Tag: 19. Juli 2022

19. Juli

Der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stiess Petrus in die Seite  und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.           Apostelgeschichte 12,7

Seit Frühling dieses Jahres gibt es in Zürich ein neues Gefängnis. Derzeit hat es 124 Plätze für vorläufig Festgenommene. Während der Polizeihaft treffen die Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz während höchstens 48 Stunden die notwendigen Abklärungen, um den Tatverdacht und die weiteren Haftgründe zu erhärten oder zu entkräften. Ergibt sich dann, dass die Haftgründe nicht oder nicht mehr bestehen, so wird die betreffende Person freigelassen. Auch in diesem System passieren Fehler, aber es herrschen Recht und Gesetz. Gewürdigt wird diese menschliche Errungenschaft sehr selten.

Sie ist aber so gross, dass Petrus nicht einmal davon träumte. Er war auch vorläufig festgenommen worden. Alsbald sollte er dem Volk vorgeführt werden. Ihn erwartete kein korrektes und gerechtes Verfahren, sondern nach den unmenschlichen und willkürlich-populistischen Massstäben des Herodes die Todesstrafe. Aber Petrus ist in Gottes Hand, schon bevor der lichtvolle Engel kommt. Denn als unschuldig Eingekerkerter und Angeketteter kann er tief und fest schlafen. Jedenfalls muss er zu seiner Befreiung erst gerüttelt und geweckt werden. Dieses Vertrauen schenke Gott uns allen, ob wir gefangen sind oder frei.

Von Dörte Gebhard

30. August

Als Mose seine Hand über das Meer reckte, liess es der HERR zurückweichen durch einen starken Ostwind.                                                       2. Mose 14,21

Ich stehe am Strand. Die Wellen geben den glitzernden Sand frei, die schwarz schillernden, mit Muscheln übersäten Felsen, um sie sogleich wieder zu verschlucken. Barfuss im Sand stehen, sich umspülen lassen. Ich spüre, wie ich einsinke. Die Wellen rütteln an mir. Ich halte stand. Den Wind im Gesicht, das Salz auf der Zunge, nichts als die Brandung im Ohr. Manchmal denke ich, Gott wohnt im Meer.

Mir kommt ein Lied der «Einstürzenden Neubauten» in den Sinn: «Und umgekehrt, wenn du bist, wild, und laut und tosend deine Brandung, in deine Wellenberge lausch ich, und aus den höchsten Wellen, aus den Brechern, brechen dann die tausend Stimmen, meine, die von gestern, die ich nicht kannte, die sonst flüstern, und alle anderen auch, und mittendrin der Nazarener; immer wieder die famosen, fünf letzten Worte: Warum hast du mich verlassen? Ich halt dagegen, brüll jede Welle einzeln an: Bleibst du jetzt hier?»

Es gibt Momente, in denen das Meer zurückweicht wie bei Mose. Die Wellen holen Atem und legen den Urgrund des Vertrauens frei jenseits der Worte. In der flüchtigen, unverhofften Euphorie beim Musikhören. Oder in der Getrostheit, gefunden worden zu sein. Sie lassen sich nicht festhalten, aber sie umspülen mich wie Wellen des Glücks.

Von Felix Reich