Der HERR ist hoch und sieht auf den Niedrigen
und kennt den Stolzen von ferne. Psalm 138,6
Der Höchste, der Erhabene, der Allmächtige, «Grosser Gott» –
solche Gottesbezeichnungen sind oft kritisiert worden
als «Majestätsparadigma», das die hierarchischen Gesellschaftsordnungen
religiös überhöht und legitimiert. Wer
aber bei den Wörtern stehenbleibt, hat nur die Hälfte der
biblischen Sprache aufgenommen. Gerade unser heutiges
Losungswort zeigt dies, weil es nach dem majestätischen
Einstieg ja noch weitergeht. Allein damit, dass Gott von hoch
oben auf die Niedrigen schaut, ist es nicht getan. Das Gefälle
von oben und unten, die hierarchische Grundvorstellung
wäre damit lediglich bestätigt. Der Schluss des Psalmverses
geht darum noch einen Schritt weiter. Wenn Gott den Stolzen
von ferne erkennt, meint das ja nicht, dass er ihn einfach
zur Kenntnis nimmt. Vielmehr denken wir hier an den Vers
aus dem Lobgesang der Maria, dem Magnificat: «Er stösst
die Gewaltigen vom Stuhl.» Auf diese Weise kann und soll
das «Majestätsparadigma» gelesen werden, als grundsätzliche
Kritik an menschlicher Majestät, als eine Quelle der
Zuversicht angesichts immer schamloserer Machtansprüche
von egomanischen Autokraten weltweit. Wenn wir Gott als
den Höchsten und Allmächtigen loben, bezeugen wir, dass
er über allen vergänglichen Möchtegernallmächtigen steht.
«Lasst uns lachen über Grössen, die keine sind», heisst es in
einem Studentenlied. Gott lacht mit uns.
Von: Andreas Marti
