Schlagwort: Dörte Gebhard

19. März

Zuflucht ist bei dem Gott, der von alters her ist. 5. Mose 33,27

Vertrauen in die Alten – das war den Alten vertraut.

Darum war aber früher nicht alles besser. Dieser Schluss liegt unmittelbar nahe, ist aber falsch. Alte Menschen überblicken die Zeiten und haben viel mehr Lebenserfahrung. Das ist wahr. Aber dieses kostbare Gut stammt überwiegend aus den selbst gemachten Fehlern, nicht weil damals alle es besser gewusst und gekonnt hätten.

Das wird zwar gern und vehement von jeder älteren Generation behauptet, ist aber ebenso falsch.

Vielmehr kommt es darauf an, Jugendlichkeit bei den Menschen als vorübergehenden Zustand zu erkennen, der lebenswichtig und unverzichtbar ist, die Jugend aber nicht anzubeten oder gar mit dem scharfen Skalpell in der Hand zu verteidigen. Die Jugend taugt genauso wenig für die Ewigkeit wie alle anderen unserer Lebensalter.

Wollten die Israeliten ihren Gott auch vor den Heiden loben, so betonten sie sein unvorstellbar hohes Alter, seine Erfahrung mit Zeit und Ewigkeit. Mit einem jugendlichen, eventuell sogar hippen Gott hätten sie niemanden beeindruckt.

Sie scherten sich nicht um die Bedürfnisse ihrer jeweiligen Besatzungsmacht nach Events und Aufregungen aller Art. Sie erzählten sich lieber, wie oft Gott ihren Vorfahren schon geholfen hatte. Das half den Alten und den Jungen. Sie erkannten besser, wie oft Gott in der Gegenwart hilft.

Von: Dörte Gebhard

18. März

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Matthäus 7,12

Eine Weltreise, so lange sie auch dauert, wird an keinen Ort führen, an dem die Goldene Regel nicht in einer ihrer Varianten bekannt ist. Der geschichtliche Rückblick, so weit er auch zurückführt, wird aus allen uns bekannten Zeiten ein ähnliches Zitat zu Tage fördern. Diese so berühmte Anweisung ist natürlich nicht unwidersprochen geblieben. George Bernard Shaw meinte ironisch: «Behandle andere nicht, wie du möchtest, dass sie dich behandeln. Ihr Geschmack könnte nicht derselbe sein.»

Dabei geht es nie um harmlose Geschmacksfragen, sondern um das gefährliche Abenteuer, von sich aus mit der guten Behandlung anzufangen, auch wenn die anderen nicht oder noch nicht mitmachen. In der Bergpredigt fehlen realistischerweise alle naiven Versprechen, dass dann alle begeistert sein werden und auf jeden Fall auch gleich mitmachen und später ihrerseits bei anderen weitermachen. So verbreitet die Regel ist, so wenig wird sie erprobt und im Alltag gelebt. Jesus Christus gehört zu jenen, die die Goldene Regel konsequent umgesetzt haben, gegenüber Freunden, Fremden und Feinden. Auch deshalb wurde aus seiner Lebensgeschichte zuletzt eine grausame Leidensgeschichte. Denn mit seiner Feindesliebe machte er sich keine Freunde. Im Gegenteil: Er starb auch an den unmittelbaren Folgen der beherzigten Goldenen Regel. Dennoch ist sie nicht aus der Welt zu schaffen.  

Von: Dörte Gebhard

1. März

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Römer 8,31

Paulus ist ein alter Mann, als er den Römerbrief schreibt. Ob er deshalb so widersinnige Fragen stellt? Ist er müde und abgestumpft? Sieht er die Realität nicht mehr klar?

Er schreibt an «die Römer», wie wir gewöhnlich sagen. Das klingt sonntags, bei unseren Lesungen, immer grossartig und allumfassend. Es war aber eher ein überschaubarer Kreis, der den Brief, auch damals an einem Sonntag, erstmals vorgelesen bekam. Manche schätzen, es seien seinerzeit ungefähr 250 Christen und Christinnen in der Millionenstadt gewesen.

Paulus ist in seinem langen Leben mehr als genug herumgekommen. Die Widerstände gegen die Verbreitung des Evangeliums und die Widrigkeiten auf seinen Reisen passen nicht auf diese Seite: eine Giftschlange und mehr als Gegenwind, unzählige Male Hass und Hetze gegen ihn, Gefangenschaft und immer wieder Gefahr für Leib und Leben.

Er kann so fragen, weil er trotz allem alt geworden ist, weil er bewahrt wurde, sooft er den allzu frühen Tod vor Augen hatte. Er kann so trotzig sein, weil er nie genug Zeit hatte, um innerlich abzustumpfen. Er kann den wenigen Anfängerinnen und Anfängern im Glauben Mut machen, weil Gott ihn immer wieder auf den Boden seiner wunderbaren Tatsachen gestellt hat. Gefühlt «alle» mögen gegen uns sein. Der Augenschein kann diesen Gedanken geradezu aufzwingen. Aber Gott ist für uns – und für alle seine Geschöpfe. Widerstand ist zwecklos.

Von: Dörte Gebhard

19. Januar

Wir haben nichts in die Welt gebracht; darum können wir auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir uns damit begnügen. 1. Timotheus 6, 7–8

Nichts haben wir in die Welt gebracht.
Nichts von dem, was wir von Anfang an zum Leben brauchten. Andere haben für uns das Nötigste oder sogar das Beste zusammengetragen. Entweder konnten sie sehr grosszügig sein oder sie gaben sogar mehr als die Hälfte von dem, was sie selbst gut hätten gebrauchen können.
Nichts werden wir einst hinausbringen.
Nichts vom Aufgehäuften, nichts vom Verlorenen.
Nichts können wir ganz am Schluss aus der Welt schaffen. Wir hinterlassen alles, Grandioses und Unfug, Fertiges und Offenes. Andere leben gerne weiter mit unseren klugen Ideen und allem, was wir nicht nur gut gemeint, sondern richtig gut gemacht haben. Ebenso erben sie aber auch die Folgen unseres Fussabdrucks und unseren Müll, der erfahrungsgemäss nur langsam verrottet.
Timotheus verzweifelt darüber nicht. Er empfiehlt angesichts dieser Wahrheiten vergnügte Genügsamkeit.
Genug ist ihm zufolge, das Notwendigste zu haben und zu merken, dass Gott seine Gaben obendrein immer im Überfluss schenkt, nachzulesen in Psalm 23.
Für den Pessimisten ist das Glas halb leer.
Für den Optimisten ist es halb voll.
Für den Psalmisten läuft das Glas regelmässig über.

Von: Dörte Gebhard

18. Januar

Jesus spricht: Ihr könnt nicht Gott dienen und
dem Mammon.
Matthäus 6,24

Gläubiger oder Glaubende? Kredit oder Credo? Runde Münzen auf dem Tresen oder runde Hostien bei der Eucharistie? Die Reden von teuer und billig, vom Lösegeld und von Preisen allgemein sind einander fast zum Verwechseln ähnlich. Einerseits geht es um die Bank, andererseits um die Kirche. Daher gibt es seit der Erfindung des Geldes den Verdacht, man könne nicht nur Gott und dem Mammon dienen, sondern beides gleichzeitig erledigen.
Jesus widerspricht diesem Ansinnen entschieden.
So kommt die Alternative ans Licht: Wenn wir Gott dienen, können wir zugleich den Mammon beherrschen und benutzen, über ihn verfügen und ihn uns untertan machen.
Im Neuen Testament scheuen sich die Evangelisten nicht vor extremen Beispielen, was man alles mit Geld machen kann, wenn man es nicht anbetet.
Es gibt die originelle Aufforderung: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon! (Lukas 16,9)
Meine persönliche Lieblingsstelle steht aber im 8. Kapitel bei Lukas. Unter den Frauen, die Jesus folgen, ist Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes. Auch sie «dient mit ihrer Habe». Woher hat sie das Geld? Vermutlich von ihrem Mann. Wie ist er dazu gekommen? Wohl nicht nur durch moralisch einwandfreies Tun. Selbst wenn das Geld auf problematische Weise aufgehäuft wurde, kann man es beherrschen, fröhlich und gut ausgeben.

Von: Dörte Gebhard

19. November

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. 1. Petrus 3,15

Rechenschaft ablegen müssen ist anstrengend, gelegentlich peinlich. Andere Menschen Rechenschaft ablegen lassen ist viel angenehmer, gelegentlich verleitet es zur Arroganz.
Die gegenwärtigen Zeitgeister evaluieren schneller, was ich mache, als es überhaupt getan ist. Das Seminar an der Uni ist noch gar nicht zu Ende, weil die Seminararbeiten noch nicht erdacht, geschweige denn geschrieben und bewertet sind, aber der Evaluationsbericht ist unterdessen längst fertig- und zugestellt. Als PDF-Datei in meinem Mailpostfach, unabänderlich, zum Abspeichern.
Im 1. Petrusbrief provoziert der Schreiber das Gegenteil, denn es geht ihm nicht um die Rechenschaft über die Zahlen von diesem oder jenem, was gelang oder missriet, was wurde und wo jemand versagte, sondern um die Rechenschaft über die Hoffnung, die jemand hegt.
Ich überlege mir, ob ich schon jemals nach irgendeiner Hoffnung gefragt wurde, wenn ich Rechenschaft ablegen sollte, wenn ich mich irgendwo zu verantworten hatte. Nicht einmal als ich mich um einen Vikariatsplatz bewerben musste, weil es damals viel zu wenige davon gab, wurde ich nach meiner Hoffnung gefragt. Wie immer ging es darum, was ich tat und wollte und konnte und hatte und schaffte. Eine kleine, private und ehrliche Evaluation ergibt: Im 1. Petrusbrief wird selten gelesen. Das ändert sich – hoffentlich.

von: Dörte Gebhard

18. November

Rosse helfen nicht; da wäre man betrogen; und
ihre grosse Stärke errettet nicht. Siehe, des HERRN Auge sieht auf alle, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. Psalm 33,17–18

Nichts haben wir dabei. Nackt kommen wir zur Welt. Nichts nehmen wir mit. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Dazwischen aber häufen wir allerhand auf: viele Rosse oder Karossen mit vielen Pferdestärken und mehr oder weniger nachhaltigem Antrieb.
Wir umgeben uns mit Dingen, die nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Wir nennen unser Eigentum, was Gott, unser Schöpfer, uns freundlicherweise vorübergehend zur Verfügung stellt. Wir kaufen und verkaufen, aber zuletzt können wir uns nicht freikaufen von unserer Erdenschwere. Zuletzt hinterlassen wir merkwürdige Dinge, oft ein Sammelsurium alles Möglichen, manchmal auch eine unmögliche Unordnung für unsere Nachfahren. Jedenfalls haben wir uns auf all das Zeug ein Leben lang verlassen, etwa, dass alle dieses bunt bedruckte Spezialpapier wirklich für wertvoll halten, mit dem man Rosse und Karossen kaufen kann. Auf das Selbsterreichte sind wir sogar ein bisschen stolz, fühlen göttliche Freuden, wenn wir etwas fertigbringen.
Aber unsere eigene Grossartigkeit rettet uns nicht. Gott sieht uns schon ins Herz, ehe wir das erste Mal beten. Gott ist gross, bevor wir das erste Mal ehrfürchtig staunen. Wir kommen zur Welt – voller Hoffnung, die Gott in uns setzt. Hüten wir diese Hoffnung, dann sterben wir nicht ohne sie.

von: Dörte Gebhard

19. September

Es begab sich aber zu der Zeit, dass Jesus auf
einen Berg ging, um zu beten; und er blieb über
Nacht im Gebet zu Gott.
Lukas 6,12

Jesus sah ungefähr aus wie ein Flüchtling aus Syrien, nicht wie
unzählige Altarbilder es uns weis(s)machen. Wenn er blond
gewesen wäre, hätten sie es überliefert. Ist das Jesusbild vor
den inneren Augen aber einmal geprägt, kann man es nur
unter grosser Anstrengung neu zeichnen.
Das betrifft nicht nur sein Auftreten, sondern noch viel
mehr sein Wirken. Ich sehe Jesus beim ersten und zweiten
Gedanken immer unterwegs, auf einem staubigen Weg, bei
einem Essen, zu dem er sich selbst eingeladen hat, immer
mitten unter den Leuten, überall und nirgends, verwickelt
in unzählige Gespräche und Geschichten mit Freundinnen
und Freunden, mit Pharisäern, mit Feinden, mit Unbekannten.
Er ist initiativ, aktiv, natürlich auch am Sabbat zum
Wohle der Menschen. Viele Nachfolgerinnen und Nachfolger
haben sich seither in erster Linie an diesem Aktivismus
orientiert und haben deshalb sehr viel gearbeitet. Gerade
lese ich in einem Buch zur jüngsten Diakoniegeschichte,
wo ein pensionierter Unternehmensberater bekennt: «Der
Grat zwischen dem protestantischen Arbeitsethos und
ungebremster
Betriebsamkeit und Selbstausbeutung ist
schmal.» (Freimut Hinsch)
Jesus betet eine ganze Nacht, er nimmt sich Zeit, obwohl es
selbstverständlich viel zu tun gäbe. Das gibt mir zu denken.

Von: Dörte Gebhard

18. September

Paulus schreibt: Ich bitte euch, vor Gott einzutreten
für alle Menschen in Bitte, Gebet, Fürbitte und
Danksagung.
1. Timotheus 2,1

Als unsere Kinder klein waren, sprachen wir mit ihnen täglich
ein Abendgebet. Darin kamen die Menschen vor, die
uns tagsüber begegnet waren, im Kindergarten oder daheim
auf Besuch. Am Schluss musste es eine Zusammenfassung
geben, denn oft waren es viel mehr, als vor dem Einschlafen
noch einzeln aufgezählt werden konnten. So beendeten wir
das Gebet mit den Worten «… und für alle, die wir kennen»,
worauf unser Sohn eines Tages diesen Schluss wiederum
ergänzte mit «… und für alle, die wir nicht kennen». Wir
behielten das bei, denn nur so wird wirklich für alle gebetet.
Im 1. Timotheusbrief wird eine schwere Aufgabe gestellt,
die man leicht überliest, wenn man gleich überlegt, was es
denn zu bitten und zu danken, zu klagen und zu loben gibt.
Der Horizont ist viel weiter, als wir manchmal meinen, wenn
wir zum Beten die Augen schliessen. Es soll für alle gebetet
werden: für die Lieben, die Liebsten, die Familie, und für die
Fremden und Fernen auch. Fürbitte halten wir gern für die
Sympathischen und Vertrauten, aber für die Unfreundlichen
und Mühsamen kommt es erst recht darauf an. Natürlich
fallen uns sofort die Alten und die Armen, die Schutzlosen
und Ohnmächtigen ein, aber beten wir genug für einen Herzens-
und Sinneswandel der Diktatoren und Folterer, der
Gewalttäter und Terroristen? Sie sind auch Menschen, daher
bitten wir auch für sie, dass Gottes Wille geschehe.

Von: Dörte Gebhard

19. Juli

Jesus spricht: Wo zwei oder drei versammelt sind
in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Matthäus 18,20

Nun währt es schon einige Jahrzehnte, dass man die Kirchen
wie Firmen, wie Unternehmen anschaut, die einfach etwas
mehr betriebswirtschaftliches Knowhow bräuchten, dann
würde alles besser. Als ob man Manager noch nie scheitern
gesehen hätte. Als ob die Ökonomisierung aller Lebensbereiche
schon einmal irgendwo hilfreich gewesen wäre, im Spital
oder im Pflegeheim, an der Uni oder im Theater. Aber alles
und alle werden seither immer wieder mit grosser Inbrunst
gezählt: das Geld und die Gönner, die Anlässe und der Aufwand,
die Leute. Dann wird gefragt, ob es sich lohnt. Noch
lohnt. Die Zahlen zählen. Oft sind sie wichtiger als ein kluges
Argument. Die gewaltigen Balkendiagramme, die man aus
den Zahlen zeichnet, zäunen dann die letzten Hoffnungen
ein. Das kurze Verslein im Matthäusevangelium ist dennoch
nicht in Vergessenheit geraten und verkündet nach wie vor
die frohe Botschaft, dass es bei Gott nicht darauf ankommt,
wie viel es ist und wie viele es sind. Zwei oder drei vermögen
viel, wenn sie sich einig werden. Jesus macht den Jüngern keine
falschen Hoffnungen. Er trimmt sie nicht auf Leistung und
Erfolg, sondern legt ihnen seine göttliche Menschenfreundlichkeit
ans Herz. Es gibt keinen Fünfjahresplan und keine
Boni für erzocktes Glück an der Börse. Er verheisst den Seinen
damals und bis heute grosse Begeisterung im kleinen Kreis.

Von: Dörte Gebhard