Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht von dem Satan und war bei den Tieren, und die Engel
dienten ihm.
Markus 1,12–13

Der Geist, die ruach, ist eine «überwältigende Macht, die den von ihm Befallenen anderswohin treibt» (E. Schweizer). Anderswohin: hinaus aus der Zivilisation, der Konvention, hinaus aus der Ordnung, hinein in die Wüste. Diese steht für Unort, Tohuwabohu, Chaos. Dort draussen, «anderswo», treiben sich dem Alltagbewusstsein fremde Wesen umher, Strausse, Schakale, struppige Böcke (Jes 13,21 f.). Die Engel, der Satan. Anders als im Matthäusevangelium (4,11) erfolgt ihr Auftritt nicht gestaffelt, dass zuerst der Satan Jesus versucht und danach die Engel ihm dienen. Nein, diese magisch-mythischen Gestalten sind alle gleichzeitig und gemeinsam gegenwärtig. Der Weg führt nicht aus Hölle und Fegefeuer hinein in den Reigen seliger Geister. Vielmehr führt der Weg durch die Wüste als Chaos-Ort hinein in die Wüste als den Ort, wo all diese Illusionen verschwinden. Wo der Horizont unendlich wird. Im granum sinapis (Senfkorn), einem mittelalterlichen mystischen Text heisst es:

Sie liegt so breit, / unmessbar weit. / Die Wüste hat / nicht Zeit noch Statt. … Lass Ort, lass Zeit, / auch Bild lass weit! / Geh ohne Weg / den schmalen Steg! / So stösst du auf der Wüste Spur.

Von Andreas Fischer