Der HERR wird richten die Völker.                  Psalm 7,9

Eine verstörende Aussage. Wie sollen wir denn am Morgen schon wissen, wie am Abend gerichtet werden wird? Wer gerichtet werden wird? Aus welchem Grund? Zu welchem Zweck? Ob Gott wohl davon weiss, dass er richten wird? Dass er richten soll. Ob er das überhaupt will? Oder sind wir es, die das wollen? Dass einer dann richtet. Dann. Irgendwann. Wenigstens dann. Wenn wir uns schon jetzt nicht zu helfen wissen.

Wie viele Kinder dieser Erde haben schon bis am Abend darauf warten müssen, bis sie von ihrem Vater jene Strafe erhalten haben, die ihnen im Laufe des Tages von ihrer Mutter angedroht wurde. Wie viele Menschenkinder konnte man sich gefügig machen, indem man ihnen im Laufe ihres Lebens mit Höllenqualen im Jenseits drohte. Wie viele Male scheuen wir uns – gerade in kirchlichen Kreisen –, Unrecht beim Namen zu nennen, und warten einfach einmal ab in der Hoffnung, dass Gott es schliesslich richten wird. Richten soll. Dann. Irgendwann. Wenn wir uns schon jetzt nicht zu helfen wissen.

Der HERR wird richten die Völker. Eine verstörende Aussage. Lassen wir uns stören in unserem Glauben. Warten wir damit nicht bis am Abend. Es wäre schade um den Tag.

Von Ruth Näf Bernhard