Alle, die dem HERRN widerstehen, werden zu ihm
kommen und beschämt werden. Jesaja 45,24
Kürzlich hörte ich eine bekannte Literaturkritikerin über ein
Buch am Radio sagen: «Was mich am Autor stört, ist seine
religiöse und erbauliche Erzählweise.» Diese beiläufige Kritik
zeigt: Es gehört heute zum guten Ton, sich von allem Religiösen
und seinen Erzähltraditionen zu distanzieren. Der Widerstand
gegen eine Wahrhaftigkeit, die jenseits des Erklärlichen
steht, ist zum Courant normal geworden.
Zum Glück!, dürfen wir einerseits sagen. Vernunftbasiertes
Handeln und Denken ist eine grosse Errungenschaft für
unsere Zivilisation. Verschwörungstheorien und radikale
Religiosität lassen aber auch vermuten, dass wir in unserer
säkularen Gesellschaft das Kind zu sehr mit dem Bad ausgeschüttet
haben. Unsere Zeit erscheint mir in dieser Hinsicht
nicht viel anders als jene von Jesaja. Unsere Scham beim Blick
auf unsere Welt ist vergleichbar mit jener, die der Prophet
damals nannte. Wir Menschen haben in unserem Streben
nach immer mehr Wohlstand und Wachstum die Demut
gegenüber der Schöpfung verloren. In unserer Freude, unser
Leben frei nach unseren eigenen Werten zu gestalten –
zumindest auf unserem Kontinent – haben wir uns jener
religiös-moralischen
Leitlinien entledigt, wie sie die biblischen
Bücher über Generationen schufen. Auch wenn sie in
vielem kein zeitgemässer Kompass mehr sind, so erzählen
sie vom ethischen Anliegen, uns in etwas Übergeordnetes
einzufügen, das dem Wohlergehen unseres Planeten dient.
Von: Esther Hürlimann