HERR, ich warte auf dein Heil. Psalm 119,166
Im biblischen und kirchlichen Sprachgebrauch ist das «Heil»
ein Allerweltswort, eine Formel für alles, was wir von Gott
erwarten, bis hin zu einem endzeitlichen «Alles ist gut».
Im hebräischen Text steht an dieser Stelle das Wort
«Jeschu’a». Das wird wörtlich meist eher übersetzt mit
«Hilfe». Zugleich ist es auch die hebräische Form des
Namens «Jesus».
Eine naive Auffassung vom Verhältnis von Neuem und
Altem Testament könnte nun behaupten, der Psalmsänger
(oder könnte es eine Psalmsängerin gewesen sein?) lebe
in Erwartung des Messias mit dem Namen Jesus, habe ihn
irgendwie vorausgesehen. Freilich greifen die Evangelisten
immer wieder auf die hebräische Tradition zurück. Das hilft
ihnen und ihren Zeitgenossen, das Leben und den Tod Jesu
und was sie danach als seine Auferstehung erfahren haben,
zu deuten und zu verstehen.
Der Psalmtext ist aber erst einmal aus sich heraus zu verstehen.
Sein Sinn muss keineswegs in einer zeitlichen, einer
zukünftigen Dimension liegen. Mit dem Psalmsänger (oder
eben der Sängerin) erwarten wir das «Heil», erwarten wir
Hilfe, das Gute in unserem Leben von Gott. Oder vorsichtiger:
Wir erfahren und wissen, dass wir uns dieses Gute
nicht selber verschaffen können, dass es uns geschenkt wird,
unverfügbar, unbegreiflich. Und wir wagen es, dieses Unverfügbare
«Gott» zu nennen.
Von: Andreas Marti