Autor: Kathrin Asper

3. November

Fällt euch Reichtum zu, so hängt
euer Herz nicht daran.
Psalm 62,11

An Geld, Besitz, am Materiellen, sollen wir nicht hängen, das
wurde uns beigebracht und wird auch immer wieder gesagt.
Und doch, wie anders geht es in der Welt zu. Man will
immer mehr, ganz schnell wird Altes durch Neues ersetzt.
Die Kartonschachteln häufen sich ins Unendliche, in denen
uns neu Bestelltes zugeschickt wird. Abfall türmt sich auf
und die Welt droht daran zu ersticken. Genug ist nicht
genug. «Schneller, schöner, besser, praktischer» ist unsere
Devise geworden, und munter schwimmen wir mit im Strom
dieser unseligen Wasser!
Mich macht es immer wieder froh, wenn ich eine alte
Schüssel meiner Grossmutter benutze, auch sie hat darin
schon den Kuchen angerührt. Auch finde ich es schön, wenn
irgendetwas Altes, das sich in meinem Haushalt findet, mich
mit der Geschichte von früher verbindet, mit den Menschen,
mit der damaligen Zeit. Ich muss es nicht ersetzen,
es lebt mit mir weiter, und ich kann es weitergeben. Das
mehrt unser Gefühl der Kontinuität, des Dazugehörens, des
Verankertseins.
Und es schmerzt mich, kränkt mich, wenn ich um die Ecke
höre, dass meine Grossnichte die silberne Toilettengarnitur,
die noch aus der Familie stammte und die ich ihr zur Konfirmation
schenkte, verkauft hat, um sich dafür etwas Neues,
Besseres zu kaufen! Doch die Jugend schaut nach vorn und
wir Alten sind rückwärtsgewandt.

Von: Kathrin Asper

2. November

Paulus schreibt: Richtet nicht vor der Zeit, bis
der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird,
was im Finstern verborgen ist, und das Trachten
der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch
einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.
1. Korinther 4,5

Beim Lesen dieses Textes stolpere ich. Lese ich nur den ersten
Satz, so erwarte ich in der Folge, dass Schattenhaftes, Unliebsames
ans Tageslicht kommt. Lese ich dann den zweiten Satz,
ist das nicht so: Gutes wird offenbart und Gottes Lob wird
zugesagt. Ich muss gestehen, ich bin etwas verwirrt.
Der Akzent liegt offenbar auf der Mahnung, nicht vorschnell
zu richten, und ausserdem, dass richten nicht unsere
Aufgabe ist, sondern dass diese dem Herrn zukommt.
Das können wir uns zu Herzen nehmen. Es ist eine gültige
Lebensweisheit. Entsprechend wird der Text in der Regel
auch ausgelegt.
Lesen wir aber, dass Schattenhaftes und Unliebsames ans
Tageslicht kommen, dann sieht das ganz anders aus: Es ist
wichtig, dass wir, wenn wir eine nur gute Meinung von uns
haben, unseren Schatten erkennen lernen.
Dass wir lernen, uns anzunehmen mit unseren Beschränkungen
und unguten Seiten. Erst dann sind wir ganz, erst
dann lernen wir Bescheidenheit und Demut, erst dann überwinden
wir unsere Überheblichkeit. Wir müssen lernen, uns
selbst auszuhalten. Auf diesem Weg unterwegs, mag es uns
gelingen, andere nicht vorschnell zu richten.

Von: Kathrin Asper

3. September

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Psalm 139,5

Da wird Geborgenheit angesprochen, ich bin geborgen und aufgehoben in Gott, behütet, gesegnet und geschützt.
Es ist Gnade und ein grosses Geschenk, das erfahren zu dürfen.
Eben waren Meldungen in der Zeitung, am Radio und
im Fernsehen, wonach alte und junge Menschen sich verlassen und einsam fühlen. Auch wurde berichtet, dass in erschreckendem Ausmass junge Menschen seelische Probleme hätten, an Ängsten und Depressionen litten.
Gott heilt zerbrochene Herzen, lernten wir gestern, und heute spricht die Losung von tiefer Geborgenheit. Alles kommt von Gott, doch was können wir dazu tun?
Die Seherin Hildegard von Bingen (12. Jh.) empfahl, melancholischen Menschen, die gebrochenen Herzens sind, täglich mehrmals tröstende, hoffnungsvolle Texte aus der Bibel vorzulesen. Die Losungen von heute und von gestern würden sicher dazugehören.
Noch heute brauchen wir ein ähnliches Vorgehen in der Psychotherapie. Wir fordern depressive, verzweifelte, sich schuldig fühlende Menschen auf, auf ihre Gedanken zu achten. Dann sollen sie neben jeden dunkeln Gedanken einen positiven setzen, was keine geringe Anstrengung ist. Wenn sich dann auf geheimnisvolle Weise und durch unser Dazutun die dunkle Wolke über dem Gemüt hebt, so geschieht uns eine mögliche Form (neben vielen anderen Formen) von Heilung.

Von: Kathrin Asper

2. September

Der HERR heilt, die zerbrochenen Herzens sind,
und verbindet ihre Wunden.
Psalm 147,3

Da gibt es also jemanden, der uns heilt; kein irdischer Arzt, keine Mutter, kein Vater. Es ist Gott selbst, der sich unserer Wunden annimmt.
Christian Science? Da müssten wir nie mehr zum Arzt gehen? Doch dies kann ja wohl nicht gemeint sein.
Lourdes: – und der Blinde kann wieder sehen und der Gelähmte gehen? Auch wenn es das geben mag, so überzeugt mich das nicht generell.
Was ich indes nachvollziehen und glauben kann, ist eine seelische Heilung. So kann Gott wohl heilen, wenn sich jemand zutiefst verloren und verlassen fühlt; abgründig traurig oder gehasst; verachtet und verängstigt. An die Heilung solcher seelischer Wunden kann ich glauben. Sie geschieht dann, wenn sich in der Tiefe der Seele andere Gefühle einfinden, solche der Zuversicht, der Hoffnung und des Vertrauens.
Solche Wandlungen zum Guten geschehen, und sie werden als Geschenk und Gnade erfahren. Da passt die heutige Losung durchaus hin. Gott kümmert sich um unser gebrochenes Herz und verbindet unsere Wunden.
Heute wird das oft nicht mehr mit Gott in Verbindung gebracht und man nennt die Wandlung anders. Welches Wort haben Sie dafür?

Von: Kathrin Asper

3. Juli

Zerreisst eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt
um zu dem HERRN, eurem Gott!
Joel 2,13

Eine Geschichte, die ich einst hörte, kommt mir zu dieser
Losung in den Sinn. Sie verdeutlicht, was das Wort «zerreissen»
bedeuten kann. Eine Frau suchte einen Einsiedler auf und
klagte ihm, sie vergesse immer wieder alles, was sie in der Bibel
lese. Der Einsiedler trug ihr auf, mit einem Korb Wasser zu
holen. Sie nahm den verstaubten Korb und lief zum Brunnen,
doch das Wasser lief hinaus. Nach fünf Versuchen gab sie auf
und sagte dem Einsiedler, dass das so nicht gehe. Dieser aber
sagte: Schau, der Korb ist nun sauber, dein eifriges Lesen und
die Beschäftigung mit der Bibel haben dein Herz gereinigt und
deine Gedanken geordnet!
Wenn es um Busse und Umkehr geht, welche der Prophet
im Hinblick auf den furchtbaren und schrecklichen Tag des
HERRN fordert, so sollen wir nicht in Äusserlichkeiten stecken
bleiben, sondern wirklich unser Herz reinigen, es ausrichten,
dass es sich läutere.
Wenn ich es so recht bedenke, fällt mir für mein tägliches
Leben keine Situation ein, wo eine so krasse Umkehr vonnöten
wäre. Allerdings kann es sein, dass ich mich täusche! Indes gibt
es im Grossen durchaus Situationen, die nur mit der geforderten
Radikalität zu meistern sind, zum Beispiel die Klimaerwärmung.
Und da stellt sich allerdings die Frage:
Muss ich mein persönliches Leben radikal ändern, damit diese
Bedrohung durch einen persönlichen Einsatz Änderung erfährt?
Was, wenn wir alle – wirklich tatkräftig! – einen ganz persönlichen
Einsatz leisten würden, um die Schöpfung zu retten?

Von: Kathrin Asper

2. Juli

Die den HERRN lieb haben, sollen sein, wie die Sonne
aufgeht in ihrer Pracht!
Richter 5,31

Die heutige Losung bildet den Schluss des Siegesgesangs von
Debora und Barak. Sie hatten die Kanaaniter und deren Tyrannei besiegt.
Die Israeliten hatten Gott vergessen, ihren Glauben verloren und
hingen Baal an, dem Gott materieller Güter.
Debora, Richterin und Prophetin, rief zum Kampf auf. Barak,
der Heerführer, wollte, dass sie mit ihn in den Kampf zieht,
«denn Gott ist mit dir». Und sie siegten. So fanden die Israeliten
zurück zu Gott und seiner Liebe und konnten dadurch selber
die Liebe zu ihm in ihrem Herzen spüren, so, «wie die Sonne
aufgeht in ihrer Pracht».
Vor vielen Jahren fuhr ich mit dem Fahrrad von Gersau am
Vierwaldstättersee zur nahe gelegenen Chindlikapelle. Neben
vielen Votivtafeln war da auch ein Gedicht an Maria mit der
Bitte «Maria, hilf streiten mir». Das erstaunte mich, gilt doch
Maria als sanft und durchaus nicht streitbar. Dazu kommt mir
noch in den Sinn, dass in der Ostkirche die Ikone «Muttergottes
des Zeichens» in den Schlachten an vorderster Front mitgetragen
wurde.
Gemäss der heutigen Losung und ihrem Kontext hängen
demnach Kampf und Sieg auch von der Frau ab. Weiblicher
Einfluss garantiert den Sieg, denn er ist auf Gott ausgerichtet.
Ich denke, es ist wesentlich, dass – in welchem Streit oder
Kampf auch immer wir uns befinden – wir auf einen inneren
Kompass ausgerichtet sind, der auf die Transzendenz verweist.
So bleibenwirin der LiebeGottes und können diese vermitteln,
trotz allem Säbelrasseln.

Von: Kathrin Asper

3. Mai

Du sollst dem Tauben nicht fluchen und sollst
vor den Blinden kein Hindernis legen, denn du sollst
dich vor deinem Gott fürchten.
3. Mose 19,14

Levitikus Kapitel 19 ist gleichsam ein Kompendium wichtiger
Anweisungen für ein gelungenes Leben mit Gott und mit
den Menschen. Hinweise zum Gottesdienst und zu sozialem
Verhalten wechseln ab oder sind verschränkt. So wie hier,
wo Respekt und Achtung behinderter Menschen mit der
Beziehung zu Gott verbunden sind. Die im Kommentar der
gestrigen Losung beklagte Abwesenheit einer transzendenten
Verankerung ist hier noch deutlich vorhanden.
Menschen mit Behinderungen sind anders und bleiben es,
obschon alles getan wird, die Inklusion in die sogenannte
Normalität zu fördern. Assistiertes Leben, Hilfsmittel jeder
Art, Spezialschulen, Rampenvorschriften sollen eine in
jeder Hinsicht barrierefreie Gesellschaft schaffen. Das ist
gut so. Was nicht gut ist, ist die scheinbar gleichmachende
Inklusion in die Normalität. Das führt leicht zu Illusionen.
Indes: Es ist eine Tatsache, dass es behindertes Leben gibt,
und Menschen mit Behinderung und Menschen ohne sind
aufgerufen, intensive innere Arbeit zu leisten, mit diesem
Anderssein klarzukommen, zu lernen, sich nicht als Opfer
und benachteiligt zu fühlen, und zu lernen, Menschen mit
Behinderungen nicht als minder einzustufen. Jeder und jede
hat Berechtigung und macht wertvolle Lebenserfahrungen,
die auszutauschen von grossem Gewinn ist.

Von: Kathrin Asper

2. Mai

Der HERR spricht: Wenn doch mein Volk mir
gehorsam wäre!
Psalm 81,14

So vieles läuft schief in der heutigen Welt: Kriege, Klima,
Seuchen, Hunger, Dürren, Korruption im Grossen und im
Kleinen, Anonymität zwischen den Menschen, wenig soziale
Kontrolle, Gleichgültigkeit, Wegwerfgesellschaft, schwindende
Hilfsbereitschaft.
Wir haben wenig bis keine Verbindung zu einer Transzendenz,
in der wir einen Gott orten, der sich Sorgen um uns
macht und entsetzt ist, dass sein Volk seine Gesetze und
Anordnungen nicht einhält. Diese Beziehung nach oben geht
mehr und mehr verloren, und die Völker und Ethnien, die
sich bekriegen, die innenpolitische Schwierigkeiten, Querelen
und Feindschaften miteinander austragen, haben kaum
Bezug nach oben, sondern klagen sich selbst und andere an
und sind niemandem über sich hinaus mehr verantwortlich.
Es ist indes gut, sich an eine transzendente Orientierung zu
halten, diese Vorstellung im Innern noch lebendig zu fühlen.
Das schenkt uns einen Kompass ausserhalb unserer selbst
und ruft uns zu Verantwortung auf.
Wenn Rilke noch dichten konnte «auf Goldgrund und
gross» mit Bezug zur Malerei und damit die Verbindung
des Mittelalters zur Transzendenz meinte, so haben wir den
Weg zu einer Welt über uns weitgehend verloren. Und das
ist ein Verlust.
Was meinen Sie?

Von: Kathrin Asper

3. März

Wer seine Missetat leugnet, dem wird’s nicht gelingen; wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen. Sprüche 28,13

Was mir bei diesem bekannten Spruch und seinem Zweck und Sinn heute ins Auge sticht, ist das Wort «lässt». Wir sollen also Missetat und Schuld bekennen, uns ihrer bewusst sein und dann lassen, das heisst abschliessen damit.

Wer Schuld auf sich geladen hat, braucht eine Zeit, bis er diese wirklich anerkennt, sich ihrer bewusst wird und sie auch annimmt. Das bedeutet allerdings eine Veränderung des Bildes, das man von sich hat. Das Selbstbild hat Schatten bekommen, und damit ist künftig zu leben und ein Einverständnis zu finden. Nicht einfach!

Wunderbar und erlösend ist es indessen, wenn ein Schuldbeladener das Gefühl geschenkt bekommt, trotz allem angenommen zu sein, und sich an ihm das Wort bewahrheitet, dass man nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Für mich ist das die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes.

Aber «lassen»? – Ich glaube nicht, dass man Schuld einfach vergessen kann, zu wichtig scheint mir, dass wir lernen, mit der Schuld trotz allem zu leben und das veränderte Selbstbild zu akzeptieren.

Lassen kann man allerdings das ständig Darin-Wühlen, und das ist erstrebenswert.

Von: Kathrin Asper

2. März

Jesus schrie: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Matthäus 27,46

Jesus leidet als Mensch am Kreuz, so ist er uns nahe, wenn Leid uns trifft und es uns schlecht geht. Jesus büsst für die Sünden der Menschheit und er erlebt es so, als hätte er gesündigt. Jesus stirbt als Mensch und Sünder, als einer, den Gott verlassen hat wegen seiner Sünden. Er spricht die Worte aus Psalm 22 aus, in dessen zweitem Teil es heisst: «Gott ist treu, auf seine Hilfe ist Verlass.»

Obwohl er Gott nie durch Sünden ferne war, ist Jesus als Mensch und Sünder gestorben. So gesehen, wird mir verständlich, dass er für unsere Sünden starb.

Jesu Tod öffnet uns die Türe zu Gottes Liebe und Vergebung. Zur Todesstunde Jesu zerreisst der Vorhang im Tempel. Der Vorhang teilte den Raum vom Heiligen zum Allerheiligsten. Im Allerheiligsten befand sich der Gnadenthron Gottes, Symbol der Anwesenheit Gottes.

Jesu Tod eröffnet uns also den Zugang zur Gnade Gottes und seiner Barmherzigkeit.

Dem voraus herrschte drei Stunden lang tiefste Finsternis, dann bebte die Erde und Felsen barsten. Jesus schrie:  

«Es ist vollbracht» (Johannes19,30) und verschied.

Sein Leben und Sterben brachte die Menschen in ein anderes Verhältnis zu Gott, zu einem Gott, der uns nahe ist und den wir direkt als Vater ansprechen können.

Von: Kathrin Asper