Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein
grosses Licht, und über denen, die da wohnen im
finstern Lande, scheint es hell.
Jesaja 9,1

In der Bibel ist «Volk» der Begriff für das Kollektiv schlechthin
und eine politische Grösse. Jeder Mensch gehört zu
einem Volk und Völker bewohnen die Erde. So viel hat sich
seit der Antike gar nicht geändert. Es ist bis heute so. Ich
lese die Losung und frage mich: Gibt es ein Volk, das nicht
im Dunkeln tappt? Einmal abgesehen von den Appenzellern
und den Ostfriesen fällt mir keines ein … Genau, wir machen
Witze übereinander und das ist durchaus erhellend. Solange
es beim geschwisterlichen Necken bleibt, verstehen wir uns,
solange wir Verschiedenheit als Reichtum erfahren, sehen
wir Licht und solange die Völker miteinander feiern, scheint
es hell.
Wenn ich Zeitung lese, sieht es finster aus. Die einen Völker
rüsten auf, um sich gegen andere Völker zu wappnen. Sorry,
wenn ich Ihnen den Tag verderbe – aber ich finde es zurzeit
ziemlich düster. Wir nennen uns aufgeklärt, spotten über
unsere unterbelichteten Vorfahren und wandeln selbst im
Finstern. Wir beherrschen die Kunst der Lichtverschmutzung
und leben in rabenschwarzen Zeiten. Wenn das alles
wäre, was wir zur Zukunft sagen können, dann gute Nacht.
Darum lese ich Zeitung und dann noch einmal diese
Losung. Damit die Nacht zum Tag wird.

Von: Ralph Kunz