scheint mir in den Zeilen rüberzukommen: Das
Evangelium des Jesus Christus ist Dreh- und Angelpunkt.
Alles andere bringt’s nicht!
Vor kurzem ist erneut ein Mensch verstorben, den ich sehr
schätzte und von dem ich vieles lernen durfte. Zu jung
gegangen und zu plötzlich. Immer wenn ich mit dem Tod
konfrontiert werde, merke ich, wie dünn doch mein Glaube
ist und wie brüchig. Ich kann einfach nicht so glauben, dass
mir solche Lebensschnitte nichts ausmachen. Es schmerzt
mich, es tut weh, es lässt mich zweifeln und macht mich
nervös. Was «verhebt» nun wirklich von dem, was ich
erfahren und gelesen habe? Was ist wirklich wasserfest und
unverwischbar? Was ist bei mir frei von der Knechtschaft
der Vergänglichkeit? Wo fühle ich mich frei als Kind Gottes?
Meine Pfarrkollegin hat in einer Geschichte einmal erzählt,
dass es vielleicht darum geht, «Sehnsucht nach der Sehnsucht
nach Gott zu haben». Ein wunderbarer Gedanke. Ich
wünsche uns allen Sehnsucht nach der Sehnsucht.

Von: Markus Bürki

16. November

Das Volk, das ihm voranging und nachfolgte,
schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids!
Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!
Hosianna in der Höhe!
Matthäus 21,9

Das Volk schreit, einer kommt in dem Namen des Herrn. Ich
stelle mir die Szenerie gewaltig vor. Laut und schrill, arm und
reich, staubig, sonnig, aufbruchsgewaltig! Alle sehen sich auf
einmal um den Einen versammelt und sie jubeln ihm zu, weil
sich seine wortgewaltige Botschaft in kurzer Zeit durch die
Quartiere und Gegenden der damaligen Zeit «gestreamt»
hat. Er kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der
Höhe!
Und heute? «Gestreamt» wird wahrlich viel mehr auf
Netflix als in der Bibel. Geschrien wird an vielen Orten auf
der Welt. Aus Unglück und Glück und überhaupt, immer mal
wieder treffe ich auf Menschen, die wild um sich schreien im
Zug oder auf der Strasse. Vom Sohn Davids habe ich noch
keinen schreien hören. Wo sind die, die dem Sohn Davids
nachfolgen und aus Freude schreien? In der Kirche am Sonntag?
Ich höre keine Schreie. Im «Wort zum Sonntag»? Ich
höre keine Schreie. Im Theologiekurs? Ich höre keine Schreie.
In einer kirchlichen Gruppierung? Auf einem Tagesausflug
mit Seniorinnen und Senioren? Ich höre kein Schreien. Nein,
ich höre kein Schreien. Ich sehe Angst um Zukunft, Angst um
Geld und Reichtum, leere Gedanken und Luftschlösser, ich
sehe viel Zaghaftigkeit und wenig Visionäres. Wo bleiben die
Aufschreie! Wo ist Glaube?

Von: Markus Bürki

15. November

Du hast gesehen, wie dich der HERR, dein Gott,
getragen hat, wie ein Mann seinen Sohn trägt, auf
dem ganzen Wege, den ihr gewandert seid.
5. Mose 1,31

Es wird getragen in dieser Bibelpassage, wie schön. Gott wird
mit einem Mann verglichen, der seinen Sohn trägt. Ich stelle
mir vor, dass dieses Kind schon ein bisschen grösser ist. Der
Mann trägt es eine lange Zeit. Sie wandern zusammen. Auch
Frauen tragen Kinder. Sie tragen sie bereits vor der Geburt.
Kleine wachsende Wesen in ihrem Bauch. Mit ihnen sind sie
neun Monate unterwegs. Frischgeborene werden auch gerne
von Frauen getragen, gestillt, gehalten. Töchter und Söhne.
Später dann, wenn die Kinder etwas grösser sind, kommen
auch die Väter zum Einsatz.


Einspruch! Mangels Gebärmutter habe ich meine Kinder
zwar nicht vor der Geburt getragen, aber schon unmittelbar
danach. Gerne und oft. Nicht erst später. Ich weiss noch gut,
wie ich meinen Sohn im Tragetuch hatte. Manchmal über
Stock und Stein. Manchmal so lange, bis er sich wieder beruhigt
hatte. Ich habe ihm vorgesungen. Alle sieben Strophen
von «Der Mond ist aufgegangen». Diese Momente der Nähe
waren und sind mir wichtig.
Und ich liebe dieses Bild, dass Gott mich trägt. Dass ich
bei Gott geborgen bin. Und ich stelle mir vor, für Gott ist das
ähnlich schön wie für mich damals. Selbstverständliches
Dasein. Unmittelbare Nähe. Herz an Herz.

Von: Chatrina Gaudenz / Lars Syring

14. November

Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel
und die Erde und alles, was darinnen ist, das ist
des HERRN, deines Gottes.
5. Mose 10,14

«Der Himmel und aller Himmel Himmel sind deines
Gottes.» So viel Himmel, Lars. Kannst du dir diese Himmel
in der Mehrzahl vorstellen? Martin Buber übersetzt: «Die
Himmel und die Himmel ob den Himmeln». Mir gefallen
diese Verstärkungen im Hebräischen. Sie bedeuten doch:
Alles, wirklich alles, was ist, ist Gottes – ist sein. Kann ich
dies irgendwie begreifen? Eine Kurzgeschichte von Hugo
von Hoffmannsthal kommt mir in den Sinn. Das kluge Kind:
«Kannst du einen Stern anrühren?», fragt man es. «Ja», sagt
es, neigt sich und berührt die Erde.

Ich kann mir das nicht so richtig vorstellen. Ein Aha-Erlebnis
war für mich aber, dass Gott im ersten Vers der Bibel die (!)
Himmel und die Erde erschafft. Himmel sind in der Überzahl!
Paulus war ein Himmelsreisender, der mehr hätte erzählen
können. Er hat es immerhin bis in den dritten Himmel
geschafft (2. Korinther 12,2). Ob das im oder ausserhalb des
Leibes geschehen ist, will er nicht verraten. Es reicht ihm,
dass Gott es weiss.
Wie weit wir auch reisen, ob in den Himmeln, auf der Erde
oder in die Tiefen der Erde: Es ist alles Gottes. Und nichts
davon wird uns trennen von Gottes Liebe. Da nimmt uns
unser Reiseführer Paulus die Angst (Römer 8,38 f.).

Von: Chatrina Gaudenz / Lars Syring

13. November

Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und
die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
1. Samuel 2,4

Wer gewalttätig den Bogen überspannt, wird ihn früher oder
später zerbrechen. Das gilt im Kampf, im Sport und in der
Religion. So ist der zerbrochene Bogen ein Bild für den Zorn
Gottes über die Macht der Gewalttätigen. Keine menschliche
Stärke kann sich mit Gott messen. Anmassung wird
zerstört.
Stärke schenkt Gott den Schwachen, die Schutz und Hilfe
brauchen.
Das weiss Hanna, die ihren Sohn Samuel, den Nachfolger des
Priesters Eli, in ihren Armen hält. In ihrer Schwangerschaft
umgürtete Gott sie mit seiner Stärke und hielt sie schützend
umfangen. Hanna blickt zuversichtlich in die Zukunft. Sie
hat es erfahren: Sie und ihr Sohn sind aufgehoben in Gottes
liebevoller Umarmung.
Gott, schenke uns das Gottvertrauen und die Hoffnung
Hannas. Schütze das bedrohte Leben und umgürte es mit
deiner Stärke. Lass deinen Willen geschehen wie im Himmel
so auf Erden. So beginnt dein Reich mitten unter uns – dein
Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
Amen

Von: Barbara und Martin Robra

12. November

Durch Stillesein und Vertrauen
würdet ihr stark sein.
Jesaja 30,15

«Ich bin stark!», sagt das Kind. «Ja, das bist du. Du hast
keine Angst. Du hast Vertrauen in die Welt und in dich. Das
ist gut so!»

Wir haben zu Hause einen grossen Gong. Er leuchtet wie die
Sonne am Himmel. Meist schwebt er beinahe bewegungslos
an einer Halterung vor der Wand. Doch hin und wieder gibt
es bei uns ein Gong-Gewitter. Bei sehr sanften Schlägen des
weichen Schlägels in einem bestimmten Rhythmus erschallt
zunächst ein sanfter, leiser Klang – wie ein Windhauch. Mit
weiteren Schlägen schwillt der Ton an, wird lauter und voller.
Dann plötzlich, wie eine Welle am Strand, überschlägt sich
der Klang des Gongs. Er tobt wie ein Wasserfall. Weiter gibt
der Schlägel den Rhythmus vor. Der Gong vibriert und zittert
vor Spannung und Energie … Lauter und immer lauter, kaum
auszuhalten wird das Gong-Gewitter – bis der Schlägel zur
Ruhe kommt.
Der ganze Raum, mein Ohr, mein ganzer Körper bebt. Die
Lautstärke schwillt langsam ab. Leiser und immer leiser wird
es im Raum, in mir. Ich höre auf den letzten leisesten Klang –
bis auch dieser vergeht.
Ich höre die Stille. In mir. In der Stille ist Gott. Das ist gut so!

Von: Barbara und Martin Robra