Wende dich, HERR, und errette meine Seele, hilf mir um deiner Güte willen! Psalm 6,5

Die Gastkolumne hat Lukas Amstutz verfasst. Er ist Leiter des mennonitischen Bildungszentrums Bienenberg ob Liestal und Co-Präsident der Konferenz der Mennoniten in der  Schweiz.

Es gibt diese erschütternden Momente im Leben, in denen selbst säkularisierte Menschen sagen: «Jetzt hilft nur noch beten.» In Psalm 6 ist es wohl eine lange und schwere Krankheit, die den Beter zu Gott flehen lässt. Sein welkendes Leben stellt ihm quälende Fragen, die unbeantwortet bleiben (Vers 4). Angesichts seiner langen Leidenszeit ist es nicht selbstverständlich, dass sich dieser Mensch noch an Gott wendet. In seinem Gebet ringt er mit einer ihm vertrauten Gottesvorstellung. Wenn alles, was geschieht, irgendwie mit Gott zusammenhängt, dann kann er sich sein Elend nicht anders als mit einer Strafe Gottes erklären (Vers 2). Hinter der Krankheit verbirgt sich damit die Angst vor einem zornigen und lieblosen Gott.

Was ein solches Gottesbild anrichten kann, erzählt die Hiobsgeschichte. Obwohl Hiob beispielhaft als frommer und gerechter Mensch geschildert wird, vermuten seine Freunde doch eine Sünde, die das unfassbare Leid Hiobs erklärt und rechtfertigt. Freunde werden damit zu Feinden.

Solche Erfahrungen kennt auch der Beter von Psalm 6. Da gibt es Menschen, die ihm als Todkrankem ihre  Solidarität und Hilfe verweigern. Die Not lässt sie kalt, und vielleicht versuchen sie die Situation sogar zu ihren Gunsten auszunutzen. Die Bitte, dass diese Feinde «beschämt» werden, ist verständlich (Vers 11). Dennoch wurde dieser letzte Vers immer wieder als «unchristlich» taxiert und aus Lesungen gestrichen. Damit werden jedoch Menschen, die sich als ohnmächtig und bedrängt erleben, ihrer Stimme beraubt. Gerade ihre Hoffnung lebt davon, dass zumindest Gott nicht mit dem Bösen kooperiert, sondern Gerechtigkeit herstellen wird. Wer diesen Schrei zu Gott verbietet, hat sich daher wohl bereits selbstzufrieden mit den unheilvollen Zuständen in dieser Welt abgefunden.

Bemerkenswert finde ich, dass dieser Psalm nicht um die Vernichtung der Feinde, sondern um ihre Umkehr bittet. Ihr Fehlverhalten soll aufgedeckt werden, damit sie sich bestürzt von ihrem Tun abwenden und zu den gerechten Ordnungen Gottes zurückkehren. Der Beter kann nicht – und will vielleicht auch nicht – selbst zurückschlagen, sondern erwartet Gottes zurechtbringendes Richten.

Dieser eindrückliche Psalm bezeugt ein leidenschaftliches Festhalten an Gott, obwohl alles gegen Gott spricht. Im Ringen mit Gott gewinnt hier ein Mensch das Vertrauen in Gottes Güte zurück. Da weicht der Gedanke an einen masslos zornigen Gott dem Glauben, dass sich Gott zu allen Zeiten an die Seite derer stellt, die von Unrecht und Not geknechtet und gedemütigt werden.

Von Lukas Amstutz