Schlagwort: Heidi Berner

25. November

Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein;
sonst betrügt ihr euch selbst. Jakobus 1,22

Wenn wir – zum Beispiel –
die Bergpredigt hören,
ist es die reine Überforderung!
Niemand kann das alles umsetzen.
Es ist schlicht eine Zumutung.
Der Rabbi aus Nazareth allerdings
mutet uns genau dies zu.

Nicht weil er uns auf Leistung
trimmen will, sondern weil er
uns ermutigt, mitzuwirken
an einer heileren Welt.
Wir sind eben nicht nur
Empfängerinnen und Empfänger
göttlicher Gnade,
sondern – ganz bescheiden
und höchst unvollkommen –
Beteiligte, Mitwerkelnde
an dem, was Glaubende
das Reich Gottes nennen.
Dieses Reich ist nämlich
eine Kooperative: Es braucht
uns alle, um zu versuchen,
das zu tun, was gut ist.
Für uns und für die ganze Welt.

von: Heidi Berner

24. November

Gott wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Offenbarung 21,3–4

Manchmal sind sie auf Plakaten, die Tränen.
Am wirkungsvollsten auf einem Kindergesicht.
Denn wir sind darauf programmiert,
Tränen abzuwischen, Not zu lindern,
insbesondere bei Kindern.
Auf den Plakaten aber ist es oft nur
eine billige Masche, um an Geld zu kommen.

Am 8. September bebte die Erde in Marokko,
Häuser stürzten ein, viele Menschen starben.
Ein Zeitungsbild zeigt einige Frauen und Kinder
auf Wolldecken, inmitten von Trümmern.
Die Frauen sitzen da, mit gesenktem Kopf, apathisch.
Ein kleines Mädchen in der Mitte aber
blickt fröhlich zu zwei anderen Kindern hin.
Ich staune. Es hätte allen Grund zum Weinen.
Doch es lächelt.
Das Bild scheint nicht gestellt, ist keine Masche.
Es ist eine irritierende Momentaufnahme
voller Hoffnung in unvorstellbar grosser Not.
Diese Kinder wirken so lebendig und so stark.
Mag sein, dass sie später ihren Müttern, Vätern
die Tränen von den Augen wischen werden.

von: Heidi Berner

25. September

Des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt,
das hält er gewiss.
Psalm 33,4

Das Wort heisst «ja».
Ja zu dir, ja zu mir, ja zu uns allen.
Um es wahrzunehmen, braucht es keine App
und keine KI. Nur wache Sinne.
Es funkelt mich an, wenn ich den Fenchel
mit der Brause giesse – unzählige winzige Tröpfchen
in den filigranen Blättern funkeln wie Diamanten
in der Morgensonne. Es begegnet mir
als Liebgottkäferli auf einer Schafgarbe.
Ich höre es als «si, si, si» von den Mauerseglern,
die hoch oben in Gruppen durch die Lüfte kurven.
Sogar im lauten Quaken der Frösche ist es.


Das Ja schützt uns davor, von Widrigkeiten
überwältigt zu werden.
Es hilft, zu hoffen und weiter an das gute Leben
zu glauben, Aufgaben anzupacken.
Es hilft, uns selber und andere anzunehmen,
mit allen Unzulänglichkeiten und Macken.
Es hilft uns, dankbar das Gute zu erkennen
und nicht zu verzweifeln angesichts
der täglichen Schreckensnachrichten
aus allen Ecken unserer fragilen Welt.


Manchmal ist es sehr leise, das Ja, aber es ist da.

Von: Heidi Berner

24. September

Ein Samariter, der auf der Reise war, kam dahin; und
als er den Verletzten sah, jammerte es ihn; und er ging
hin zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn
in eine Herberge und pflegte ihn.
Lukas 10,33–34

Aus meinen Reisenotizen vom 8. April 2023:
Auf einer Treppe zur Unterführung
am Rondo Waszyngtona in Warschau
liegt ein Mann. Er stöhnt, blutet im Gesicht.
Ich hoffe, es hilft ihm jemand, der Polnisch kann.


Ich war dem Verletzten keine Nächste.
Denn er ist es, der das entscheidet,
wie in der Geschichte vom barmherzigen Samariter.
Das habe ich vor Jahren nach einer Predigt kapiert.
Es geht nicht um Nächstenliebe von oben herab, herablassend.
Sondern von unten her –
bestenfalls auf Augenhöhe.


Wie viele gingen wohl an jenem Mann vorbei – wie ich?
Ich hoffe fest, dass er Hilfe erhielt,
an diesem Karsamstag, an dem die Menschen
doch milde gestimmt und empfänglich waren,
sich auf Ostern freuten. Viele sahen wir
mit Körbchen voller Lebensmittel,
die sie bei den Kirchen segnen liessen.
Segen zum Weitergeben.

Von: Heidi Berner

25. Juli

Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen
und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn
in eurem Herzen.
Epheser 5,19

Dona nobis pacem.
Unzählige Male ist das
gesungen worden –
gerade in den letzten
anderthalb Jahren!


Hat es etwas genützt?
Offensichtlich nicht!
Es reicht ein Blick
in die täglichen News:
da ist keine friedliche Welt.
Konflikte gibt es auch
im Kleinen, in der Familie,
in der Nachbarschaft.


Ändern wir die Blickrichtung:
Wir sollen ja einander
mit Singen ermuntern,
weiterhin an Frieden
zu glauben. Trotz allem.
Wir sollen singen, damit
wir die Hoffnung nicht
aus dem Herzen verlieren.
Dona nobis pacem.

Von: Heidi Berner

24. Juli

Er führet mich auf rechter Strasse um seines
Namens willen.
Psalm 23,3

Vor einigen Jahren hatte ich in meinen Ämtern
allerlei Widrigkeiten auszuhalten. In jener Zeit
übertrug ich Psalmen in mein Weltbild, auch Psalm 23.


Ich fühle mich geborgen, mir fehlt nichts.
Immer wieder finde ich Orte,
an denen ich mich erholen und auftanken kann.
So erneuert sich mein Leben ständig.
Überraschende und gute Wege entdecke ich,
weil ich an die Liebe glaube.
Wenn ich in Schwierigkeiten stecke,
habe ich keine Angst,
denn mein Grundvertrauen lässt mich aufrecht gehen,
gibt mir Mut und Zuversicht.
Ich erfahre die Fülle des Lebens
und muss nicht neidisch und habgierig sein.
Dafür bin ich dankbar mit allen, die das genauso erleben,
denn innerlich sind wir reich.
Davon können wir zehren, so lange wir leben.
Und nach uns kommen andere in den Genuss –
so lange sie leben.

Hinterher stelle ich dankbar fest,
dass dies genau der rechte Weg war,
mit dem Schwierigen fertigzuwerden.

Von: Heidi Berner

25. Mai

Gross ist, wie jedermann bekennen muss,
das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch,
gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln,
gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt,
aufgenommen in die Herrlichkeit.
1. Timotheus 3,16

Glauben ist und bleibt ein Geheimnis.
Wir alle erleben es wohl hin und wieder,
dass wir staunen und uns etwas tief berührt.
Wie eine Offenbarung ist das dann –
vielleicht nur für einen Augenblick,
mittendrin in unserem Alltag.
Rechtfertigungen, Erscheinungen, Predigten –
alles Ausdruck von religiösem Leben.
Es braucht die Bereitschaft, uns einzulassen
auf die Bilderwelt des Glaubens.
Fast wie bei Mary Poppins, wo die Kinder
ins Bild des Strassenmalers hüpfen,
sich wiederfinden in einer anderen Welt.
Wenn wir es wagen, hinein zu hüpfen
in die Bilderwelt des Glaubens,
öffnet sich auch uns eine neue Welt,
in der wir – vielleicht – etwas erahnen
von Engeln und von Herrlichkeit.
Wir sind im Bild – wortwörtlich –
und reden auch entsprechend, denn
über Glauben lässt sich nur in Bildern reden.

Von: Heidi Berner

24. Mai

Wenn mein Geist in Ängsten ist,
so kennst du doch meinen Pfad.
Psalm 142,4


Seit dem Corona-Sommer 2020 bin ich unterwegs, tageweise,
auf dem Jakobsweg durch die Schweiz.
Es tut mir gut, das Gehen, hilft mir, nachzudenken
über all das, was uns heute ängstigt – und freut.
Einige Impressionen:
Glockengeläut der Klosterkirche
begleitet mich bei der Wanderung
aus Einsiedeln heraus in Richtung Mythen.
Ich interpretiere es als nonverbalen Pilgersegen.
Kurz vor Lungern quert eine Katze meinen Weg.
Wie es sich gehört, begrüsse ich sie ganz nett.
Sie ist gerührt und streicht mir um die Beine.
Als ich sie aus Distanz fotografieren will,
kommt sie wieder auf mich zu, will Streicheleinheiten.
Einmal springt sie mir sogar auf die Achsel.
Noch eine Weile begleitet sie mich auf dem Weg.
Die Via Jacobi führt über den sanften Strättliggrat.
Rechter Hand der Thunersee, links die Stockhornkette.
Vor und neben mir gaukelnde Schmetterlinge.
In einer Kapelle der Kathedrale von Freiburg
sind drei Reliquien in Gefässen in Handform.
Skurril. Etwas Handfestes für den Glauben.
Oder den Zweifel.

Von: Heidi Berner

25. März

Selig sind, die Frieden stiften;
denn sie werden Gottes Kinder heissen. Matthäus 5,9

Meine Mutter war Deutsche,
erlebte den Krieg hautnah,
als Kind und Jugendliche.
Die aktuellen Meldungen lassen
vieles hochkommen von damals,
zum Beispiel vom Kriegsende.
Ihre Mutter sei damals beherzt
den Soldaten der Wehrmacht entgegengetreten,
habe ihnen alle Schande
gesagt, als sie sich auf der Strasse
verbarrikadiert hatten –
die Umgebung beschossen.
Auf der Strasse, durch die Tage zuvor
Flüchtlingsströme zogen.
Es sei klar gewesen, dass
Deutschland am Boden ist.
Sie und ihre kleine Schwester
hätten die Mutter am Schürzenzipfel zurückgezerrt,
hätten Angst gehabt.
Und die Mutter war im Schussfeld
eines Soldaten. Ja, dieses Bild
mit der Schürze, das bleibe immer
in ihrem Kopf.
Meine Oma – ein Kind Gottes.

Von: Heidi Berner

24. März

Jesus spricht: Selig sind, die das Wort Gottes hören
und bewahren. Lukas 11,28

Selig, glücklich seien wir,
wenn wir es hören,
das Wort, und es bewahren.
Wie erkennen wir es,
das Wort Gottes?
Tönt es anders
als unsere Worte?
Wahrhaftiger, edler?
Und wie sollen wir
dieses Wort bewahren?
Ich denke, es ist das Besondere
an diesem Wort,
dass es nicht lebenslang
in unserem Herzen
eingeschlossen und
verwahrt werden will.
Denn es ist keimfähig,
will in uns Wurzeln schlagen,
wachsen und Früchte tragen.
Ganz verschiedene Früchte!
Wie erkennen wir sie?
Sie sind bekömmlich
für uns und andere –
sie sind Lebensmittel.

Von: Heidi Berner