Monat: Mai 2024

19. Mai

Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit
wie ein nie versiegender Bach.
Amos 5,24

Recht und Gerechtigkeit sollen doch für alle Zeiten in Stein
gemeisselt sein, damit man im Streitfall festen Boden unter
den Füssen hat und weiss, was gilt. Ich gebe zu, auch ich hege
dieses Vorurteil immer wieder.
Der Prophet Amos erkennt die grossen Ungerechtigkeiten
seiner Zeit ohne jegliche juristische Zusatzausbildung und
wählt zur Besserung eine eigenwillige Metapher. Ich verlasse
also die Komfortzone meiner Vorurteile und tauche in sein
flüssiges Sprachbild ein. Für den erprobten Schafzüchter sind
Quellen und Bäche überlebenswichtig. Harten, staubigen
Grund meidet er mit seiner Herde bestimmt weiträumig,
weil es dort nichts Fressbares gibt. Amos fasst also in einem
Vers zusammen, was sonst nur die Lektüre aller biblischen
Schriften, aufgezeichnet über mehr als tausend Jahre, offenbart:
Damit die Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit
geniessbar bleiben, damit sie wirklich Lebensmittel und
nahrhaftes Futter sind für Mensch und Tier, müssen sie im
Wandel der Zeiten immer wieder frisch diskutiert, bestritten,
geprüft und erneuert werden.
Unsere irdischen Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit
sind nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern eine Herausforderung
für jede neue Generation. Glauben Sie das nicht?
Dann stellen Sie sich vor, wie Amos gestaunt hätte, wenn Sie
ihm erklärt hätten, was eine «Rentenversicherung» ist.

Von: Dörte Gebhard

18. Mai

Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und
Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter
euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch
und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der
Leib nötig hat – was hilft ihnen das?
Jakobus 2,15–16

Nichts. Das ist die ehrliche Antwort auf diese sehr rhetorische
Frage. Gar nichts. Es ist sogar kontraproduktiv für die
Geschwister und den Frieden, in dem sie gehen sollen. Aber
damit ging es erst richtig los! Die Geschichte der Christenheit
kam mit Jakobus’ anstrengender Fragerei erstaunlich in
die Gänge. Eine ernste Frage ist es, ob sich das Christentum
wegen der alltäglichen gelingenden Diakonie ausgebreitet
hat oder wegen der interessanten dogmatischen Auseinandersetzungen
über das Gottesbild an Synoden. «Historisch
betrachtet verdankt sich die Kirchenbürokratie den Armen
und den Heiden. Denn am historischen Ursprung aller Kirchenverwaltung
stehen zwei Bücher: die Armenlisten und
die Taufmatrikeln. Schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts
versorgte die römische Kirche jeden Tag über 1500 Witwen
und Hilfsbedürftige.» (Stefan Heid, kath. Kirchenhistoriker
und Archäologe)
Hilfreich war es für die Geschwister und für den Frieden,
die eigenen Grenzen zu überschreiten und auch den notleidenden
Übernächsten zu helfen, unabhängig von Herkunft,
Religion, Geschlecht, Nationalität oder Alter. So entstanden
Beziehungen, friedliche und «leibhaftige», wo vorher gar
keine waren.

Von: Dörte Gebhard

17. Mai

Dann werden die, die den Willen Gottes getan haben,
fragen: Herr, wann kamst du als Fremder zu uns, und
wir nahmen dich auf? Dann wird der König antworten:
Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner geringsten
Brüder oder eine meiner geringsten Schwestern getan
habt, das habt ihr für mich getan.
Matthäus 25,37.38.40

Wir gehören alle zusammen. Menschen sind Menschen und
allen gebührt die gleiche Würde. Allen Lebewesen gebührt
die gleiche Liebe. Ja, alle Kreatur soll sich lieben auf diesem
Planeten, etwa so verstehe ich den Text. Mit einer vielleicht
kindlichen Brille («Wenn ihr nicht wie die Kinder werdet,
dann werdet ihr nie in das Reich Gottes kommen») kann
ich also annehmen, dass alles, was auf dieser Erde an Gutem
getan wird, allen zugutekommt, als wäre es ein einziges Lebewesen.
Und in der Umkehr bleibt also alles Schädliche oder
Leidige auch auf der Erde und bleibt in den Lebewesen bestehen.
Heute ist sich die Wissenschaft einig, dass Traumata
über Generationen weitergegeben werden können. Ist es
dann mit der kindlichen Brille so, dass all unsere netten und
guten Taten dieser Erde und ihren Bewohnenden auch in die
DNA eingepflanzt respektive mitgegeben werden? Zu hoffen
ist es auf jeden Fall, denn so lese und verstehe ich den Lehrtext
von heute. Alle gehören in Christus zusammen. Auch
die Geringsten, die Blöden, die Dummen, die Scheinheiligen,
die Hinterlistigen, die …
Amen!

Von: Markus Bürki

16. Mai

Als sie aber satt waren, spricht Jesus zu seinen Jüngern:
Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.
Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken
von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben,
die gespeist worden waren.
Johannes 6,12–13

«Aber das ist doch gar nicht möglich», höre ich meine Religionsschülerinnen
sagen. «Ja, wenn du das einfach so eins
zu eins liest, dann ist das vielleicht nicht möglich, aber bei
Gott ist doch alles möglich, oder nicht?», sage ich dann wohl
als mögliche Antwort. Die Diskussion ist lanciert und es gibt
bestimmt eine spannende Lektion in der Schule.
Aber wie verstehe ich den Text denn eigentlich?
Für mich sind die Brocken an Brot, die da beschrieben
werden, kleine gute Taten der Liebe, die wir Menschen so
machen oder machen könnten. Sammeln wir alle kleinen
guten Taten der Liebe aller Menschen, so ergibt sich für alle
genug Liebe und es blieben zwölf Körbe oder Herzen übrig.
Es gibt für alle genug Liebe, wenn wir uns denn wirklich
bemühen. Wo klemmt es also? Jetzt wird es kompliziert;
einige Stichworte zum Weiterdenken: Macht, Männlichkeit,
Patriarchat, Geld, Egoismus, Gier, Voreingenommenheit,
Angst, Gruppendruck, dazugehören, alles immer auf eine
Karte setzen wollen, Überforderung in der aktuellen Situation,
zu viel Digitalisierung, zu wenig Ruhe und Stille, Panik
vor Religion und Spiritualität … was fehlt noch?
Amen!

Von: Markus Bürki

15. Mai

HERR, sei unser Arm alle Morgen, ja, unser Heil zur Zeit
der Trübsal!
Jesaja 33,2

«All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad’ und
grosse Treu. Sie hat kein End, den langen Tag, drauf jeder sich
verlassen mag.» Dieses wunderbare Lied aus dem Gesangbuch
gehört zu meinen Lieblingsliedern. Jeden Morgen, egal,
wie der gestrige Tag war, egal, wie die vergangene Nacht:
Gottes Gnade, sein Arm, an dem ich mich halten kann, ist da.
Frisch und frei kann ich aufstehen und einen neuen Anfang
machen. Ein neuer Tag liegt vor mir, an dem ich mich für
Gottes Gerechtigkeit einsetzen kann. Eine neue Chance zu
lernen, dass in Gott mein Heil liegt.


Ein Lied aus der Reformationszeit. Einer schwierigen, turbulenten
Zeit. Und auch da hofften Menschen jeden Morgen
und überliessen den kommenden Tag nicht der Verzweiflung.
Jesaja betet aus der Not zu Gott. Jerusalem ist belagert und
er schreit zum Himmel: «Herr, sei uns gnädig. Sei unser Beistand
jeden Morgen und unsere Hilfe in der Zeit der Not.»
Diesen Worten habe ich in unseren Tagen nichts beizufügen.
Ich wiederhole sie einfach laut vor mich hin. Einmal, zweimal,
dreimal.

Von: Lars Syring / Chatrina Gaudenz

14. Mai

Da sprach Jesus zu den Zwölfen:
Wollt ihr auch weggehen?
Johannes 6,67

Die Situation spitzt sich zu. Wer Jesus nachfolgen will, muss
sich entscheiden. Jesus hat im Johannesevangelium eine nicht
ganz einfache Rede gehalten. An deren Ende wenden sich
viele von ihm ab. «Das ist eine harte Rede, wer kann sie
hören?», fragen sogar die Jünger. Sie stehen vor der Entscheidung.
Weiter mit Jesus unterwegs sein? Oder zurück ins alte
Leben? Für Petrus, den Musterschüler, ist klar: «Herr, wohin
sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Und
wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.»


Ich bedaure, dass uns die Evangelisten an keiner Stelle darüber
berichten, dass Jesus auch gelacht habe. Es würde ihm
so gut anstehen. Gerade auch an dieser Stelle. Mir scheint,
wer ihm nachfolgen will, darf annehmen, was er schenkt:
«Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt.
Bleibt in meiner Liebe! Das habe ich euch gesagt, damit
meine Freude in euch sei!» (Johannes 15,11) Wir haben sein
Wort und darin seine Gegenwart, uns geschenkt, damit seine
Freude in uns bleibe.

Von: Lars Syring und Chatrina Gaudenz

13. Mai

Jesus spricht: Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich
will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen,
und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

Johannes 16,22

Im August ist der Geburtstermin unseres dritten Enkelkindes.
Bis zum Tag der Geburt leben wir in der freudigen
Erwartung, endlich dieses neue Leben, das im Bauch unserer
Tochter heranwächst, zu sehen und zu begrüssen. Zugleich
bleibt immer die Sorge, dass es Mutter und Kind weiter gut
gehen wird und es bei der Geburt nicht zu Komplikationen
kommt.
Auch wenn Väter bei der Geburt dabei sein dürfen, es ist
die Mutter, die durch das Tor unsäglicher Schmerzen geht,
bevor sie im Gefühl tiefsten Glücks ihr Kind in die Arme
schliesst. Nach Johannes vergleicht Jesus seinen Tod und
seine Auferstehung direkt vor dem Lehrtext in Vers 21 mit
der Geburt eines Kindes: Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat
sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie
aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst
um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen
ist.

Mit Tod und Auferstehung Jesu bricht neues Leben mit der
elementaren Schöpferkraft des Heiligen Geistes in diese Welt
ein. Mitten in der Dunkelheit von Schmerz und Traurigkeit
leuchtet die Freude auf über das Kommen Gottes.

Von: Barbara und Martin Robra

12. Mai

Ein drittes Mal fragte Jesus: Simon, Sohn von Johannes,
liebst du mich? Petrus wurde traurig, weil er ihn ein
drittes Mal fragte: Liebst du mich? Er sagte zu ihm:
Herr, du weisst alles, du weisst auch, dass ich dich
liebe! Jesus sagte zu ihm: Sorge für meine Schafe!

Johannes 21,17

Einmal reicht. Zweimal ist einmal zu viel. Aber: Aller guten
Dinge sind drei. Liebst du mich? Traurig, aber wahr: Der
Allwissende fragt einmal, zweimal, dreimal. Muss das sein?
Dann keine Antwort, auch keine Bitte, sondern ein Befehl:
Sorge für meine Schafe!
Ohne Liebe geht das nicht. Ohne wahre, tiefe, innige Liebe
ist das nicht möglich. Denn für Schafe sorgen heisst: ein
Nomadenleben führen; Tag und Nacht, Sommer wie Winter
mit der Herde unterwegs sein; Hitze und Kälte ertragen,
Sonne und Regen; Futter im felsigen Gelände und Wasser
in der Dürre suchen; Schutz vor Gewitter und Schneesturm
herrichten; kranke Tiere pflegen; übermütige Jungtiere
besänftigen; schwachen Muttertieren helfen, Neugeborene
versorgen, wilde Tiere vertreiben … und damit: die Natur, die
Mitwelt, das Leben schützen.
Schafe hüten – wer das tut, vertraut dem Leben und übernimmt
mit Leib und Seele Verantwortung – tagaus, tagein.
Wer das tut, sagt nicht nur einmal, sondern immer wieder:
Ich liebe dich. Wer das tut, liebt wirklich und wahrhaftig.

Von: Barbara und Martin Robra

11. Mai

Gott verletzt und verbindet;
er zerschlägt und seine Hand heilt.
Hiob 5,18

Hiobs Freund Elifas versucht den Schwergeprüften in seinem
Leid zu trösten. Er macht ihm Hoffnung damit, dass
auch in der Schwachheit ein Grund zur Hoffnung liegt.
Denn Gott lässt seine Menschen auch in grosser Not nicht
allein. Aber kein Lebenswandel, und sei er noch so fromm
und ohne Schuld, bewahrt vor Schicksalsschlägen. Es gibt
keine «Garantie» für ein glückliches Leben. Aber es gibt eine
grosse Zuversicht, hört Hiob von Elifas: Gott bleibt da. Zu
jeder Zeit. Wenn er, Hiob, auch «da» bleibt. Wenn er sich
also von seinem Leid und Schmerz nicht von Gott trennen
lässt. Wenn er seinen Glauben daran, dass Gott seine Situation
wenden kann, behält. Auch wenn das eine grosse Herausforderung
ist, kann es möglich werden, wenn der Notleidende
seine Not beklagt. Wenn er offen zu Gott ist – und so
auch offen für Gott bleibt. Gott ist bei den Schwachen und
Armen. Ihnen gilt seine Liebe zuerst. Aber genau in solchen
Situationen
fällt es oft schwer, einen zugewandten Gott im
Herzen zu bewahren. Auch Hiob entgleitet die Kontrolle
über seine Worte, sein Unmut über Gott ist stärker. Aber: Er
wendet sich damit nicht von Gott ab, sondern – im Gegenteil
– ihm zu! Ob das uns hier auch gelingen kann …?
Gott, wir bitten um die Kraft, bei dir zu bleiben, auch wenn
es uns schlecht geht und so vieles gegen dich spricht!

Von: Hans Strub

10. Mai

Der HERR spricht: Ich will mich zu euch wenden
und will euch fruchtbar machen und euch mehren
und will meinen Bund mit euch halten.
3. Mose 26,9

Das ganze Kapitel 26 fasst nochmals zusammen, was in den
vorangegangenen Teilen detailliert beschrieben ist: Gott
verpflichtet sich seinem Volk gegenüber – und baut darauf,
dass auch es seinen Teil aus dem Bundesvertrag einhält,
die erlassenen «Satzungen» befolgt und so seine Heiligkeit
respektiert (Verse 1–3). Dann wird über dem Land und
dem Volk Gottes Segen liegen und seine Zukunft sichern
(Verse 4–13). Viermal in einem einzigen Vers steht hier
«euch»! Viermal sagt Gott an und zu, dass er das Beste für
sein Volk will. Viermal zeigt Gott, wie ernst es ihm ist und
wie sehr ihm daran liegt, dass das Volk eine segensvolle
Zukunft hat. Wer so spricht, muss sehr lieben und unter
allen Umständen wollen, dass es «euch»/uns gut geht. Diese
Liebe geht allem, was kommt, voraus! Verhalten und Handeln
des Volkes sind nachgeordnet und eine Folge dieser
zugesagten Liebe. Eigentlich kann es gar nicht anders, als sich
dieser grossen Zuwendung dankbar zu erweisen – für die es
keine Vorleistung brauchte! Es tut gut, gerade in diesen unerwartet
düster gewordenen Zeiten diese uneingeschränkte
Hinwendung unseres Gottes zu hören und in unserer Seele
abzuspeichern. Und unseren eigenen Teil als Bundesgenossinnen
und -genossen nach besten Kräften und mit unerschütterlichem
Willen zu übernehmen.

Von: Hans Strub