Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 1. Korinther 13,10
Paulus war ein ganz ungewöhnlich gescheiter Mann, der mit seinem Verstand und seinem Willen Gott und die Welt in ihrem Wesen erkennen wollte. Aber auch er kam, wie wir alle, an die Grenzen des Verstehens. Sehr eindrucksvoll beschreibt er seine innere Rettung aus diesen Grenzen im 13. Kapitel des Briefs an die Korinther: Im Vers 9, der unserem heutigen Text vorangeht, sagt er: «Wir erkennen nur Bruchstücke, und unsere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, ist begrenzt.» (Bibel in gerechter Sprache) Aber dafür haben wir von Gott die grossen Gaben Glauben, Liebe und Hoffnung erhalten. Sie tragen uns und befähigen uns zu einem erfüllten Leben.
Paulus gibt jedoch nicht auf, nach Erkenntnis und Verstehen zu suchen, aber er weiss – wie wir alle wissen –, dass wir auch mit aller ausgeklügelten Wissenschaft zu dieser vollen Erkenntnis nicht gelangen können. Und so reift bei ihm die Hoffnung auf «das Vollkommene», oder wie es in Vers 12 heisst: das Sehen von Angesicht zu Angesicht Gottes, der Mitmenschen und der Natur. Mich beeindruckt diese Hoffnung auf das endgültige Sehen. Ich glaube, weise Menschen, auch Mystiker, erleben es und geben es weiter: die tiefere Erkenntnis ist ein Sehen, das über ein rationales Analysieren hinausgeht und das allen Menschen zuteilwerden kann, nicht nur den Klugen.
Von: Elisabeth Raiser-von Weizsäcker