Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige
meinem Volk seine Abtrünnigkeit. Jesaja 58,1
Ein heikles Losungswort, wenn es uns fragen lässt, weswegen
und wann wir selbst prophetischen Lärm machen sollen.
Denn wo Menschen (vor allem predigende) den Anspruch
erheben, sie müssten ein prophetisches Donnerwort ausrichten,
kommt meist eine kleinkarierte, aber umso ärgerlichere
Moralpredigt heraus.
Wirksamer und heilvoller ist, wenn ich mich in der schönen
alten Formulierung «unter dieses Wort stelle», wenn
ich mich zu dem Volk zähle, dessen Abtrünnigkeit angeklagt
wird, seine «Vergehen» oder sogar «Verbrechen», wie
andere übersetzen. Wenn ich mich also vom Propheten auch
nach mehr als zweitausend Jahren dazu rufen lasse, meine
Frömmigkeit zu überprüfen. Darum geht es im Kapitel, das
mit diesem Befehl zum Posaunenstoss beginnt. Es klagt
heuchlerisches Fasten an, das nur das Gewissen beruhigen
will und nichts am herrschenden Unrecht ändert. Der Prophet
deckt zum Glück nicht bloss auf, was schiefläuft, sondern
er sagt auch, wie das Volk umkehren, was es tun, wie es
so leben kann, dass die Zustände sich ändern. «Abtrünnigkeit
» ist also ein Leben, das in sich nicht stimmig ist.
Ein glaubwürdiges Bekenntnis zu Gott drückt sich in der
Art und Weise aus, wie ich mit meinen Nächsten umgehe,
namentlich auch mit denjenigen, bei denen es mir scheinbar
fernliegt.
Von: Benedict Schubert