Schlagwort: Benedict Schubert

25. November

Der Herr wird’s vollenden um meinetwillen. Psalm 138,8

Um meinetwillen? Die ermutigende Verheissung, dass Gott
«meine Sache» (wie andere übersetzen) zu einem guten
Ende bringen wird, übersetzt die Lutherbibel 2017 so, dass
wir begreifen: Es geht nicht bloss um meine Sache, was
immer das auch sein mag, es geht um mich. Weil ich bin,
wer ich bin, bringt Gott zu einem guten Ende, woran ich bin.
In ihrer Dankbarkeit spannt die Stimme, die hier singt, das
grosse Panorama auf und schaut auf Gott als den, der die
ganze Welt in Händen hält, und lenkt, was in ihr geschieht.
Gegen alles, was wir in den täglichen Nachrichten zur Kenntnis
nehmen müssen, singt sie, dass «alle Könige» der Erde
dankbar hören, dass Gott die Niedrigen sieht und Stolze von
Ferne erkennt.
Und staunend kann ich mit dem Psalm mitsingen: Es geht
ums grosse Ganze, doch ich werde darin nicht übersehen.
Ich bin nicht bloss ein beliebiges Teilchen im umfassenden
Projekt Gottes. Gott kennt und sieht mich. Gott weiss, was
zu mir passt. Gott nimmt wahr, was ich kann und wonach
ich mich sehne. Gott nimmt ernst, was ich mir vornehme,
aber auch, was mir zustösst. Unbeschadet, heil und ganz soll
und werde ich mein Ziel erreichen. «Um meinetwillen» –
das kann anmassend verstanden werden oder aber als Ausdruck
des grossen Vertrauens, das aus der Gotteserfahrung
erwächst.

Von: Benedict Schubert

24. November

König Nebukadnezar sprach: Es gefällt mir,
die Zeichen und Wunder zu verkünden, die der
höchste Gott an mir getan hat. Daniel 3,32

Wie ein Scharnier steht der Vers zwischen der Geschichte
von den drei Männern im Feuerofen und dem Bericht
über die Visionen und den temporären «Wahnsinn» des
Königs Nebukadnezar. Das gibt Stoff zu lohnendem Nachdenken!
Doch ich löse den Losungsvers ganz aus seinem
Textzusammenhang, will ihn hören, wie wenn ein Gegenüber
im Gespräch mir das hier und heute sagte, womöglich
mit leuchtenden Augen und einer heiteren Festigkeit in
der Stimme. In erster Reaktion fände ich es wohl ein wenig
peinlich und dächte: So etwas sagt man in der Schweiz doch
nicht! Dann aber würde ich mich freuen. Die so etwas sagen,
sind offensichtlich geheilt von der kollektiven Sprachstörung
in Sachen Glauben, die ich ringsum feststelle und die
es uns so schwer macht, einladend Kirche zu sein. Da haben
welche starke Erfahrungen gemacht, die sie als Gotteserfahrung
erlebt haben. Durch sie wurde ihre Beziehung zu Gott
gestärkt und geklärt – damit auch ihre Beziehung zur Welt
und zu allen, mit denen sie in dieser Welt leben. Nun können
sie so Zeugin, Zeuge sein, dass ich mich nicht zu etwas
gedrängt oder überredet fühle, wohl aber dazu ermutigt,
meinerseits nach den kleinen und grossen Zeichen Ausschau
zu halten, die Gott hier und heute an mir tut.

Von: Benedict Schubert

25. Oktober

Ihr sollt Brot die Fülle haben und sollt sicher
in eurem Lande wohnen.
3. Mose 26,5

Gerne hätte ich die Frage vertieft nach dem Unterschied zwischen einer Verheissung und einer wohlfeilen Vertröstung. Der Ewige gibt das Versprechen von Frieden und Wohlstand mitten in der Wüste. Wenn ich mich darauf als Verheissung verlasse, gibt es mir Kraft zum Weitergehen. Doch was, wenn ich zweifle, es als billigen Trost vernehme, womöglich als «Opium fürs Volk»?
Doch im Nahen Osten wird mit grösster Brutalität Krieg geführt, während ich diese Betrachtung schreibe; er wird wohl immer noch toben, wenn Sie das lesen. Und ich frage:
Wer sind die, die sich heute hier und vor allem dort an Gottes Verheissungen erinnern und daraus kreativ Wege zum Frieden suchen und finden? Warum erhalten diejenigen, die versöhnlich handeln und leben, so wenig Aufmerksamkeit? Weshalb wird Widerspruch gegen die Mächtigen in Israel als Antisemitismus diskreditiert, anstatt ihn in der biblischen Linie der Propheten zu sehen? Weshalb wird das palästinensische Volk von allen Mächten ringsum immer nur für eigene Zwecke instrumentalisiert? Wer sieht und tröstet die Frauen und Kinder in Gaza? Wie lassen sich Hass und Misstrauen überwinden, anstatt ihnen immer wieder neu Nahrung zu geben, wie das seit Jahrzehnten geschieht?
Gott des Friedens und der Gerechtigkeit, erbarme dich!

Von: Benedict Schubert

25. September

Siehe: Der die Berge gemacht und den Wind geschaffen hat, der dem Menschen sagt, was er im Sinne hat – er heisst «HERR, Gott Zebaoth». Amos 4,13

Überrascht haben mich nicht die Hinweise auf Gottes Grösse, seine unbegrenzten Möglichkeiten, zu erschaffen, was ist, es zu bewegen und zu lenken. Auch der Namenszusatz «Zebaoth» gehört zum Bekannten und Vertrauten aus der Bibel und zu einigen Liedern, mit denen ich aufgewachsen bin: «Gott Zebaoth – Gott der himmlischen Heere». Beispiele aus der Kunstgeschichte bezeugen, wie Menschen sich Gott mit seinem himmlischen Hofstaat vorgestellt haben; erfreulicherweise sind die Heerscharen eher mit Harfen und Trompeten ausgerüstet als mit Schwertern und Hellebarden.
Überraschend bleibt jedoch die Zusage, dass Gott uns Menschen mitteilt, was er im Sinne hat. Wir sind nicht einem Schicksal ausgeliefert, dessen Sprünge und Haken wir unmöglich deuten und verstehen können. Gott nimmt uns als Gegenüber ernst. Wie eine Mutter ihrem kleinen Kind gegenüber nicht einfach macht, was sie macht, sondern beschreibt und erklärt, was sie tut, so auch Gott.
Meist übrigens nicht direkt durch eine himmlische Stimme, sondern vermittelt durch ein Bibelwort (eine Losung!), die Bemerkung einer Freundin, die Frage eines Nachbarn, eine Zeile aus einem Lied.

Von: Benedict Schubert

24. September

Hilf du uns, Gott, unser Helfer, um deines Namens
Ehre willen! Errette uns und vergib uns unsere Sünden um deines Namens willen!
Psalm 79,9

Viele fassen das Wort «Sünde» nur noch mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase an, wenn sie es nicht überhaupt tief in einer Schublade liegen lassen. Sie finden – leider nicht ohne Gründe –, es rieche zu säuerlich nach kleingeistiger Moral.
Keine Frage: Sünde kann nicht ohne erklärende Sätze verwendet werden. Doch solche Sätze müssen wir suchen und finden, damit dieser wesentliche Aspekt nicht verlorengeht, der mir auch im heutigen Psalmvers entgegenkommt: Diejenigen, die Sünde bekennen, übernehmen Verantwortung. Sie anerkennen, dass sie sich nicht alles erlauben können und dass sie nicht einfach Opfer sind. Beides scheint mir heute allzu weit verbreitet. Vor zwanzig Jahren gehörte es für Verantwortliche in Politik und Wirtschaft noch selbstverständlich zum guten Ton, nach einem Fehler ein Amt abzugeben. Heute wird abgewiegelt, hemmungslos gelogen, weitergemacht. Und viele sehen sich gerne als Opfer. Ich stelle zum Beispiel mit Befremden fest, dass es ältere weisse Männer wie mich gibt, die darüber jammern, sie seien Opfer der Gleichberechtigung, und übersehen, mit wie vielen Vorrechten sie lebten und leben. Ewiger, vergib! Nüchtern ehrliches Sündenbewusstsein erleichtert das Leben für mich und mein Umfeld.

Von: Benedict Schubert

25. August

Wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst: Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld. 5. Mose 28,2–3

Wird hier das Fundament gelegt für das «Wohlstands-Evangelium»? Finden in diesem Vers jene braungebrannten und wortgewandten TV-Predigerinnen und -Evangelisten eine biblische Grundlage für ihre Verkündigung, die verspricht, Gott werde mit irdischen Gütern jene segnen, die so an ihn glauben, wie diese dubiosen Gestalten es vormachen? Ist das «Wenn», mit dem die Losung einsetzt, also als Bedingung zu verstehen, die aus dem Glauben einen «Deal» macht, eine Geschäftsbeziehung?
In unserer Welt, wo zunehmend nur noch danach beurteilt wird, ob Aufwand und Ertrag stimmen, finden leider derartige Stimmen Gehör. Ich aber höre aus unserem Vers die Einladung in eine Vertrauensbeziehung. In dem Mass, wie ich mich auf Gott einlasse, weil ich mich auf Gott verlasse, wird mein Leben gut. Es gewinnt Tiefe. Ich bekomme eine Perspektive. Ich verliere weder Hoffnung noch Mut, wenn ich Erfahrungen mache, die mich schmerzen, die keinen Sinn ergeben. Für das, was ich bin und tue, finde ich nicht mehr nur schlechte Worte; es steht nicht mehr unter einer «malédiction». Ich bin im Zusammenleben mit meinen Nächsten (in der Stadt) und in meiner Arbeit (auf dem Land) gesegnet; gut ist, was andere und ich selbst darüber sagen; es ist eine «bénédiction», ein Segen.

Von: Benedict Schubert

25. Juli

Gott, wir haben mit unsern Ohren gehört, unsre Väter
haben’s uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten,
vor alters.
Psalm 44,2

Kürzlich sass ich mit meiner Frau im Zug; fasziniert und
dankbar beobachteten wir eine junge Familie im Viererabteil
nebenan: zwei Kinder, eine Frau, ein Mann. Das wäre an
sich nicht auffällig, sondern entspräche dem Bild, das lange
von der Schweizer «Normalfamilie» gezeichnet wurde. Es
faszinierte uns, dass und wie diese beiden Erwachsenen mit
den Kindern im Gespräch waren und ihnen Geschichten
erzählten. Wir waren glücklich darüber, dass die Kinder nicht
mit digitalen Konserven abgespeist wurden und dass die
Eltern ihnen ihre Aufmerksamkeit widmeten und nicht ihren
Smartphones.
Unser Psalmwort kann seine Herkunft aus der patriarchalen
Tradition nicht leugnen. Die Forschung kann belegen,
welch entscheidende Rolle Mütter und Grossmütter bei der
Weitergabe des Glaubens spielen. Erzählend säen sie den
Samen, der hoffentlich die Frucht des Vertrauens wachsen
lässt, die dem Leben Boden und Ziel gibt.
Die «Krise der Kirchen», die wir feststellen und mit der wir
umgehen müssen, ist verbunden mit einer «Krise des Erzählens
». Dankbar bin ich für alle, die Worte suchen und finden,
um das zur Sprache zu bringen, was sie als Gottes Handeln in
ihrem Leben, in der Welt und ihrer Geschichte wahrnehmen.

Von: Benedict Schubert

24. Juli

Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien,
schweige nicht zu meinen Tränen.
Psalm 39,13

Die klagende Stimme erlebt Gottes Schweigen als Zumutung.
Sie erinnert mich an eine angolanische Christin, die
damals in den sehr schweren Zeiten des Bürgerkriegs einmal
sagte: «Ich glaube schon, dass Gott hört, aber ich glaube, er
hört nur mit einem Ohr hin.»
Als Seelsorger hörte ich ähnliche Klagen von denen, die mir
gegenübersassen. Auch ich selbst erinnere mich an Zeiten,
in denen ich es herausfordernd fand, dass Gott in so offensichtlich
anderen Rhythmen antwortet und handelt, als ich
es gerne gehabt hätte.
Doch nun stiess ich vor Kurzem auf einen Text, der einlädt,
das Schweigen Gottes viel positiver zu deuten. Von
Daniel Bourguet, einem französischen Pfarrer und Einsiedler,
erschien nun auch auf Deutsch die kleine Schrift «Die Scheu
Gottes». Bourguet erkennt in Gottes Schweigen ein Zeichen
der Liebe, die sich nicht aufdrängt, sondern sich eben scheu,
unaufdringlich zurückhält.
Gott schweigt manchmal zu Tränen, nicht weil sie ihn nicht
berühren. Gott lässt uns zuerst ausweinen. Die Tränen sollen
fliessen. Gott textet uns nicht gleich zu, sondern hält mit uns
den Schmerz aus. Dann wischt Gott die Tränen ab, liebevoll,
zart, tröstend.

Von: Benedict Schubert

25. Juni

Jene, die fern sind, werden kommen und
am Tempel des HERRN bauen.
Sacharja 6,15

Wir bleiben nicht unter uns. Unsere Gemeinschaft, unsere
Kirche, das Haus Gottes wird nicht mehr bloss von denen
gebaut, die so sind wie wir, die ähnlich aussehen und Gott
und die Welt ähnlich sehen wie wir.
Der Prophet Sacharja war sicher, dass Gott schon an alle
Menschen dachte, als er Abraham und Sara versprach, aus
ihnen ein grosses Volk zu machen. Israels Erwählung war kein
exklusives Recht für das kleine Volk, sondern sollte schliesslich
der ganzen Welt die Erfahrung von Gnade zugänglich
machen. Doch schon Sacharja konnte nicht all diejenigen
überzeugen, die meinten, Heil liege in der Abgrenzung, in
der ängstlichen Verteidigung des Eigenen und Vertrauten.
Die Fernen sind uns fremd. Sie leben unter anderen Bedingungen,
deshalb auch mit einer anderen Perspektive, mit
anderen Vorstellungen als die Nahen. Sie halten Dinge für
normal und richtig, die uns irritieren oder Angst machen.
Es sei denn, wir erkennen, was für einen Reichtum sie mit
sich bringen, wie gesund es ist, Dinge anders zu sehen, als
wir es gewohnt sind.
Das gilt auch für unsere Kirchen: Es ist ermutigend, wenn
wir Kirchen in der weiten Welt wahrnehmen und uns von
ihnen inspirieren lassen. Von ihnen, die ganz anders – und
meist mit viel weniger Mitteln – leben als wir.

Von: Benedict Schubert

25. Mai

Du sollst dein Herz nicht verhärten und deine Hand
nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder.
5.Mose 15,7

Ich gehöre zu denen, die mit dem Brauch des Tischgebets
aufgewachsen sind. Zum Abschluss einer Mahlzeit gehörten
die Worte: «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich
und seine Güte währet ewiglich.» Wir sollten begreifen, das,
was wir hatten, nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten,
sondern als Geschenk. Damit lernten wir auch, dass ein
Aspekt des Glaubens an den Ewigen im Vertrauen besteht,
dass Gott mir all das zukommen lässt, was ich brauche. In
ein biblisch verankertes Glaubensbekenntnis gehört deshalb
eigentlich der Satz: «Ich komme nicht zu kurz.»
Das befreit zur Grosszügigkeit – möglicherweise aus der
Ahnung, dass Gott mich dazu benutzen könnte, andere
nicht zu kurz kommen zu lassen.
Die Bibel ist zurückhaltend, wenn es darum geht, die Frage
zu beantworten, weshalb es Arme und Reiche, Starke und
Schwache, Ohnmächtige und Mächtige gibt. Gleichzeitig
macht sie klar: Das ist weder das, was Gott vorgesehen
hat, noch das, was Gottes Willen entspricht. Das heutige
Losungswort gehört in diesen grossen Zusammenhang. Es
spricht von dem, was wir je als Einzelne tun können: teilen,
was uns gegeben ist, im Vertrauen, dass wir nicht zu kurz
kommen, und in der Hoffnung, dass am Ende niemand mehr
zu kurz kommt.

Von: Benedict Schubert