Mach dich auf, Gott, und führe deine Sache. Psalm 74,22

Die Schlacht ist verloren. Die Heiligtümer liegen in Trümmern, der Feind triumphiert und erniedrigt die Besiegten. Der Psalm erzählt von einer Niederlage und der Schmach danach. Ich wünschte, die Bilder, die beim Lesen der Verse in mir aufsteigen, wären mir fremd. Altes Testament eben und deshalb ganz weit weg. Doch ich kenne die Bilder nur allzu gut. Die Bilder von zerbombten Kirchen, brennenden Moscheen, zerschossenen Tempeln, zerstörten Synagogen. Und all die Städte und Dörfer in Trümmern, Menschen auf der Flucht, der Gewalt ausgeliefert. Wie der Psalmist frage ich mich, warum Gott das alles zulässt. Weshalb er seine Hand zurückzieht, statt sie schützend über die Opfer zu halten und die Angreifer zurückzuschlagen.

«Steh auf, Gott, führe deinen Streit.» So übersetzt die Zürcher Bibel die Tageslosung und spitzt sie zu. Ich bete dafür, dass Gott uns die Kraft gibt, aufzustehen gegen das Unrecht und die Gewalt und dabei hilft, den Frieden zu erstreiten. Aber halt: Kann ich überhaupt sicher sein, was Gottes Sache ist? Es ist doch seine Sache. Vielleicht steckt auch diese Warnung im Psalm: dass viele Kirchen und Moscheen brannten und brennen, gerade weil die Menschen meinten, Gottes Plan zu kennen und seinen Streit selbst führen zu müssen. Auch in seiner Ambivalenz ist der Psalm aktueller, als mir lieb ist.

Von Felix Reich