Autor: Ralph Kunz

22. September

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt. 1. Petrus 3,9

Es ist so elementar und so einleuchtend und es wäre bitternötig, dass einige es beherzigen und tun, was sie hören. Nicht zurückschlagen, wenn sie geschlagen werden, nicht zurückfluchen, wenn sie verflucht werden. Und es ist so verflucht schwer! Ich meine, Hand aufs Herz, wenn so ein Super-Ego meint, es habe das Recht, andere kleinzumachen, ist es dann nicht unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass dem Grossen die Luft ausgeht und der Kleine wieder Luft bekommt? Weder Jesus noch seine Nachfolger waren Fantasten. Im Unterschied zu uns lebten sie unter Kolonialherren – als Menschen zweiter Klasse. Der Verzicht auf Vergeltung hat vor diesem Hintergrund noch einmal einen anderen Klang. Es geht nicht um die heroische Tat oder darum, klein beizugeben, sondern darum, Frieden zu stiften und den Teufelskreis der Gewalt zu unterbrechen. Der Appell richtet sich an alle Menschen, aber ganz besonders an Christenmenschen. «Weil ihr dazu berufen seid!» Für den Autor, der sich Petrus nennt, ist es wichtig, seine Leser daran zu erinnern. Sie stehen in den Fussstapfen Israels, sie sind Hüterinnen und Hüter eines heiligen Vorgängers, der den längeren Atem hat als die Aufgeblasenen der Welt …
Auf dass die Friedensstifter den Segen erben!

Von: Ralph Kunz

20. August

Abrahams Knecht schwieg still, bis er erkannt hätte,
ob der HERR zu seiner Reise Gnade gegeben hätte oder
nicht.
1. Mose 24,21

Abraham ist alt und gebrechlich, bald wird er sterben und
sorgt sich um seine Nachkommen – er möchte das Kind
sehen, das den Segen weiterträgt, der dereinst allen Völkern
zuteilwerden wird. Aber Isaak hat noch keine Frau! Von den
Kanaaniterinnen hält Abraham nicht viel. Also schickt er
seinen Knecht in die alte Heimat. So der Anlauf zu einer der
schönsten Erzählungen der Bibel – mit durstigen Kamelen,
einer verschleierten Schönheit namens Rebekka, einem tiefen
Brunnen und orientalischer Gastfreundschaft!
Am Ende kommt alles gut. Der Knecht bringt die Braut
nach Hause. Die letzten schlichten Worte der Geschichte
sind ein wunderbar menschliches Zeugnis: «Rebekka wurde
Isaaks Frau, und er gewann sie lieb. Also wurde Isaak getröstet
über seine Mutter.»
Die Losung bringt eine weitere Facette des Juwels zum
Funkeln. Sie beleuchtet den namenlosen Knecht. Ohne ihn
liefe in dieser Geschichte gar nichts. Seine Nebenrolle spielt
so gesehen die Hauptrolle. Weil er dient! Er ist ein wahrer
Gottesdiener, der kein Rampenlicht braucht. Er gehorcht,
aber nicht blind dem Befehl, den er von Abraham bekommen
hat, und auch nicht einem ersten Eindruck der Augen.
Er schweigt, hört und prüft die Geister.
Hätten wir nur mehr solche Diener in unseren Regierungen!

Von: Ralph Kunz

19. August

Steh ab vom Zorn und lass den Grimm, entrüste
dich nicht, dass du nicht Unrecht tust.
Psalm 37,8

Wenn mir einer an den Karren fährt und mich durch den
Kakao zieht oder mir jemand Steine in den Weg legt, mich
anfeindet und hintergeht, mich betrügt und belügt – dann
geht mir die Galle hoch, dann kocht es in mir über. Ist doch
normal, oder? Ja, ist es! Es ist menschlich und es ist auch eine
gesunde Reaktion. Der Mensch, dem wir diesen Klagepsalm
verdanken, weiss das auch. Und doch mahnt, ja beschwört er
fast: «Lass es irgendwann gut sein! Sonst tust du Unrecht.»
Er spricht von der Rache. Wir würden heute von Selbstjustiz
sprechen.
Recht hat er. Aber ach, wenn es nur so einfach wäre! Es ist
schwer, aus der eigenen Wut herauszukommen. Das weiss
auch der Psalmist. Er spricht hier als einer, der überwunden
hat – nicht den Feind, der ihm das Leben schwer machte,
sondern seine Gefühle, die ihn krank zu machen drohten,
wenn er sie nicht in den Griff bekam. Sein Rat an den, der es
(noch) nicht kann: «Befiehl dem HERRN deine Wege und
hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen.» Der Psalm ist wie ein
Freund, der mich in der Hitze umarmt und mir nicht das
Recht abspricht, mich zu empören – aber der mich davor
bewahren will, innerlich zu verbrennen und zu verhärten.
In seinem Rat steckt viel Weisheit, aber es tut auch gut, den
Beipackzettel zu lesen.

Von: Ralph Kunz

23. Juli

HERR, ich habe Freude an deinen Zeugnissen;
sie sind meine Ratgeber.
Psalm 119,24

Wir leben in einer Kultur, die uns die Suche nach Ratgebern
einfach macht. Ich frage Google und schon hagelt es Ratschläge.
Ein Heer von Ratgebern wartet auf mein Notsignal
und berät mich gratis und franko (oder für ein paar Franken)
und sagt mir rund um die Uhr blitzschnell digital und
wahnsinnig agil, was ich tun muss, damit es mir gut geht.
Was will man noch mehr? Vielleicht einen Ratgeber, wie
man mit Ratgebern umgeht! Auf welchen soll man hören?
Möglicherweise lösen wir mit KI (= Künstliche Intelligenz)
auch dieses Problem …
Der Mensch, der uns heute die Losung schenkt, hatte noch
keinen PC (= Personal Computer), aber dennoch Anschluss
an ein Netz. Er spricht sogar mit seinem PG (= Personal
God)! Offensichtlich sind er und PG online! Manchmal ist
die Verbindung instabil. Dann klagt er. Aber in diesem
Moment gibt er seinem PG ein Smiley. «Ich habe Freude an
deinen Zeugnissen.» Was meint er wohl damit?
Ich denke, er spricht von Mitteilungen des PG, die für ihn
mehr sind als Ratschläge, um sein privates Leben in Ordnung
zu bringen – es sind Anweisungen eines Gegenübers, das
sich für das blühende Zusammenleben aller Menschen ausspricht.
Mein kostenloser Rat für Sie heute: Verlassen Sie sich
auf die GI (= Göttliche Intelligenz), die unserem Psalmisten
so viel Freude macht.

Von: Ralph Kunz

22. Juli

Jesus betet für seine Jünger: Ich bitte für sie.
Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du
mir gegeben hast, denn sie sind dein.
Johannes 17,9

«Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du
für dein Land tun kannst.» So lautet einer der berühmtesten
Sätze John F. Kennedys. Es ist ein beliebtes Zitat in politischen
Reden. Schliesslich tönt es gut – und bekommt doch
einen falschen Klang, wenn das Land ein Unrechtsstaat ist.
Was heisst es, eine Jüngerin oder ein Jünger Jesu zu sein? Es
ist etwas anderes als einem Land dienen und geht doch um
einen Dienst. Es bedeutet, ihm nachzufolgen, das zu tun, was
er sagt, nicht für eine Territorialmacht, die ihre Interessen
verteidigt, sondern für ein Regiment, das gerecht ist!
Tönt gut und klingt richtig. In der Rede Jesu bekommt
Nachfolge aber noch einen anderen Klang. Er fragt nicht, was
seine Freunde für ihn tun können – er tut etwas für sie. Jesus
betet für sie. Ständig, ohne Unterlass ist er in der Fürbitte
für alle, die mit ihm und nach ihm in die Reichgottesarbeit
involviert sind. Also beten auch wir mit ihm und nach ihm
in seinem Namen für die Menschen, die uns anvertraut sind,
Mitmenschen, denen wir begegnen, Montagsmenschen, die
uns heute über den Weg laufen. Wer ist es? Finden wir es
heraus. Fragen wir nicht, was sie für uns tun können – fragen
wir, was wir für sie tun können. Wenn es alle so halten, wird
das Land blühen.

Von: Ralph Kunz

20. Juni

Euer Herz sei ungeteilt bei dem HERRN,
unserm Gott.
1. Könige 8,61

In dieser Mahnung steckt ein schönes Bildwort. Ein ungeteiltes
Herz ist ein ganzes Herz. Wenn es ganz bei Gott ist,
funktioniert es richtig. Was das meint, kann man mit einem
trivialen Vergleich besser verstehen. Wer nicht ganz bei der
Sache ist, hat eine geteilte Aufmerksamkeit. Bei Herzensangelegenheiten
hat das unter Umständen fatale Folgen. Das
ungeteilte Herz taucht immer dort auf, wo es um unsere
Person geht und gefragt wird, wer wir sind und zu wem wir
gehören, also um Treu und Glauben und um das, was uns im
Innersten zusammenhält. Das erinnert an das Liebesgebot.
«Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem
Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.» (Deuteronomium
6,5) Wenn ich mit mir ehrlich bin – und das
Bolderntext-Schreiben lässt es mich ab und zu versuchen –,
muss ich zugeben: In der Regel bin ich «aufgeteilt» in allerlei,
und es geht vom Hundertsten ins Tausendste. Viel Zeit, um
Gott von ganzem Herzen zu lieben, bleibt da nicht. Anderen
soll es auch so gehen. Darum sind Gebetszeiten so kostbar.
Ein Bruder in Taizé erklärte mir das Wort «Mönch» so:
Das altgriechische «monachós» leitet sich von «mónos» ab.
Man kann es mit «allein» übersetzen. Aber angemessener ist
es, sich ein Herz vorzustellen, das sich danach sehnt, ganz bei
Gott zu sein – oder ganz bei Trost. Ein wenig mönchischer
werden täte mir wohl gut …

Von: Ralph Kunz

19. Juni

Simeon pries Gott und sprach: Meine Augen haben
das Heil gesehen, das du vor den Augen aller Völker
bereitet hast, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und
zur Verherrlichung deines Volkes Israel.
Lukas 2,28.30–32

Wenn von Gott die Rede ist, gibt es nichts, auf das wir zeigen
könnten und sagen: «Schau, das ist Gott!» Denn Gott ist
unsichtbar. Niemand hat Gott je gesehen. Manche Zeitgenossen
meinen darum, Gott sei ein Nichts oder, schlimmer
noch, ein Nichtsnutz. Simeon widerspricht. Er preist Gott,
weil seine Augen ein Licht zur Erleuchtung der Völker und
ein Zeichen seiner heilsamen Nähe sehen. Er bezeugt Gottes
Wirken und verweist auf die Spur der Geschichte, die mit
Sara und Abraham begonnen hat. Er schaut den Segen, der
von Generation zu Generation weitergetragen wird oder –
ein bisschen körperlicher – der bis zum heutigen Tag von
einem Bauch zum anderen wandert. Der Augenzeuge
Simeon hat das Jesuskind gesehen: Glied in der Kette und
doch Anfang von etwas Neuem, Mensch aus Fleisch und
Blut und doch mehr, als wir mit den Augen erkennen können.
Wenn die Zeugen nach ihm von Gott reden, spüren sie
die Kraft, die ihn durchströmte, die Liebe, die ihn befeuerte,
seinen Segen, der uns aufblühen lässt.
Nein, dieser Segen ist nicht nichts und auch nicht irgendetwas.
Er ist im Du verborgen, von dem wir nichts wissen,
aber dem wir alles anvertrauen.

Von: Ralph Kunz

23. Mai

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein
grosses Licht, und über denen, die da wohnen im
finstern Lande, scheint es hell.
Jesaja 9,1

In der Bibel ist «Volk» der Begriff für das Kollektiv schlechthin
und eine politische Grösse. Jeder Mensch gehört zu
einem Volk und Völker bewohnen die Erde. So viel hat sich
seit der Antike gar nicht geändert. Es ist bis heute so. Ich
lese die Losung und frage mich: Gibt es ein Volk, das nicht
im Dunkeln tappt? Einmal abgesehen von den Appenzellern
und den Ostfriesen fällt mir keines ein … Genau, wir machen
Witze übereinander und das ist durchaus erhellend. Solange
es beim geschwisterlichen Necken bleibt, verstehen wir uns,
solange wir Verschiedenheit als Reichtum erfahren, sehen
wir Licht und solange die Völker miteinander feiern, scheint
es hell.
Wenn ich Zeitung lese, sieht es finster aus. Die einen Völker
rüsten auf, um sich gegen andere Völker zu wappnen. Sorry,
wenn ich Ihnen den Tag verderbe – aber ich finde es zurzeit
ziemlich düster. Wir nennen uns aufgeklärt, spotten über
unsere unterbelichteten Vorfahren und wandeln selbst im
Finstern. Wir beherrschen die Kunst der Lichtverschmutzung
und leben in rabenschwarzen Zeiten. Wenn das alles
wäre, was wir zur Zukunft sagen können, dann gute Nacht.
Darum lese ich Zeitung und dann noch einmal diese
Losung. Damit die Nacht zum Tag wird.

Von: Ralph Kunz

22. Mai

Jesus Christus selbst ist die Versöhnung für
unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren,
sondern auch für die der ganzen Welt.
1. Johannes 2,2

Versöhnung ist das zentrale und wiederkehrende Motiv
in der Heilsgeschichte. Im Alten Testament ist es mit Jom
Kippur verknüpft (Leviticus 23,27–32). Das ist ein Sabbat
Sabbaton, das heisst ein höchster Feiertag, so etwas wie
ein geistlicher Frühlingsputz. Einmal jährlich wird Sühne
für ganz Israel gewährt. Es gehört zum Programm der Heiligung,
dass das Volk mit Gott im Reinen sein muss, um
Gottesdienst feiern zu können. Jede Einzelne soll ihre, jeder
Einzelne seine Verfehlungen bereuen und umkehren. Versöhnung
setzt einen neuen Anfang und macht möglich,
dass die Leben gewährende Gottesnähe wieder erfahren
wird. Für diese heilsame Reinigung hat die Bibel viele Bilder:
dass Gott die Last abnimmt, das Lösegeld zahlt, die Blösse
bedeckt oder das Herz erneuert. Und was hat das mit Jesus
Christus zu tun?
Der Kreuzestod von Jesus wurde in den christlichen
Gemeinden als universaler Jom Kippur gedeutet. Wir singen
davon beim Abendmahl: «Christe, Du Lamm Gottes,
der Du trägst die Sünd’ der Welt». Mit Jesus ist nichts Neues
gekommen – aber die Gabe der Erneuerung radikal erweitert
worden! Durch ihn wird die ganze Welt versöhnt. Können
wir das je verstehen? Dass der Kosmos schon geheilt, geheiligt,
gewürdigt, gesegnet und geliebt ist?

Von: Ralph Kunz

20. April

Jesus sprach zu dem Übeltäter: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Lukas 23,43

Auf den ersten Blick ist dieser Satz theologisch und pädagogisch bedenklich. Welche Folgen hat es für die religiöse Erziehung, wenn ein Übeltäter (!) quasi in der letzten Sekunde seines Lebens eine Einladung in den Himmel bekommt? Man könnte ja auf die Idee kommen, die Grosszügigkeit unseres Heilands auszunutzen. Aber so funktioniert die Geschichte nicht. Dem Versprechen Jesu gehen ein Schuldbekenntnis und eine Bitte voraus. Der Übeltäter weiss, wer er ist. Er redet zu dem, der mit ihm und mit Jesus am Kreuz hängt. «Wir empfangen […], was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!» (Verse 41 f.) Auf ein zweites Hinsehen ist die Antwort Jesu hochkonzentriertes Evangelium. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, und selig, wer es glaubt. Wer meint, es sei möglich, aus der Gnade Gottes eine Art Freipass abzuleiten, hat die Geschichte nicht verstanden. Mehr noch: So wird aus der Konversion eine Perversion, aus Geschenk ein Handel und aus Glauben Berechnung. Wir bleiben Bittende – auch wenn wir uns auf Gottes grenzenlose Güte verlassen. Und wenn nicht? Mündet das Ganze doch wieder in eine Drohung?
Das wäre theologisch und pädagogisch bedenklich.

Von: Ralph Kunz