Schlagwort: Dörte Gebhard

19. November

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. 1. Petrus 3,15

Rechenschaft ablegen müssen ist anstrengend, gelegentlich peinlich. Andere Menschen Rechenschaft ablegen lassen ist viel angenehmer, gelegentlich verleitet es zur Arroganz.
Die gegenwärtigen Zeitgeister evaluieren schneller, was ich mache, als es überhaupt getan ist. Das Seminar an der Uni ist noch gar nicht zu Ende, weil die Seminararbeiten noch nicht erdacht, geschweige denn geschrieben und bewertet sind, aber der Evaluationsbericht ist unterdessen längst fertig- und zugestellt. Als PDF-Datei in meinem Mailpostfach, unabänderlich, zum Abspeichern.
Im 1. Petrusbrief provoziert der Schreiber das Gegenteil, denn es geht ihm nicht um die Rechenschaft über die Zahlen von diesem oder jenem, was gelang oder missriet, was wurde und wo jemand versagte, sondern um die Rechenschaft über die Hoffnung, die jemand hegt.
Ich überlege mir, ob ich schon jemals nach irgendeiner Hoffnung gefragt wurde, wenn ich Rechenschaft ablegen sollte, wenn ich mich irgendwo zu verantworten hatte. Nicht einmal als ich mich um einen Vikariatsplatz bewerben musste, weil es damals viel zu wenige davon gab, wurde ich nach meiner Hoffnung gefragt. Wie immer ging es darum, was ich tat und wollte und konnte und hatte und schaffte. Eine kleine, private und ehrliche Evaluation ergibt: Im 1. Petrusbrief wird selten gelesen. Das ändert sich – hoffentlich.

von: Dörte Gebhard

18. November

Rosse helfen nicht; da wäre man betrogen; und
ihre grosse Stärke errettet nicht. Siehe, des HERRN Auge sieht auf alle, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. Psalm 33,17–18

Nichts haben wir dabei. Nackt kommen wir zur Welt. Nichts nehmen wir mit. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Dazwischen aber häufen wir allerhand auf: viele Rosse oder Karossen mit vielen Pferdestärken und mehr oder weniger nachhaltigem Antrieb.
Wir umgeben uns mit Dingen, die nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Wir nennen unser Eigentum, was Gott, unser Schöpfer, uns freundlicherweise vorübergehend zur Verfügung stellt. Wir kaufen und verkaufen, aber zuletzt können wir uns nicht freikaufen von unserer Erdenschwere. Zuletzt hinterlassen wir merkwürdige Dinge, oft ein Sammelsurium alles Möglichen, manchmal auch eine unmögliche Unordnung für unsere Nachfahren. Jedenfalls haben wir uns auf all das Zeug ein Leben lang verlassen, etwa, dass alle dieses bunt bedruckte Spezialpapier wirklich für wertvoll halten, mit dem man Rosse und Karossen kaufen kann. Auf das Selbsterreichte sind wir sogar ein bisschen stolz, fühlen göttliche Freuden, wenn wir etwas fertigbringen.
Aber unsere eigene Grossartigkeit rettet uns nicht. Gott sieht uns schon ins Herz, ehe wir das erste Mal beten. Gott ist gross, bevor wir das erste Mal ehrfürchtig staunen. Wir kommen zur Welt – voller Hoffnung, die Gott in uns setzt. Hüten wir diese Hoffnung, dann sterben wir nicht ohne sie.

von: Dörte Gebhard

19. September

Es begab sich aber zu der Zeit, dass Jesus auf
einen Berg ging, um zu beten; und er blieb über
Nacht im Gebet zu Gott.
Lukas 6,12

Jesus sah ungefähr aus wie ein Flüchtling aus Syrien, nicht wie
unzählige Altarbilder es uns weis(s)machen. Wenn er blond
gewesen wäre, hätten sie es überliefert. Ist das Jesusbild vor
den inneren Augen aber einmal geprägt, kann man es nur
unter grosser Anstrengung neu zeichnen.
Das betrifft nicht nur sein Auftreten, sondern noch viel
mehr sein Wirken. Ich sehe Jesus beim ersten und zweiten
Gedanken immer unterwegs, auf einem staubigen Weg, bei
einem Essen, zu dem er sich selbst eingeladen hat, immer
mitten unter den Leuten, überall und nirgends, verwickelt
in unzählige Gespräche und Geschichten mit Freundinnen
und Freunden, mit Pharisäern, mit Feinden, mit Unbekannten.
Er ist initiativ, aktiv, natürlich auch am Sabbat zum
Wohle der Menschen. Viele Nachfolgerinnen und Nachfolger
haben sich seither in erster Linie an diesem Aktivismus
orientiert und haben deshalb sehr viel gearbeitet. Gerade
lese ich in einem Buch zur jüngsten Diakoniegeschichte,
wo ein pensionierter Unternehmensberater bekennt: «Der
Grat zwischen dem protestantischen Arbeitsethos und
ungebremster
Betriebsamkeit und Selbstausbeutung ist
schmal.» (Freimut Hinsch)
Jesus betet eine ganze Nacht, er nimmt sich Zeit, obwohl es
selbstverständlich viel zu tun gäbe. Das gibt mir zu denken.

Von: Dörte Gebhard

18. September

Paulus schreibt: Ich bitte euch, vor Gott einzutreten
für alle Menschen in Bitte, Gebet, Fürbitte und
Danksagung.
1. Timotheus 2,1

Als unsere Kinder klein waren, sprachen wir mit ihnen täglich
ein Abendgebet. Darin kamen die Menschen vor, die
uns tagsüber begegnet waren, im Kindergarten oder daheim
auf Besuch. Am Schluss musste es eine Zusammenfassung
geben, denn oft waren es viel mehr, als vor dem Einschlafen
noch einzeln aufgezählt werden konnten. So beendeten wir
das Gebet mit den Worten «… und für alle, die wir kennen»,
worauf unser Sohn eines Tages diesen Schluss wiederum
ergänzte mit «… und für alle, die wir nicht kennen». Wir
behielten das bei, denn nur so wird wirklich für alle gebetet.
Im 1. Timotheusbrief wird eine schwere Aufgabe gestellt,
die man leicht überliest, wenn man gleich überlegt, was es
denn zu bitten und zu danken, zu klagen und zu loben gibt.
Der Horizont ist viel weiter, als wir manchmal meinen, wenn
wir zum Beten die Augen schliessen. Es soll für alle gebetet
werden: für die Lieben, die Liebsten, die Familie, und für die
Fremden und Fernen auch. Fürbitte halten wir gern für die
Sympathischen und Vertrauten, aber für die Unfreundlichen
und Mühsamen kommt es erst recht darauf an. Natürlich
fallen uns sofort die Alten und die Armen, die Schutzlosen
und Ohnmächtigen ein, aber beten wir genug für einen Herzens-
und Sinneswandel der Diktatoren und Folterer, der
Gewalttäter und Terroristen? Sie sind auch Menschen, daher
bitten wir auch für sie, dass Gottes Wille geschehe.

Von: Dörte Gebhard

19. Juli

Jesus spricht: Wo zwei oder drei versammelt sind
in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Matthäus 18,20

Nun währt es schon einige Jahrzehnte, dass man die Kirchen
wie Firmen, wie Unternehmen anschaut, die einfach etwas
mehr betriebswirtschaftliches Knowhow bräuchten, dann
würde alles besser. Als ob man Manager noch nie scheitern
gesehen hätte. Als ob die Ökonomisierung aller Lebensbereiche
schon einmal irgendwo hilfreich gewesen wäre, im Spital
oder im Pflegeheim, an der Uni oder im Theater. Aber alles
und alle werden seither immer wieder mit grosser Inbrunst
gezählt: das Geld und die Gönner, die Anlässe und der Aufwand,
die Leute. Dann wird gefragt, ob es sich lohnt. Noch
lohnt. Die Zahlen zählen. Oft sind sie wichtiger als ein kluges
Argument. Die gewaltigen Balkendiagramme, die man aus
den Zahlen zeichnet, zäunen dann die letzten Hoffnungen
ein. Das kurze Verslein im Matthäusevangelium ist dennoch
nicht in Vergessenheit geraten und verkündet nach wie vor
die frohe Botschaft, dass es bei Gott nicht darauf ankommt,
wie viel es ist und wie viele es sind. Zwei oder drei vermögen
viel, wenn sie sich einig werden. Jesus macht den Jüngern keine
falschen Hoffnungen. Er trimmt sie nicht auf Leistung und
Erfolg, sondern legt ihnen seine göttliche Menschenfreundlichkeit
ans Herz. Es gibt keinen Fünfjahresplan und keine
Boni für erzocktes Glück an der Börse. Er verheisst den Seinen
damals und bis heute grosse Begeisterung im kleinen Kreis.

Von: Dörte Gebhard

18. Juli

Gottes unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft
und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt,
wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken.

Römer 1,20

Gott ist da und nah und unsichtbar. Alles Unsichtbare
erkenne ich an seinen Spuren. Wo die Liebe hinfällt, ist meist
nicht zu übersehen. Aber noch nie habe ich die Liebe an sich
in Augenschein nehmen können. Wir merken, wenn jemand
etwas Neues anfängt auf Hoffnung hin, aber die Hoffnung
als solche habe ich noch nie in der Hand gehabt. Wir spüren,
wenn jemand Vertrauen gefasst hat, ohne dass ich es
aus der Tasche ziehen und auf Verlangen vorzeigen könnte.
Unsere Zeit ist Teil der Ewigkeit – andernfalls wäre die Ewigkeit
nicht ganz ewig –, aber beweisen kann diese Gewissheit
auch Paulus nicht.
Gottes Wirken erkennen wir Menschen nur an seinen Werken.
Aber nur, wenn wir nicht nur kurz gucken, sondern
wirklich hinschauen, aufmerksam beobachten. Wenn wir
nicht nur mit halbem Ohr etwas aufschnappen, sondern
horchen und genau hinhören. Wenn wir uns nicht nur kurz
rühren lassen, sondern mit dem Herzen bei der Sache sind,
mit Geduld für eine kleine Ewigkeit.
Wenn ich mit Kopf, Herz und Hand dem Geheimnis Gottes
auf der Spur bin und eben nicht «verstockt», wie das schon
die Propheten wenig schmeichelhaft nannten, dann habe ich
nicht plötzlich Antworten auf alle Fragen, aber ich sehe die
sichtbare Welt mit anderen Augen.

Von: Dörte Gebhard

19. Mai

Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst:
Friede sei diesem Hause!
Lukas 10,5


Draussen vor der Tür halte ich inne. Manchmal ahne ich
ungefähr, wer und was mich erwartet, oft aber weiss ich
nichts, ehe ich klingle oder klopfe. Im Spital habe ich eine
kürzere oder längere Liste mit Namen, Jahrgängen und Zimmernummern.
Mache ich als Pfarrerin Hausbesuche, hat
mich jemand telefonisch um ein Gespräch gebeten, z. B.
darüber, wie Gott es zulassen kann … Oder ich treffe im
Pfarrhausbüro auf eine junge Person in grossen finanziellen
Nöten oder ich trete ein und stehe unmittelbar an einem
Sterbebett.
Draussen vor der Tür halte ich inne und spüre wie selten
sonst, wie wenig ich weiss, wie gut ich zuhören muss, wie
genau ich hinschauen werde.
Keine Begegnung wird je der anderen gleichen. Auf der Türschwelle
ist aber immer der Moment für die Bitte um Frieden
für das ganze Haus. Unsere Begrüssungsformeln tönen viel
profaner, sind es aber nicht. Wenn wir ernst nehmen, was wir
sehr oft und gewohnt dahinsagen, so bitten wir um einen
guten Tag für das Gegenüber, ganz gleich, was geschehen
ist, egal, was erwartet wird, ob gestritten oder gefeiert, ob
geweint oder gelacht wird.
In Gottes Frieden wird zuletzt alles Schlechte aufgehoben;
ist nicht länger herrschend und gültig, wird einmal ganz
weggenommen. In Gottes Frieden wird alles Gute schon
jetzt aufgehoben, geborgen und bewahrt.

Von: Dörte Gebhard

18. Mai

Die nun zusammengekommen waren, fragten Jesus
und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten
das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen:
Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen,
die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr
werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der
auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein
in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis
an das Ende der Erde.
Apostelgeschichte 1,6–9


Kämen wir so mit Jesus zusammen, wären es immer noch
die ersten Fragen: Wann? Wann hören die Schrecken auf?
Wann hat alles Böse ein Ende? Wie lange noch? Das würde
ich auch gern sofort wissen.
Die Fragerinnen und Frager bekamen und bekommen
bis heute keine Antwort. Das ist sehr gut so, auch wenn
es mir widerstrebt. Die Anwesenden werden mit völliger
Unkenntnis gesegnet. Es ist ein Segen, dass wir leben können,
ohne das Ende kennen zu müssen. Im 21. Jahrhundert und
hierzulande haben wir sogar ein Recht auf Unwissenheit, in
medizinischen Fragen. Niemand kann gezwungen werden,
sich genetisch untersuchen zu lassen, um von unheilbaren
Krankheiten zu erfahren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
auf die Person zukommen, wenn sie nicht jung stirbt. Statt
eines späteren Termins schenkt Gott die Kraft des Heiligen
Geistes sofort, für die Gegenwart. Es ist die einzige Zeit, in
der Menschen Gutes tun und bezeugen können.

Von: Dörte Gebhard

19. März

Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch
ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. 1. Petrus 1,15

Man könnte im ersten Moment denken, sonntags fällt das
mit dem heiligen Lebenswandel ein bisschen leichter, weil
man freier ist und Zeit hat. Weit gefehlt. Viel zu viele haben
Dienst am Sonntag, nicht nur in Spitälern mit zu wenig Personal.
Aber der 1. Petrusbrief ist auch nicht nur für Sonntage
geschrieben, also muss er alltagstauglich sein.
Dazu ergründe ich, was «heilig» ist. Auf Wikipedia gibt es
folgende, interessante Definition: «Heilig ist ein religiöser
Ausdruck, der eine Person, einen Gegenstand oder einen
Begriff einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder
Absoluten zuordnet.»
Damit kann ich etwas anfangen, das geht auch wochentags.
Ich ordne eine Person der Sphäre des Göttlichen zu.
Ich fange bei mir selbst an. Kurz gesagt: Ich bete. Natürlich
auch für meinen Lebenswandel. Dann ordne ich zweitens
einen Gegenstand der Sphäre des Vollkommenen zu. Konkret:
Ich spende etwas Geld. Geld ist zwar etwas ganz und
gar Unvollkommenes, die Missbrauchsmöglichkeiten sind
unüberschaubar, aber ich kann es im Moment des Ausgebens
einem guten Zweck zuordnen. Drittens ordne ich einen
Begriff der Sphäre des Absoluten zu. Das heisst für mich
beispielsweise: Gott ist die Liebe. Meine Liebsten unter den
Menschen kann ich dann mit meinen übertriebenen Erwartungen
verschonen und mehr liebhaben.

Von: Dörte Gebhard

18. März

Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben;
da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Psalm 14,3

Es lohnt sich fast nicht, den ganzen 14. Psalm zu lesen. Nichts
als schlechte Laune und Ärger, Verbitterung und Resignation
schlägt einem entgegen. Es sei denn, der Frust ist gross und
muss raus. Alles auf einmal. Nicht sehr differenziert. Zugegeben,
im Einzelfall sicher ungerecht.
Aber die Wut ist so gross, dass nur noch Gott gross genug
ist, um mit ihr fertigzuwerden. Deshalb lohnt es sich doch,
den ganzen 14. Psalm zu lesen. Denn nur dann liest man
von der Grösse Gottes, der es sich nicht nehmen lässt, vom
Himmel auf seine Menschenkinder zu schauen, auch wenn
sie in ihrem Herzen sprechen «Es ist kein Gott».
Wenn man so sehr schäumt, pauschale Urteile fällt, dass
zuletzt an gar keinem mehr ein gutes Haar ist, hat man, ehe
man sich’s versieht, sich selbst dazugezählt. Keine Ausnahme
gemacht. Selbst schuld! Pech gehabt!
Dann lohnt es sich erst recht, den 14. Psalm bis zum Schluss
zu lesen. Da wird trotz allem wieder damit gerechnet, dass
Jakob fröhlich sein könnte und Israel sich freuen würde.
Heute werden in der ganzen Schweiz in einer ökumenischen
Aktion Rosen verkauft, die HEKS und Fastenopfer
zugutekommen. Sicher kennen Sie einen «Jakob», der nicht
daran denkt, eine Rose geschenkt zu bekommen. Sollte es
schon Abend geworden sein: Morgen ist auch noch ein Tag,
wo man via App «Give a rose» doppelt Gutes tun kann.

Von: Dörte Gebhard