Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für
uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Römer 5,8
Wenn ich die Frage, welches Buch ich mit auf die einsame
Insel mitnehmen würde, mit «die Bibel» beantworte, stosse
ich in der Regel auf Unverständnis: Wie kannst du die darin
vertretene Moral denn gut finden?! Wie kannst du dich mit
einer religiösen Doktrin identifizieren, in deren Namen so
viel Leid angerichtet wurde?! Die Bibel hat in meinem mehrheitlich
säkularen Umfeld kein gutes Image, was ich mit Blick
auf die nicht sehr ruhmhafte Kirchengeschichte nachvollziehen
kann. Und auch die Aktualität lässt uns erschaudern,
wenn wir sehen, wozu Fanatiker aller Religionen fähig sind.
So sehr ich das Unbehagen allem Religiösen gegenüber
verstehe, so sehr bin ich eine Verfechterin im Aushalten
meiner eigenen Ambivalenz gegenüber der Bibel und ihren
Botschaften. In diesem Spannungsfeld lese ich den Vers aus
dem Paulusbrief an die Römer. Logisch, niemand mag sich
heute noch als «Sünder» verstehen. Doch statt mich davon
abstossen zu lassen, wälze ich dieses befremdliche Wort in
mir und stelle mir Paulus vor, der von der Bedingungslosigkeit
der göttlichen Liebe redet. Trotz unserer Fehlbarkeit
haben wir Anspruch auf Wertschätzung. Trotz unserem
Unvermögen stehen uns Türen offen. Trotz unserem ramponierten
Selbstwertgefühl dürfen wir auf Verständnis, Zuwendung,
ja Liebe hoffen. Obwohl uns gerade diese gewaltige
Botschaft nicht einfach auf dem Serviertablett geboten wird:
Dafür mag ich die Bibel.
Von: Esther Hürlimann