Schlagwort: Benedict Schubert

25. August

Wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst: Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld. 5. Mose 28,2–3

Wird hier das Fundament gelegt für das «Wohlstands-Evangelium»? Finden in diesem Vers jene braungebrannten und wortgewandten TV-Predigerinnen und -Evangelisten eine biblische Grundlage für ihre Verkündigung, die verspricht, Gott werde mit irdischen Gütern jene segnen, die so an ihn glauben, wie diese dubiosen Gestalten es vormachen? Ist das «Wenn», mit dem die Losung einsetzt, also als Bedingung zu verstehen, die aus dem Glauben einen «Deal» macht, eine Geschäftsbeziehung?
In unserer Welt, wo zunehmend nur noch danach beurteilt wird, ob Aufwand und Ertrag stimmen, finden leider derartige Stimmen Gehör. Ich aber höre aus unserem Vers die Einladung in eine Vertrauensbeziehung. In dem Mass, wie ich mich auf Gott einlasse, weil ich mich auf Gott verlasse, wird mein Leben gut. Es gewinnt Tiefe. Ich bekomme eine Perspektive. Ich verliere weder Hoffnung noch Mut, wenn ich Erfahrungen mache, die mich schmerzen, die keinen Sinn ergeben. Für das, was ich bin und tue, finde ich nicht mehr nur schlechte Worte; es steht nicht mehr unter einer «malédiction». Ich bin im Zusammenleben mit meinen Nächsten (in der Stadt) und in meiner Arbeit (auf dem Land) gesegnet; gut ist, was andere und ich selbst darüber sagen; es ist eine «bénédiction», ein Segen.

Von: Benedict Schubert

25. Juli

Gott, wir haben mit unsern Ohren gehört, unsre Väter
haben’s uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten,
vor alters.
Psalm 44,2

Kürzlich sass ich mit meiner Frau im Zug; fasziniert und
dankbar beobachteten wir eine junge Familie im Viererabteil
nebenan: zwei Kinder, eine Frau, ein Mann. Das wäre an
sich nicht auffällig, sondern entspräche dem Bild, das lange
von der Schweizer «Normalfamilie» gezeichnet wurde. Es
faszinierte uns, dass und wie diese beiden Erwachsenen mit
den Kindern im Gespräch waren und ihnen Geschichten
erzählten. Wir waren glücklich darüber, dass die Kinder nicht
mit digitalen Konserven abgespeist wurden und dass die
Eltern ihnen ihre Aufmerksamkeit widmeten und nicht ihren
Smartphones.
Unser Psalmwort kann seine Herkunft aus der patriarchalen
Tradition nicht leugnen. Die Forschung kann belegen,
welch entscheidende Rolle Mütter und Grossmütter bei der
Weitergabe des Glaubens spielen. Erzählend säen sie den
Samen, der hoffentlich die Frucht des Vertrauens wachsen
lässt, die dem Leben Boden und Ziel gibt.
Die «Krise der Kirchen», die wir feststellen und mit der wir
umgehen müssen, ist verbunden mit einer «Krise des Erzählens
». Dankbar bin ich für alle, die Worte suchen und finden,
um das zur Sprache zu bringen, was sie als Gottes Handeln in
ihrem Leben, in der Welt und ihrer Geschichte wahrnehmen.

Von: Benedict Schubert

24. Juli

Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien,
schweige nicht zu meinen Tränen.
Psalm 39,13

Die klagende Stimme erlebt Gottes Schweigen als Zumutung.
Sie erinnert mich an eine angolanische Christin, die
damals in den sehr schweren Zeiten des Bürgerkriegs einmal
sagte: «Ich glaube schon, dass Gott hört, aber ich glaube, er
hört nur mit einem Ohr hin.»
Als Seelsorger hörte ich ähnliche Klagen von denen, die mir
gegenübersassen. Auch ich selbst erinnere mich an Zeiten,
in denen ich es herausfordernd fand, dass Gott in so offensichtlich
anderen Rhythmen antwortet und handelt, als ich
es gerne gehabt hätte.
Doch nun stiess ich vor Kurzem auf einen Text, der einlädt,
das Schweigen Gottes viel positiver zu deuten. Von
Daniel Bourguet, einem französischen Pfarrer und Einsiedler,
erschien nun auch auf Deutsch die kleine Schrift «Die Scheu
Gottes». Bourguet erkennt in Gottes Schweigen ein Zeichen
der Liebe, die sich nicht aufdrängt, sondern sich eben scheu,
unaufdringlich zurückhält.
Gott schweigt manchmal zu Tränen, nicht weil sie ihn nicht
berühren. Gott lässt uns zuerst ausweinen. Die Tränen sollen
fliessen. Gott textet uns nicht gleich zu, sondern hält mit uns
den Schmerz aus. Dann wischt Gott die Tränen ab, liebevoll,
zart, tröstend.

Von: Benedict Schubert

25. Juni

Jene, die fern sind, werden kommen und
am Tempel des HERRN bauen.
Sacharja 6,15

Wir bleiben nicht unter uns. Unsere Gemeinschaft, unsere
Kirche, das Haus Gottes wird nicht mehr bloss von denen
gebaut, die so sind wie wir, die ähnlich aussehen und Gott
und die Welt ähnlich sehen wie wir.
Der Prophet Sacharja war sicher, dass Gott schon an alle
Menschen dachte, als er Abraham und Sara versprach, aus
ihnen ein grosses Volk zu machen. Israels Erwählung war kein
exklusives Recht für das kleine Volk, sondern sollte schliesslich
der ganzen Welt die Erfahrung von Gnade zugänglich
machen. Doch schon Sacharja konnte nicht all diejenigen
überzeugen, die meinten, Heil liege in der Abgrenzung, in
der ängstlichen Verteidigung des Eigenen und Vertrauten.
Die Fernen sind uns fremd. Sie leben unter anderen Bedingungen,
deshalb auch mit einer anderen Perspektive, mit
anderen Vorstellungen als die Nahen. Sie halten Dinge für
normal und richtig, die uns irritieren oder Angst machen.
Es sei denn, wir erkennen, was für einen Reichtum sie mit
sich bringen, wie gesund es ist, Dinge anders zu sehen, als
wir es gewohnt sind.
Das gilt auch für unsere Kirchen: Es ist ermutigend, wenn
wir Kirchen in der weiten Welt wahrnehmen und uns von
ihnen inspirieren lassen. Von ihnen, die ganz anders – und
meist mit viel weniger Mitteln – leben als wir.

Von: Benedict Schubert

25. Mai

Du sollst dein Herz nicht verhärten und deine Hand
nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder.
5.Mose 15,7

Ich gehöre zu denen, die mit dem Brauch des Tischgebets
aufgewachsen sind. Zum Abschluss einer Mahlzeit gehörten
die Worte: «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich
und seine Güte währet ewiglich.» Wir sollten begreifen, das,
was wir hatten, nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten,
sondern als Geschenk. Damit lernten wir auch, dass ein
Aspekt des Glaubens an den Ewigen im Vertrauen besteht,
dass Gott mir all das zukommen lässt, was ich brauche. In
ein biblisch verankertes Glaubensbekenntnis gehört deshalb
eigentlich der Satz: «Ich komme nicht zu kurz.»
Das befreit zur Grosszügigkeit – möglicherweise aus der
Ahnung, dass Gott mich dazu benutzen könnte, andere
nicht zu kurz kommen zu lassen.
Die Bibel ist zurückhaltend, wenn es darum geht, die Frage
zu beantworten, weshalb es Arme und Reiche, Starke und
Schwache, Ohnmächtige und Mächtige gibt. Gleichzeitig
macht sie klar: Das ist weder das, was Gott vorgesehen
hat, noch das, was Gottes Willen entspricht. Das heutige
Losungswort gehört in diesen grossen Zusammenhang. Es
spricht von dem, was wir je als Einzelne tun können: teilen,
was uns gegeben ist, im Vertrauen, dass wir nicht zu kurz
kommen, und in der Hoffnung, dass am Ende niemand mehr
zu kurz kommt.

Von: Benedict Schubert

24. Mai

Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder. 1.Könige 8,39

Glücklicherweise erlebte ich selten Konflikte, die mir Schlaf,
Nerven und Kraft raubten. Einmal jedoch geriet ich in eine
Auseinandersetzung, in der ich auf die Hilfe einer Supervisorin
angewiesen war. Sehr gut erinnere ich mich an eine Sitzung
bei ihr. Mein Gegenüber im Konflikt hatte etwas getan, wovon
ich fand, das sei absolut unmöglich und unzulässig. Ratlos
sagte ich zur Supervisorin: «Aber das kann man doch nicht
tun!» Worauf sie lakonisch zurückgab: «Doch, er kann das.»
Das ist mir eingefahren, und ich habe diese knappe Feststellung
hin und wieder zitiert, wenn jemand über ein Gegenüber
klagte und meinte, man könne doch dies oder jenes
nicht tun, sagen, finden: «Doch, er, sie kann das.»
Menschen sind uns manchmal ein Rätsel. Sie kommen auf
Ideen, auf die ich nie käme. Sie vertreten Meinungen, die
nicht vereinbar sind mit dem, was ich für gesunden Menschenverstand
halte. Sie lachen über Dinge, die ich nicht
komisch finde, aber finden nicht lustig, was mich amüsiert.
Manchmal passiert mir das auch mit mir selbst, und ich frage
mich, was mich zu diesem oder jenem veranlasst hat.
Es ist gut, uns von Salomo vorsagen zu lassen, dass wir Gott
allein das Urteil zugestehen, über das Herz eines Menschen
zu urteilen. Nur Gott allein weiss, was uns zuinnerst bewegt,
belastet, begeistert, antreibt. Und er schaut gewiss gnädiger
darauf als wir.

Von: Benedict Schubert

25. April

Die Israeliten sprachen zu Samuel: Lass nicht ab,
für uns zu schreien zu dem Herrn, unserm Gott,
dass er uns helfe.
1. Samuel 7,8

Wann haben Sie das letzte Mal jemanden gebeten, sie oder er möchte doch bitte für Sie beten? (Ich hoffe nicht, dass jemand für sie hätte zu Gott schreien müssen!)
Wir lernen, es sei erstrebenswert, möglichst autonom zu sein. Freiheit heisst für uns: «Ich kann tun und lassen, was ich will.» Sogar die klassische Einschränkung, dass die Freiheit meiner Nächsten meiner Freiheit eine Grenze setze, wird inzwischen von manchen in Frage gestellt.
Und so ist der Verlust der Unabhängigkeit für viele Menschen in unserem Land etwas vom Schlimmsten, was sie sich vorstellen können. Entsprechend schwierig wird es, wenn sie –
wie viele alte Menschen es erleben – nicht mehr die Kraft haben, ein unabhängiges Leben zu führen, sondern angewiesen sind auf die Unterstützung und Betreuung durch andere.
Wir Menschen sind von Anfang an auf Gemeinschaft, auf gegenseitige Abhängigkeit angelegt. Wir sind aufeinander angewiesen. Wie erbärmlich wäre mein Leben, wenn ich es allein und aus eigener Kraft leben müsste. Wie gut, dass ich Verwandte, Nachbarinnen, Freunde, Kollegen habe, denen ich nicht egal bin und die umgekehrt mir nicht gleichgültig sind. Und was für ein Privileg, dass wir füreinander beten können.

Von: Benedict Schubert

25. März

Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel
zu seinen Zeiten; er wandelte mit Gott.
1. Mose 6,9

Manchmal bezeichne ich mich gerne selbst als «fromm». Mir ist klar, dass das etwas befremdlich wirken kann, aber es lässt eher aufhorchen, als wenn ich mich «religiös» oder «spirituell» nennen würde. «Fromm» – damit ordne ich mich unverschämt in die christliche Tradition ein und bekenne mich zur Kirche.
Legt mir die Losung nahe, mir darin Noah zum Vorbild zu nehmen? Wie Noah will ich mit Gott wandeln. Gott hält in Bewegung, ruft zum Aufbruch, bewahrt uns davor, uns festzufahren in Positionen und festzulegen auf Standpunkte. Was zu Noahs Zeiten war und galt, muss zu unseren Zeiten nicht gleich sein und gelten. Manches, was er für gut und richtig, für wahr und fromm hielt, ist zum Glück überholt. Wie Noah will ich indessen aufmerksam auf die Zeichen und Weisungen Gottes für unsere Zeiten achten.
Will und kann ich zu diesen unseren Zeiten tadellos leben? Ja, wenn damit gemeint ist, dass ich nicht rücksichtslos sein will, nicht meine Interessen über alles stellen, sondern dass ich respektvoll, offen, bescheiden und in der Bereitschaft, meine Grenzen und Fehler anzuerkennen, Liebe üben will.
Kein Interesse habe ich übrigens daran, mich mit ein paar wenigen in einen Kasten einzuschliessen und den Rest der Welt untergehen zu lassen. Das erwartet Gott zum Glück auch nicht mehr von uns.

Von: Benedict Schubert

24. März

Es ist der HERR; er tue, was ihm wohlgefällt. 1. Samuel 3,18

In der Nacht hört Samuel die Stimme Gottes. Gott muss drei Mal rufen, bis Samuel begreift: Gott ruft mich. Der erste Auftrag des Ewigen für Samuel ist eine Zumutung: Er soll Eli, dem alten Propheten, ankündigen, dass Gott sein Haus für immer richten werde. Und das heisst: Sie werden alles verlieren, auch das Leben. Kein Wunder, hat Samuel Angst, seinem Ziehvater und Lehrmeister dieses Gotteswort auszurichten. Erst auf Drängen Elis rapportiert er die nächtliche Weisung des Ewigen – und unsere Losung ist das Wort, mit dem Eli darauf antwortet. Eli akzeptiert den Schuldspruch, nimmt, was geschehen soll, als gerechte Strafe auf sich.
Dass Gott uns strafen will, im ärgsten Fall sogar ums Leben bringen, können und wollen wir uns nicht vorstellen. Wir halten uns an das Prophetenwort des Jesaja, dass unsere Strafe auf ihm liegt. Mit den Evangelisten verlassen wir uns darauf, dass Er Jesus Christus ist. Und mit Paulus glauben wir, dass in ihm Gott radikal und vorbehaltlos für uns ist.
In der dritten Bitte des Unservaters – «Dein Wille geschehe!» – vernehmen wir aber dennoch ein Echo auf das Wort Elis. Und wir versuchen, die Bitte auch dann mitzusprechen, wenn Gott uns etwas zumutet, das uns sinnlos vorkommt, das wir nicht verdient haben, das uns leiden lässt. Wir weigern uns zu glauben, dass die Finsternis stärker sei als das Licht.

Von: Benedict Schubert

25. Februar

Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Psalm 118,14

Diejenigen, die wissen, dass Gott das erste und das letzte Wort hat, müssen nicht mehr um die eigene Macht kämpfen. Diejenigen, die wissen, dass Menschsein zum Ziel hat, das Lob Gottes zu singen, halten sich zurück, wenn lauthals das Lob eines Volkes, einer Partei, einer Ideologie oder auch einer Konfession gesungen wird. Diejenigen, die wissen, dass von Gott her ihr Leben Sinn und Erfüllung bekommt, bilden sich nicht mehr ein, sie müssten ihr Glück selbst und dann oft auch auf Kosten anderer schmieden.
Psalm 118 ist eigentlich eine ganze Dankliturgie, im Wechsel von Einzelstimmen und Gemeinde zu singen. Der heutige Losungsvers steht ziemlich genau in seiner Mitte als Einladung an jeden und jede, sich dieses Bekenntnis zu eigen zu machen. Im Psalter, aus dem ich immer wieder singe, ist übersetzt: «Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden.» Ich bin mir bewusst: Wenn ich das mitsinge, bedeutet das nicht, dass mein Leben einfacher, harmloser, bequemer wird. Unmittelbar vor diesem Vers ist zum Beispiel von lästigen Gegnern die Rede, die uns wie Wespen umschwirren. Doch singend wird mein Vertrauen gestärkt, dass mir eigentlich nichts passieren kann, weil «Gott im Regimente sitzt».

Von: Benedict Schubert