Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben
die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben
seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. 2. Petrus 1,16

Der Autor des heutigen Lehrtexts behauptet, seine Botschaft basiere
auf Augenzeugenschaft. In den folgenden Versen erläutert er, was mit
der «Herrlichkeit Christi», die er «mit eigenen Augen gesehen» habe,
gemeint ist, nämlich die Verklärung Jesu auf dem Tabor, dem
«heiligen Berg» (Verse 17 ff.; vgl. Markus 9,2–8).
Zwei Dinge muten bei der Argumentation merkwürdig an:
Erstens kann der Autor des 2. Petrusbriefs – darüber besteht in
der neutestamentlichen Wissenschaft Konsens – nicht der
Jesusjünger Simon Petrus gewesen sein. Und zweitens gehört jene
Lichterscheinung auf dem Tabor doch ausgesprochen in eine Welt
jenseits der augenscheinlichen Fakten. Trotzdem sollte man den
Autor unseres Lehrtexts nicht der Lüge bezichtigen. Vielmehr scheint
jenes Licht für ihn realer als die Realität gewesen zu sein, und er scheint
es in einer Intensität gesehen zu haben, als wäre er selbst auf dem Tabor
gewesen. Ähnlich wird später der Hesychasmus, die mystische Strömung
in der orthodoxen Kirche, das Taborlicht als ein überzeitliches,
transpersonales Phänomen verstehen: «Es gibt nur ein und dasselbe Licht,
das den Aposteln auf dem Tabor erschienen ist, das den gereinigten Seelen
jetzt erscheint und in dem das Wesen der zukünftigen Welt besteht.»

Von: Andreas Fischer