Lasst uns Gutes tun und nicht müde werden;  denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.                                                Galater 6,9

Albert Schweitzer stellt in aller Schärfe fest: Zwischen   der «Rechtfertigung allein aus Glauben» des Apostels   Paulus – d. h. der Botschaft vom bedingungslosen Geliebtsein von uns Menschenkindern mit all unseren Abgründen – und seiner Ethik gebe es eine «Schlucht». Und da sei keine Brücke, die die eine Seite mit der anderen verbinde. – Der heutige Lehrtext scheint diese Analyse zu bestätigen: Was hat der ethische Gemeinplatz, man solle «Gutes tun», mit der paulinischen Durchbruchserfahrung zu tun, dass Gottes Zuneigung gilt, immer, überall, absolut unabhängig von unseren Leistungen und Verdiensten?

Vielleicht sind es ja verschiedene Bewusstseinsebenen, die bei Paulus nah beieinander waren: Nach ekstatischen Augenblicken sank er wieder auf niedrigere Niveaus. – Indessen scheint mir eine andere Überlegung ebenfalls bedenkenswert zu sein: So wie das bedingungslose Geliebtsein allen Menschenkindern gilt, betrifft uns auch die Ethik unterschiedslos. Der deutsche Neutestamentler Michael Wolter schreibt nicht ohne Humor: «Gutes tun tut jeder menschlichen Gemeinschaft gut, nicht nur der christlichen.» Es gäbe sie also doch, die Brücke über die Schlucht – für uns alle!

Von Andreas Fischer