Autor: Ralph Kunz

11. Januar

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist
und der da war und der da kommt.
Offenbarung 1,4

Was tun wir, wenn wir einander grüssen? Wir geben uns ein Zeichen, signalisieren freundliche (oder zumindest keine feindlichen) Absichten – oft verbunden mit einer Geste mit der Hand, mit Augenkontakt und – wenn möglich – mit einem Lächeln. In feierlichen Momenten kann der Gruss auch von einer Gabe begleitet sein. Dann kommt ein Drittes dazu, das verbindet. Etwas wechselt von der einen zur anderen Person. Ein Austausch, wenn auch ein flüchtiger, findet statt. Aber die Gabe soll lange halten.
Grussworte haben auch in biblischen Briefen oder Sendschreiben eine grosse Bedeutung. Sie überbringen die Botschaft des Absenders in konzentrierter Form. Sie machen die wahre Absicht des Schreibers bekannt. Er überbringt etwas, das Gutes bewirkt und bleibt, den Frieden Gottes, der zwischen uns aufblühen und in uns aufleuchten soll.
Im Grusswort von Johannes kommt das besonders schön zum Ausdruck. Und weil ich als Bolderntext-Autor dieselbe Absicht mit meinem Schreiben verbinde, leihe ich mir seine Worte, um Sie herzlich zu grüssen:
«Gnade sei mit Ihnen und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Möge er doch allezeit in Ihrem Herzen bleiben!»

Von: Ralph Kunz

10. Januar

Der HERR spricht: Möge doch ihr Herz so bleiben, dass sie mich allezeit fürchten und meine Gebote halten, damit es ihnen und ihren Kindern gut geht, für immer! 5. Mose 5,29

Was geht diesem Wort voraus? Gott hat die Zehn Gebote am Berg Horeb verkündigt, und das Volk hat sein Wort gehört. Interessant und ein wenig verstörend ist, was danach folgt. Es heisst nämlich, das Volk sei zu Tode erschrocken! Noch nie haben Sterbliche Gott reden gehört. Es wird ihnen klar, dass sie Zeugen von etwas Ungeheuerlichem geworden sind. Sie realisieren: Wenn die «Show» jetzt weitergeht und Gott zu den Weisungen kommt, müssten sie gewiss sterben. Moses, so ihr Vorschlag, soll als Vermittler fungieren. Sie wollen, so versprechen sie, alles getreulich befolgen, was er ihnen weiterleite. Gott hört mit und meint zu Moses: «Ich habe
die Worte gehört, die dieses Volk zu dir gesprochen hat. Alles, was sie gesagt haben, ist gut. Möge doch ihr Herz so bleiben, dass sie mich allezeit fürchten.»
Das aus Gottes Mund ist schon ein starkes Stück! Die Gottheit hofft auf die menschliche Treue – ausgerechnet sie, die alles durchschaut. Ist das nicht ein frommer Wunsch? Es hat etwas Rührendes, so Menschliches von Gott zu hören –
gerade angesichts der tiefen Ehrfurcht, ja Furcht, die den Dialog überhaupt erst in Gang gebracht hat. Was mich wirklich berührt, ist der Grund, warum Gott an die Menschen glauben will. «Damit es ihnen und ihren Kindern gut geht, für immer!» Wenn das kein Evangelium ist …

Von: Ralph Kunz

20. Dezember

Der Engel sprach zu Josef: Maria wird einen Sohn
gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn
er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
Matthäus 1,21

Genau, wieder ein Josef! Und natürlich hiess sein Vater Jakob.
Namen sind wichtig. Allerdings hat der neutestamentliche
Josef anders als der alttestamentliche Namensvetter nur
einen kurzen Auftritt in der Bibel. Im weihnächtlichen Drama
kommt ihm die Rolle des Mannes zu, der nicht eifersüchtig
wird. Er steht zu Maria und – was wir vielleicht überlesen –
er hatte die Aufgabe, dem Kind den Namen eines Retters zu
geben. Er tut, was ihm gesagt wird, und verschwindet (im
Unterschied zu seiner jungen Frau) danach fast komplett aus
der Geschichte. Maria aber machte eine steile Karriere. Sie
wurde (nach anfänglichen Zweifeln) zur Nachfolgerin ihres
Sohnes und später als Gottesgebärerin und von einigen gar
als beinah-göttliche Gestalt verehrt. Josef war ein Träumer.
Aber das, was mit seiner Familie geschehen sollte, hätte Josef
sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Wäre er auch ein Anhänger geworden? Josef starb zu früh
und bekam vom Wirken Jesu nichts mit. Vermutlich war
aber Jesus schon zu seinen Lebzeiten seltsam. Ob sich Josef
damals fragte, was mit seinem Ältesten los war? Sah er mit
Sorge, wie die jüngeren Geschwister auf den Bruder reagierten?
Schliesslich hatte er ihm den Namen gegeben.

Von: Ralph Kunz

19. Dezember

Jakob sprach zu Josef: Geh hin und sieh, ob’s gut steht
um deine Brüder und um das Vieh.
1. Mose 37,14

Der Erzvater Jakob hatte zwölf Söhne und Josef war sein Liebling.
Denn er war einer, der ihm in späten Jahren geschenkt
wurde und den er verwöhnte, was aber Josef nicht beliebt
machte bei seinen Brüdern. Es braucht keinen Familientherapeuten,
um das Eifersuchtsdrama kommen zu sehen.
Wie soll das gut gehen, wenn einer aus zwölf so bevorzugt
wird? Und es kam nicht gut, als Josef seine Brüder in Sichem
traf. Sie warfen ihn in eine Zisterne, verkauften ihn an Sklavenhändler
und erzählten dem Vater, sein Liebling sei Opfer
des Löwen geworden. Schrecklich, was diese Brüder getan
haben! Aber der Therapeut, würden wir ihn dennoch beiziehen,
sähe sofort, dass die Saat schon gelegt war in der
komplizierten Vorgeschichte. Schon Vater Jakob löste ein
Eifersuchtsdrama aus, als er sich in Rahels schöne Augen
verliebte, aber sieben Jahre lang mit der Schwester Kinder
zeugte. Man könnte noch tiefer in der Familiengeschichte
stochern und stiesse auf das Brüderpaar, mit dem das Ganze
anfing – und auf einen anderen «Vater», der einen «Sohn»
bevorzugte. So heisst es in der Urgeschichte: «Und der Herr
blickte auf Abel und auf seine Opfergabe; aber auf Kain
und auf seine Opfergabe blickte er nicht.» (Genesis 4,2)
Tragisch, was dann kam – aber nicht das Ende! Das ist der
Trost der Josefsgeschichte. Sie nimmt ein gutes Ende, obwohl
die Brüder Böses im Sinn hatten.

Von: Ralph Kunz

23. November

Nicht werde jemand unter dir gefunden,
der Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste
oder Zauberei treibt. Denn wer das tut,
der ist dem HERRN ein Gräuel.
5. Mose 18,10.12

Wenn es im Gesetz des Moses heisst, etwas ist «dem Herrn
ein Gräuel», gilt es ernst. In der Losung ist die Rede von okkulten
Praktiken. Die Warnung ist überdeutlich! «Lass die Finger
davon – es ist gefährlich.» Warum diese Dringlichkeit? Es geht
um das erste Gebot. Dort heisst es ebenso apodiktisch: «Du
sollst neben mir keine anderen Götter haben.» (Exodus 20,3)
Wer sich in den geheimen Künsten versucht, bindet sich an
andere Mächte. Er oder sie traut Gott nicht über den Weg,
glaubt nicht an die Güte des Schöpfers und verlässt sich auf
ein Wissen, das Macht verspricht. Wer Magie treibt, macht
sich die unsichtbaren Mächte dienstbar, benutzt sie durch
Beherrschung – sei es um Gutes (weisse Magie) oder Böses
(schwarze Magie) zu bewirken. Oder wird von Mächten
benutzt und beherrscht. Es gilt die Warnung des Dichters, der
uns das Bild des hilflosen Zauberlehrlings geschenkt hat: «Die
ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.» Und ich denke an
die neuen Hexenmeister, die meinen, sie könnten die künstliche
Intelligenz beherrschen. Steckt hinter dem Künstlichen
am Ende die alte Kunst? Und werden wir die Geister noch
los, die wir schon gerufen haben? Eines weiss ich: Aberglauben
macht nicht frei – gleichgültig, ob er auf geheime oder
auf technische Magie setzt. Beides ist dem Herrn ein Gräuel.

Von: Ralph Kunz

22. November

Ihr werdet die Wahrheit erkennen,
und die Wahrheit wird euch frei machen.
Johannes 8,32

Diese Losung schmückt so manches Universitätsgebäude
und steht für das Ideal der Bildung, oft über dem Eingang in
Stein gemeisselt: veritas liberabit vos – natürlich in Latein,
wie es sich gehört. Die ursprünglichen Worte Jesu richteten
sich aber nicht an Gelehrte und Studierende, sondern an
eine Gruppe von Skeptikern, die seinem Zeugnis nicht trauten.
Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist unlösbar mit ihm
selbst verbunden. Bei anderer Gelegenheit sagt er: «Ich bin
der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt
zum Vater ausser durch mich.» (Johannes 14,6)
Und dieser Spruch eignet sich definitiv nicht als Leitwort
für eine weltanschaulich neutrale Bildungsinstitution! Zwei
verschiedene Wahrheiten und Freiheiten prallen aufeinander.
Da die Wahrheit, die Freiheit verspricht, weil sie an eine
Person gebunden ist, und dort die Wahrheit, die Freiheit
verspricht, weil sie Bindungen hinter sich lässt. In der säkularen
Gesellschaft, in der wir leben, gilt das eine als Religion
und das andere als Wissenschaft. Man kann Religion und
Wissenschaft wieder verbinden. Auf der Basis der Wissenschaft
heisst die Kombination «Religionswissenschaft», auf
der Basis des Glaubens «Theologie».
Ich bin Theologe und zwischen den beiden Wahrheiten
zuhause. Es ist gut, hat sowohl der Glaube als auch die Skepsis
einen Ort im Haus der Wissenschaft.

Von: Ralph Kunz

20. Oktober

Der HERR sprach zu Jeremia: Siehe, ich lege
meine Worte in deinen Mund.
Jeremia 1,9

Es gibt die Redewendung, dass man sich Worte zurechtlegt. Wer spricht oder schreibt, macht genau das: Sei es, um sich gegen Angriffe zu wehren oder andere von seiner Ansicht zu überzeugen oder Wahrheiten zu verkünden … Wer die Kunst der rechten Wortwahl beherrscht, wer rhetorisch geübt ist, hat es leichter im Leben.
Jeremia war definitiv kein Rhetoriker. Er war Prophet. Was in seinen Sätzen und in den Bildern aufblitzt, will nicht Poesie und nicht Plädoyer sein. Es ist Spruch eines anderen. Gott legte ihm seine Worte in den Mund. Was für ein tollkühner Anspruch! Es könnte ja jeder kommen und behaupten, seine Worte seien göttlichen Ursprungs. Es könnte ein rhetorischer Trick sein, um Anhänger zu gewinnen. Man könnte sich das so zurechtlegen, um Fangemeinden bei der Stange zu halten. Bei Jeremia war es nicht so. Er hatte keine Menge hinter sich geschart, die ihm applaudierte und ihn bewunderte. Im Gegenteil! Dass er sich erdreistete, das Wort Gottes in den Mund zu nehmen, und behauptete, es sei ihm in den Mund gelegt worden, nahm man ihm übel. Ist es ein Beweis dafür, dass er die Wahrheit sagte? So einfach ist es nicht. Im Nachhinein zu sagen, ich hätte ihm und nicht den Sinnfluencern geglaubt, die wesentlich weniger Anstössiges sagten, ist keine Kunst. Schauen wir denen, die den Mund voll nehmen, gut auf die Finger!

Von: Ralph Kunz

19. Oktober

Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde, bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen. Psalm 71,18

Heute ist Samstag, der letzte Tag der Woche. Und wir hören das Gebet eines Menschen, der am Mittwoch oder Donnerstag seines Lebens auf sein Alter vorausschaut. Er wünscht sich Enkelkinder und bittet darum, auch im Alter noch Grund zu haben, seinen Nachfahren die Macht und Kraft Gottes zu bezeugen. Denn so hat er Gott bis anhin erfahren. Ob es ihm selbst vergönnt war, wissen wir nicht. Aber für uns, die auf das eigene Alter vorausschauen, hat sich sein Gebet erfüllt. Gehören wir nicht zur Schar seiner Kindeskinder, die heute sein Zeugnis hören?
Ich selbst erlebe gerade den Donnerstag in meiner Biografie – so Gott will und ich lebe. Ich hoffe jedenfalls, es seien mir noch ein paar Tage vergönnt. Wünschen sich das nicht alle? Was mich berührt an diesem alten Gebet, ist der tiefere Lebenssinn, den es enthüllt – eine Tiefe, die mehr ist als Länge. Wie schön wäre es, das Zeitliche so zu segnen, wie es sich der Beter wünscht. Mit einem Dank auf den Lippen und einer Botschaft, die denen, die nachkommen, Zuversicht und Hoffnung schenkt. Ich denke an Hanna und an Simeon, an Sara und Abraham, an Maria und Josef. Ich denke an alle, die gegangen sind und die noch kommen sollen. Irgendwann hört alles auf – und bis dahin wünsche ich uns allen einen schönen Sonntag!

Von: Ralph Kunz

23. September

Der HERR lässt sein Heil verkündigen; vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar. Psalm 98,2

Ach ja, der Herr macht seine Gerechtigkeit bekannt und kein Mensch hört hin. Das alte Lied! Wie fantastisch das doch ist. Und es wird noch besser, wenn es zum Schluss des Psalms heisst, Gott komme als Richter. «Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.» Wir zucken beim Wort Gericht zusammen. Für den Beter ist es eine grossartige Aussicht. Irgendwann wird die Unordnung ein Ende haben. Jede Ungerechtigkeit wird geahndet,
jedes Unrecht gesühnt, jedes Unheil geheilt und alle Zerstrittenen werden versöhnt. Wenn es doch nur wahr würde!
Ob wir mehr bekommen als nur den Konjunktiv?
Ich wäre für einen Optativ. Der Begriff leitet sich vom Verb optare ab, was «wünschen» bedeutet. Ein Optativ drückt Wunschsätze aus. Sich darauf verlassen, dass es wahr wird, verlässt sich auf Gottes Möglichkeit und wünscht sich sehnlichst die Erfüllung. So zu beten, ist für den Psalmisten weder irreal noch irrational. Denn Gott ist (in seiner Vorstellungswelt) der König der Welt. An ihn zu glauben – allein mit der Gewissheit des Herzens, manchmal schwankend und manchmal hinkend –, schafft Vertrauen, macht hoffend, bewirkt Liebe. Haben wir nicht etwas mehr Power? Ein gutes Argument?
Nein, mehr haben wir nicht, aber es ist genug, um ein neues Lied zu singen!

Von: Ralph Kunz

22. September

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt. 1. Petrus 3,9

Es ist so elementar und so einleuchtend und es wäre bitternötig, dass einige es beherzigen und tun, was sie hören. Nicht zurückschlagen, wenn sie geschlagen werden, nicht zurückfluchen, wenn sie verflucht werden. Und es ist so verflucht schwer! Ich meine, Hand aufs Herz, wenn so ein Super-Ego meint, es habe das Recht, andere kleinzumachen, ist es dann nicht unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass dem Grossen die Luft ausgeht und der Kleine wieder Luft bekommt? Weder Jesus noch seine Nachfolger waren Fantasten. Im Unterschied zu uns lebten sie unter Kolonialherren – als Menschen zweiter Klasse. Der Verzicht auf Vergeltung hat vor diesem Hintergrund noch einmal einen anderen Klang. Es geht nicht um die heroische Tat oder darum, klein beizugeben, sondern darum, Frieden zu stiften und den Teufelskreis der Gewalt zu unterbrechen. Der Appell richtet sich an alle Menschen, aber ganz besonders an Christenmenschen. «Weil ihr dazu berufen seid!» Für den Autor, der sich Petrus nennt, ist es wichtig, seine Leser daran zu erinnern. Sie stehen in den Fussstapfen Israels, sie sind Hüterinnen und Hüter eines heiligen Vorgängers, der den längeren Atem hat als die Aufgeblasenen der Welt …
Auf dass die Friedensstifter den Segen erben!

Von: Ralph Kunz