Saul sprach zu David: Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn im Guten seinen Weg gehen? Der HERR vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast! 1. Samuel 24,20

Der Vers von heute stammt aus einer dramatischen Heldengeschichte: Saul, der erste König von Israel, trachtet seinem designierten und bereits gesalbten Nachfolger und dadurch Rivalen David nach dem Leben. Während dieser mit seinen Freunden und Beratern im Innern einer Wüstenhöhle Zuflucht gefunden hat, sucht Saul ausgerechnet diese Höhle auf, um seine Notdurft zu verrichten. David kann sich heranschleichen und ihm den Saum seines Mantels wegschneiden. Mehr tut er nicht, obwohl er von seinen Männern gedrängt wird, diese einmalige Chance zu nutzen. Was er aber tut: Er ruft Saul hinterher und zeigt ihm den abgeschnittenen Man- telsaum. Da weint Saul und spricht die beiden Sätze unserer Losung aus. Ihre Botschaft ist klar: Es steht den Menschen nicht zu, übereinander zu richten, auch nicht über Feinde. Das ist allein Gott vorbehalten. Und gilt hier für beide. Für alle, damals wie heute! Davids Zurückhaltung scheint viel auszulösen beim Verschonten: Er sieht den gegenwärtigen Feind mit anderen Augen. Das hat Folgen für sein Verhalten ihm gegenüber. Noch wird nicht von Versöhnung gesprochen, aber ein Anfang ist gesetzt: eine neue Sicht auf das Gegenüber. Eine veränderte Wahrnehmung der Persönlichkeit des andern.

Von Hans Strub