Jesus sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Matthäus 11,25
An die prophetische Wutrede von Jesus gegen die Städte,
die seine wundertätige Verkündigung abgelehnt haben, schliesst sich abrupt der Lobgesang, der die Hierarchien auf den Kopf stellt. Nicht der religiösen Elite offenbart sich die göttliche Wahrheit, es sind die Unmündigen und Einfältigen, welche die Botschaft des Evangeliums erkennen.
Wahrscheinlich lässt sich das Gebet tatsächlich als Kritik an der Deutungshoheit der religiösen Machthaber lesen. Allerdings glättet diese Interpretation die zentrale Provokation. Denn wörtlich verstanden, stehen nicht nur die Hierarchien kopf. Der Text zieht zugleich hinein in eine verkehrte Welt des Evangeliums, wo sich die Leserinnen und Leser zu den Unmündigen zählen müssen, um zu verstehen. Will ich das? Mündigkeit im Glauben ist doch das Mantra der reformierten Tradition.
Vielleicht gilt es, die Irritation auszuhalten. Sie zwingt mich, mich immer wieder neu ansprechen zu lassen von biblischen Texten und mich auf andere Interpretationen einzulassen. Sie erinnert mich daran, dass ich mich mündig und kritisch mit theologischen Konzepten und Texten auseinandersetzen muss, im Glauben aber stets ein Anfänger bleibe.
Von: Felix Reich