Jesus spricht: Mein Vater, der sie mir anvertraut hat,
ist mächtiger als alle. Niemand kann sie aus seiner Hand
reissen. Johannes 10,29

Die Übersetzung der Zürcher Bibel unterscheidet sich – aufgrund
einer anderen Lesart des Urtexts – deutlich von jener
des heutigen Lehrtexts: «Was mein Vater mir gegeben hat,
ist grösser als alles, und niemand kann es der Hand des Vaters
entreissen.» – Zwei Unterschiede fallen auf:

  1. Im Lehrtext ist von «sie» die Rede, was im Zusammenhang
    von Johannes 10 die «Schafe» beziehungsweise die
    Anhänger:innen Jesu im Gegensatz zu den «Juden» meint.
    Die Übersetzung der Zürcher Bibel hingegen spricht von
    «es». Damit könnte auch Innerseelisches gemeint sein, etwa
    jene «Kraft in der Seele», die im Gegensatz zu den Egokräften
    «grösser als die ganze Welt» sei, wie der deutsche
    Mystiker Meister Eckhart (1260–1328) sagt.
  2. Dass Gott «mächtiger als alle» sei, klingt, wie es in einem
    Kommentar heisst, «allzu banal». Dass hingegen mein wahres
    Wesen – wie die Liebe (1. Korinther 13,13) – in den Augen
    Gottes «grösser» als alles sei, grösser als Macht und Mammon,
    das ist eine überraschende Aussage. Sie lässt meinen
    Seelenfunken aufleuchten, meine bedingungslose Würde,
    die nichts und niemand der liebenden Hand Gottes entreissen
    kann, kein Wolf, wie es im Kontext heisst (Vers 12),
    nicht das Schreckliche, das in dieser Welt geschieht, nicht
    die Egomanen, die sie derzeit regieren, und auch nicht die
    eigene Gier.

Von: Andreas Fischer