Jesus sprach: Der Zöllner stand ferne, wollte auch
die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug
sich an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder
gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab
in sein Haus.
Lukas 18,13–14

Meine Studienzeit liegt schon ein paar Dekaden zurück,
vieles habe ich vergessen. Doch an eine Szene erinnere ich
mich noch gut: Im Rahmen eines Bibliodrama-Workshops
spielten wir das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner,
an dessen Ende der heutige Lehrtext steht. Mir kam die Rolle
des Pharisäers zu. Bei der Auswertung zeigte sich der Leiter
beeindruckt von meiner Performance. Das Kompliment
kam bei mir durchaus ambivalent an und war wohl auch so
gemeint. Da war so etwas wie der «Pharisäer in mir» zum
Vorschein gekommen, jener Pfaffe, von dem Zwingli sagt, er
sei «stolz wie Holz».
Passend zu dieser prägenden Erinnerung schreibt Eduard
Schweizer in seinem Kommentar, man soll sich «nicht
nur mit dem Zöllner identifizieren, sondern in sich selbst
auch etwas vom Pharisäer entdecken». Indessen ist auch
die Identifikation mit dem Zöllner interessant. In Bezug auf
ihn schreibt Schweizer: «Mit Minderwertigkeitsgefühlen ist
nichts erreicht; erst mit der Entdeckung des unvorstellbar
gnädigen Gottes.» Das Gleichnis befreie, lautet Schweizers
Fazit, aus Selbstgerechtigkeit und auch aus «Lebensuntüchtigkeit,
die um den mangelnden Selbstwert kreist».

Von: Andreas Fischer