Schlagwort: Matthias Hui

5. Dezember

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird
eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

Philipper 4,7

Wann wird denn endlich Friede – im Sudan, in Palästina,
in der Ukraine? Die Spirale der Gewalt, die Herrschaftsansprüche
auf Land, die Entmenschlichung der Anderen
scheinen nicht zu stoppen zu sein. Mit aller Vernunft und
realpolitisch betrachtet, sind die Wege zum Frieden total
verbaut. Es können nicht genügend Kräfte mobilisiert werden,
damit alle im Gegenüber den Menschen erkennen,
damit dem Morden ein Ende bereitet, gegen genozidale
Angriffskriege vorgegangen und für Kinder das Recht auf
Leben und Lebensfreude durchgesetzt werden kann.
Für Paulus ist aber die Realität des Friedens von Gott höher
und stärker als die tägliche Zerstörung des Kriegs. Er ist sich
sicher: «Der Friede wird», kein Wunsch, kein Konjunktiv,
«eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.» Gottes
universale Friedensvision steht am Anfang der biblischen
Überlieferung, eine gerechte Welt für alle, ein Leben ohne
Blutvergiessen unter Menschen und Tieren. Die Bibel steht
nicht für Illusionen: Jetzt herrschen Gewalt und Krieg. Aber
wir dürfen uns im Herzen nicht daran gewöhnen, an das
«Vernünftige», an die Macht der Stärkeren, an die Verletzungen
des Rechts, an Folter, Aufrüstung, Atomwaffen. Die
Bibel träumt den «Traum, dass einmal Tränen, Leid und Tod
vergangen sein werden» (Klara Butting).

Von: Matthias Hui

6. Oktober

Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Jesaja 40,15

Können Sie sich vorstellen, wie das Leben in der kargen Steppenlandschaft an den Ausläufern der Nuba-Berge im Sudan ist, wohin Adam Husan mit seiner zwölfköpfigen Familie geflohen ist? Ich kann es nicht, auch wenn ich eine berührende Reportage lese, die sich um Adam und seine Kinder im sudanesischen Bürgerkrieg dreht. Ich erfahre von Zehntausenden Todesopfern, von elf Millionen vertriebenen und achtzehn Millionen hungernden Menschen.
«Völker», wie sie Jesaja nennt, stehen im Krieg miteinander, eigentlich sind es Kriegsherren, Interessengruppen, kleine und grössere imperiale Mächte. Unter ihnen leiden die Menschen im Sudan. Und uns im Norden kümmern diese Menschen kaum.
Gott, so Jesaja, misst den finsteren, gewalttätigen, ungerechten Mächten kein Gewicht bei, es sind Sandkörner auf der Waage. Er mache die Fürsten, die Mächtigen zunichte, heisst es ein paar Verse später. Ihr Unrecht steht gegen sein Recht. «Gott gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Ohnmächtigen.» Adam Husan muss da mitgemeint sein. Wie kann diese gewaltige Hoffnung bei ihm ankommen, wenn sein Sohn Ahmed nach einem Tag verzweifelter Nahrungssuche wieder nur ein paar Tamarindenblätter und Doumpalmenfrüchte nach Hause bringt?

Von: Matthias Hui

5. Oktober

Gott hat sein Volk nicht verstossen,
das er zuvor erwählt hat.
Römer 11,2

Schon in ihrer ersten Lebenshälfte, in der Zeit des Ersten Weltkriegs, machte sie sich – verbunden mit Menschen wie Martin Buber oder dem Anarchisten Gustav Landauer –unaufhörlich Gedanken, was ihre Rolle als Jüdin und als Frau in diesem Deutschland sei. Woran war der Wille Gottes im Krieg und in den Revolutionen erkennbar? Wozu könnte er jüdische Menschen in diesen grossen Umbrüchen auserwählt haben? Die Religionsphilosophin Margarete Susman liessen diese Fragen nach der Shoah, der sie durch Flucht früh entkommen war, in ihrer kleinen Dachstube in Zürich erst recht nicht mehr los.
Als alte Frau, der Kalte Krieg war bereits im Gang, ein
Staat Israel entstanden, schrieb sie zum Schicksal des Volkes Gottes: «Diese Erwählung wird verständlich allein im Lichte des Glaubens an das Kommen des Reiches, die eins ist mit dem Glauben an die Gerechtigkeit, deren Verwirklichung Israel verheissen und zu der es aufgerufen ist.» Sich erwählt wissen würde dann also bedeuten: vorangehen im
Glauben – und im alltäglichen Kämpfen – für Gerechtigkeit für alle. Teilnehmen an der Revolution Gottes, wie sie auch sagte. Es anders machen als die Mächtigen der Welt. Und daran schliesst für die Jüdin sogar ausdrücklich – wie für Paulus –
auch die Botschaft Christi an.

Von: Matthias Hui

6. August

Gott, wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an
dich, wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.

Psalm 63,7

Wenn Krieg ist in Kharkiv, in Khan Younis, und die Menschen
trotz drohenden Bomben Schlaf suchen, wenn die Feinde
einem «nach dem Leben trachten», wie es in den nächsten
Versen des Psalms heisst, kann in der Verzweiflung und in
tiefer Nacht vielleicht nur noch Gott einen tröstend an der
Hand halten oder schützend unter die Flügel nehmen. Auch
diese Bilder des helfenden Gottes finden sich im Psalm.
Auch wenn kein Krieg ist, verfolgen mich spätabends im
Bett manchmal schwere Gedanken, treibt mich etwas um,
das mich noch nicht loslassen und einschlafen lässt. Denn:
Sich dem Schlaf, der Nacht, den Träumen, der Regeneration
zu ergeben, bedingt, sich fallenlassen zu können. Ob wir
wirklich aufgefangen werden, ob wir tatsächlich wieder aufstehen
können, wissen wir nie mit Sicherheit. Ein bekanntes
Schlaflied drückt es so aus: «Guten Abend, gut’ Nacht, mit
Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlüpf unter die Deck.
Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.»
Schlafen hat – nicht nur im Krieg, dann ist der Zusammenhang
aber brutal klar – immer mit dem Kreis von Leben und
Sterben zu tun. Deshalb gefällt mir, auch in diesem Lied, die
Wendung so sehr, wenn wir wünschen oder beobachten,
dass ein Mensch, ein Kind «selig» schläft. In diesem Sinn:
Eine behütete nächste Nacht!

Von: Matthias Hui

5. August

Als Jesus vorüberging, sah er Levi, den Sohn
des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge
mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.

Markus 2,14

Wenn sich Christ:innen – also wir – untereinander in Bubbles
gemütlich einrichten, wenn sich in einem Bibel- oder
Gesprächskreis alle bestens verstehen, weil sie sowieso ähnliche
Lebenshintergründe haben, und wenn im Kirchgemeindehaus
alles schön ist und gepflegt und sauber, kann das
vielleicht im Moment guttun. Aber es könnte auch sein, dass
etwas nicht stimmt. Beziehungsweise es stimmt halt nicht
unbedingt mit der Art von Gemeinschaft überein, die Jesus
sucht. Er durchkreuzt das Ziel von Leben in der homogenen
Wohlfühlbubble. Er nimmt die Outlaws, die Menschen
ausserhalb der Norm, mit auf den Weg.
Die steuereintreibenden Zöllner gehörten damals dazu, die
«Sünder:innen» generell. Mit ihnen setzt er sich an einen
Tisch. Mit ihnen schafft er Gemeinschaft.
Der Theaterregisseur Milo Rau – er hat auf den ausbeuterischen
Tomatenplantagen Süditaliens den Jesusfilm «Das
neue Evangelium» gedreht – schreibt in «Die Rückeroberung
der Zukunft»: «Man versucht an sich selbst zu heilen,
was nur draussen in der Welt zu heilen wäre, wenn überhaupt.
» Es gibt keine Reinheit im Dreck unserer Existenz.
Sich im Chaos dieser Welt gemütliche Oasen zu schaffen –
ohne diese Levis – ist ein eher Hoffnungs-loses Unterfangen.

Von: Matthias Hui

6. Juni

So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.
Jesaja 43,5

Gesprächsrunden im Kreis von Freund:innen kippen in
letzter Zeit manchmal in ein Aneinanderreihen schlimmer
politischer und ökologischer Entwicklungen auf unserem
Planeten. Dann wächst das Gefühl von Angst. Angst vor
der Zukunft, auch für unsere Kinder, Angst vor der eigenen
Machtlosigkeit, Angst vor Verzweiflung.
Aber: Wenn wir nicht nur trostlose Fakten aufzählen, sondern
unsere Gefühle dazu teilen, den Schmerz ernst nehmen,
den wir angesichts der gefährdeten Welt, des zerstörten
Lebens empfinden, dann kann etwas in Bewegung geraten.
Wir können uns als ganz kleinen Teil des Ganzen wahrnehmen,
aber nicht mehr isoliert und hilflos: Wir können unsere
Verbundenheit mit allem Lebendigen, unser Eingebettetsein
in Räume und Zeiten und Beziehungen erfahren. So denkt
die Tiefenökologin, Systemforscherin, Umweltaktivistin und
Buddhistin Joanna Macy. Furcht und Ängste werden dann
in etwas Grösserem aufgehoben. Macy nennt es Liebe oder
Dankbarkeit. Sie sieht die Haltung der Dankbarkeit gegenüber
dem Leben mit seinen Herausforderungen und Krisen
als einen zutiefst subversiven Akt. Wenn wir dankbar seien,
liessen wir uns nicht mehr einlullen von den leeren Versprechen
der Konsumgesellschaft, sondern öffneten uns für das,
was wirklich ist, und das, was kommen will.

Von: Matthias Hui

5. Juni

Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen
lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung
vor Gott kundwerden!
Philipper 4,6

In manchen Familien und Beziehungen müssen sich die
Männer nicht sorgen. Die Zutaten für das Abendbrot sind
immer schon da. Der nächste Kindergeburtstagstermin ist
notiert, das Geschenk gekauft. Bei den Grosseltern wird
regelmässig nachgefragt, wie es geht. Aber es ist weniger der
liebe Gott, der alles bedenkt und erledigt. Es ist die Partnerin,
die Mutter der Kinder, die Geliebte, die Frau.
Natürlich ist das überzeichnet. Natürlich sind viele Männer
auf dem Weg, sich zu verändern. Aber viele einfach mal ein
bisschen. Man möchte die tollen beruflichen Aussichten, die
bequemen Gewohnheiten in der eigenen Rolle nicht gleich
aufgeben. Auch wenn viele spüren, dass das alles der eigenen
Gesundheit, dem eigenen Glück nicht wirklich guttut. Dass
die Privilegien ja nicht nur Freiheiten bedeuten, sondern
gleichzeitig ein Gefangensein in engen Mustern. Dass nicht
nur die Sorge um andere zu kurz kommt, sondern auch die
Sorge um sich selbst.
Deshalb sollten (wir) Männer nicht darum beten, dass uns
andere Personen oder der liebe Gott Sorgearbeit abnehmen.
Sondern danken dafür, dass wir uns nicht sorgen müssen,
wir könnten auf dem Weg in neue Beziehungen und
Geschlechterrollen ins Bodenlose abstürzen.

Von: Matthias Hui

6. April

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Kolosser 3,16

Spannend, dass «wohnen» in der Bibel öfter mal vorkommt. Wie wollen wir wohnen? Das ist nicht nur für mein eigenes Wohlbefinden, sondern für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ja – angesichts des Verbrauchs von Ressourcen wie Boden oder Energie zum Heizen, Kühlen, Kochen – für das Überleben unseres Planeten entscheidend.
Aber nicht im Zusammenhang mit einem gemütlichen Küchentisch oder dem Bedarf an Sanitäranlagen ist hier vom Wohnen die Rede. Der Kolosserbrief plädiert dafür, dass das Wort Christi in unseren Wohnungen reichlich Platz haben soll. Als Reformierter stelle ich mir beim «Wort Christi» immer auch eine Bibel vor. Aber das Wort Christi ist nichts für die Wohnwand. Es soll Platz finden am Tisch. So, wie in der jüdischen Pessachtradition ein Stuhl frei bleibt für den Propheten Elia, der kommen könnte, um die Ankunft des Messias anzukündigen. Das Wort Christi wohnt mit, wenn wir in der Gemeinschaft voneinander lernen, wenn das Leben gefeiert und wenn gesungen wird. Und es hat einen Ort, wenn alle ein sicheres Dach über dem Kopf haben, und wenn Wohnen sich nicht darin erschöpft, den Schlüssel drehen zu können, um die Welt draussen zu halten.

Von: Matthias Hui

5. April

Ich will gedenken an meinen Bund, den ich mit dir geschlossen habe zur Zeit deiner Jugend, und will mit dir einen ewigen Bund aufrichten. Hesekiel 16,60

«Der Bund». Er liegt jeden Tag auf dem Frühstückstisch unserer Wohngemeinschaft. Eine traditionsreiche Schweizer Tageszeitung, die sich auf die Gründung des Bundesstaates bezieht und in der Bundeshauptstadt erscheint. Bei «Bund» denke ich zuerst an den föderalistischen Zusammenschluss, in dem wir leben, und nicht an den Bund, den Gott nach der Bibel mit den Menschen geschlossen hat. Hat der Zeitungstitel nichts mit der göttlichen Zusage zu tun? Immerhin steht in der Präambel der schweizerischen Bundesverfassung «Im Namen Gottes des Allmächtigen», und das deutsche Grundgesetz spricht am Anfang von der «Verantwortung vor Gott und den Menschen». Das mag in einer säkularen Gesellschaft überlebt sein. Aber in der schweizerischen Präambel steht eben auch, dass «die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen», und im deutschen Grundgesetz ist das Recht auf Widerstand festgeschrieben für den Fall, dass Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat zerstört werden könnten. Das Versprechen auf ein gutes, gerechtes Leben für alle ist da. Die Verfassung erinnert uns daran. Und die Bibel ermutigt uns, auch in dürftigen Zeiten, in denen Mächtige Leben vernichten, den Glauben daran und die Arbeit dafür nicht aufzugeben.

Von: Matthias Hui

6. Februar

Der HERR spricht: Ihr sollt mir ein Königreich
von Priestern und ein heiliges Volk sein.
2. Mose 19,6

Die markante Friedenskirche in Bern steht hoch über den Häusern auf dem Veielihubel, dem Veilchenhügel. Die Zahl der Mitglieder der reformierten Kirche im Stadtviertel erodiert, die Institution Kirche kann das Gebäude nicht mehr halten, es geht an ein Stadtkloster über. Ihren Namen erhielt die Kirche vor hundert Jahren zum Gedenken an den Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Über dem Portal steht gross das Jesajazitat «Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein». Der Veielihubel ist fast ein wenig der lokale Berg Sinai.
Am Sinai offenbarte sich Gott Mose in einer dichten Wolke, in Rauch und Feuer. Mose solle die Menschen in Gottes Namen wissen lassen, dass sie ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk seien. Das war aber kein Beginn eines kultischen Hokuspokus, gerade nicht die Begründung einer neuen Religion in Verehrung irgendwelcher Götter. Gott offenbarte sich als befreiender Gott, der die Menschen aus der Not und Unterdrückung herausführt. Gott offenbarte die Zehn Gebote für das Zusammenleben, als «heiliges Volk».
Deshalb ist das, was bleibt vom Sinai – und vom Veielihubel –, weder Zeremonie noch Gebäude und schon gar nicht Religionszugehörigkeit oder Kirchenmitgliedschaft. Es ist die Erinnerung an Gott und sein «An-Gebot» eines freien, guten Lebens in Sorge und Liebe füreinander.

Von: Matthias Hui