Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht;
was können mir Menschen tun? Psalm 56,12
Die Zürcher Bibel übersetzt dem Urtext gemässer und, wie ich finde, kraftvoller: «Auf Gott vertraue ich, und ich fürchte mich nicht. Was kann ein Mensch mir tun?» Ich versuche, den Satz nachzusprechen, ihm nachzuspüren … Es fühlt sich gut an: stark, frei, aufrecht, unerschrocken, selbstgewiss. Wäre ich das – im Fall?
Ich denke an Menschen, auf die dieser Satz nach meinem Empfinden zutrifft: die Witwe aus dem Lukasevangelium, die mutig und beharrlich vor Gericht ihr Recht einfordert (Lukas 18), oder Petrus und die anderen, die unerschrocken dem Hohen Rat entgegnen: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apostelgeschichte 5); oder Martin Luther und sein «Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir!». Dietrich Bonhoeffer kommt mir in den Sinn und sein gleichermassen von Selbstzweifeln und Vertrauen geprägtes Gedicht «Wer bin ich». Ich denke an die vor wenigen Wochen verstorbene Margot Friedländer, Überlebende der Shoa, die im hohen Alter nach Berlin zurückgekehrt war und sich unermüdlich für Versöhnung und gegen Hass, Feindschaft und Unmenschlichkeit eingesetzt hat. «Seid Menschen!» lautet ihre Botschaft – so einfach, und so herausfordernd.
Gottvertrauen macht mutig und frei. Es befreit von der Sorge um mich selbst; es lehrt mich den aufrechten Gang und den unerschrockenen Blick – beides täglich zu üben.
Von: Annegret Brauch