Ihr werdet die Wahrheit erkennen,
und die Wahrheit wird euch frei machen. Johannes 8,32
Diese Losung schmückt so manches Universitätsgebäude
und steht für das Ideal der Bildung, oft über dem Eingang in
Stein gemeisselt: veritas liberabit vos – natürlich in Latein,
wie es sich gehört. Die ursprünglichen Worte Jesu richteten
sich aber nicht an Gelehrte und Studierende, sondern an
eine Gruppe von Skeptikern, die seinem Zeugnis nicht trauten.
Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist unlösbar mit ihm
selbst verbunden. Bei anderer Gelegenheit sagt er: «Ich bin
der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt
zum Vater ausser durch mich.» (Johannes 14,6)
Und dieser Spruch eignet sich definitiv nicht als Leitwort
für eine weltanschaulich neutrale Bildungsinstitution! Zwei
verschiedene Wahrheiten und Freiheiten prallen aufeinander.
Da die Wahrheit, die Freiheit verspricht, weil sie an eine
Person gebunden ist, und dort die Wahrheit, die Freiheit
verspricht, weil sie Bindungen hinter sich lässt. In der säkularen
Gesellschaft, in der wir leben, gilt das eine als Religion
und das andere als Wissenschaft. Man kann Religion und
Wissenschaft wieder verbinden. Auf der Basis der Wissenschaft
heisst die Kombination «Religionswissenschaft», auf
der Basis des Glaubens «Theologie».
Ich bin Theologe und zwischen den beiden Wahrheiten
zuhause. Es ist gut, hat sowohl der Glaube als auch die Skepsis
einen Ort im Haus der Wissenschaft.
Von: Ralph Kunz