Autor: Ralph Kunz

11. Oktober

Jesus spricht: Ihr werdet meine Zeugen sein in
Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und
bis an das Ende der Erde.
Apostelgeschichte 1,8

Das Wort des Auferstandenen ist eine Zusage, die eine Zumutung enthält, die wir leicht überlesen. Jesus verspricht seinen Jüngerinnen und Jüngern zwar, dass sie den Heiligen Geist empfangen werden, aber er nennt Jerusalem als ersten Ort, wo sie ihren Glauben bezeugen sollen. Ausgerechnet! In Jerusalem wurde Jesus von den Römern verhaftet, verhört, gefoltert und gekreuzigt. Jerusalem ist der Ort der Schande für den Messias und auch der Ort der Schuld seiner Anhänger. Sie liessen ihn allein, flohen und verleugneten ihn. Und jetzt diese Anweisung. Es beginnt hier, von hier soll es weitergehen! Das war bestimmt nicht leicht. Jesus wanderte ins Zentrum der religiösen und politischen Macht hinein – eine Pilgerfahrt, die er mit seinem Leben bezahlte. Jetzt soll es wieder hinausgehen, bis ans Ende der Erde. Jerusalem steht für das Ende und den Neuanfang, für Kreuz und Auferstehung, für Schmerz und Freude, für Schuld und Vergebung, für Verzweiflung und Hoffnung der Jesusbewegung.
Bis heute heisst Zeuge für Jesus zu sein, den Gang durchs dunkle Tal mitzugehen, nicht zu fliehen, hierzubleiben und zu wachen – und dann die Kehrtwende im Nullpunkt zu erleben. Das ist bis heute kein leichter Gang. Ohne den Heiligen Geist schafft das niemand.

Von: Ralph Kunz

10. Oktober

Ich hatte dich gepflanzt als einen edlen Weinstock, ein ganz echtes Gewächs. Wie bist du mir denn geworden zu einem schlechten, wilden Weinstock? Jeremia 2,21

In unserem Garten steht ein Quittenbaum. Im Frühling blüht er jeweils wunderbar, und im Sommer sollten die Früchte reifen. Aber entweder bleiben die Quitten hart und grün oder sie faulen am Baum. Der Gärtner hatte uns einen edlen Quittenbaum versprochen, bekommen haben wir einen schlechten! Was machen? Ich habe im Familienrat dafür plädiert, den Baum zu fällen. Schliesslich hatte er sieben Jahre lang Zeit, uns seine Quitten für das beste Gelee der Welt zu liefern –
und blieb fruchtlos. Jetzt sind wir quitt. Andere Familienmitglieder sind gnädiger und geduldiger, fast hätte ich gesagt edler. Wir kaufen weiterhin das feine Quittengelee unserer Lieblingsmarke im Laden, und der Baum lebt weiter.
Im Jeremiawort geht es um einen Weinstock – ein Bild für das erwählte Volk. Die Erwählung hat nichts gefruchtet. Es gibt (brutale) Gerichtsansagen, die eine Verwüstung des Weinbergs androhen, Stimmen im göttlichen Rat, die für einen Abbruch der Beziehung plädieren. Aber es gibt Gott sei Dank auch eine Stimme, die gnädig, gütig und geduldig ist. Sie sagt: «Ich bin der Weinstock!» Und sie sagt auch: «Wenn jemand in mir bleibt und ich in ihm bleibe, trägt er reiche Frucht.» (Johannes 15,15) – Echt edel!

Von: Ralph Kunz

11. September

Ich bin der HERR. Was ich rede, das soll geschehen
und sich nicht lange hinausziehen.
Hesekiel 12,25

Von Erich Kästner gibt es den schönen Aphorismus mit dem Titel «Moral», der eine Mahnung an Sprücheklopfer enthält, die nur reden, aber nicht handeln: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.» Das Wort des Propheten verspricht, dass Gott tut, was Gott sagt – und dann erst noch schnell. Gott macht keine leeren Versprechungen, Gott ist tatkräftig und erst noch effizient. Was Gott redet, wird bald geschehen, keine Terminprobleme und keine Verzögerungen!
Jesus nimmt den Ball auf und kündigt an, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist (Markus 1,15). Nun ist das so eine Sache mit dieser «Nähe». Klopfen wir den Spruch! Gott hat viel versprochen und noch ist nicht alles eingetroffen. Es zieht sich schon sehr lange hin, und den Himmel auf Erden haben wir noch nicht. Ich denke an das Leid und an das Elend in der Welt. Muss das noch einmal zweitausend Jahre so weitergehen? Nein, denke ich, muss es nicht, und weiss auch nicht, wie lange «nicht lange» dauert.
Aber eines weiss ich. Wenn wir beten «dein Wille geschehe», nimmt uns das in Anspruch. Gott wartet auf unsere Bereitschaft zur Vergebung, unsere Nächstenliebe.
Es gibt nichts Gutes, ausser es tut sich etwas unter uns. Ich stelle mich also besser auf einen längeren Prozess ein und bin froh, hat Gott Geduld und macht nicht kurzen Prozess mit uns.

Von: Ralph Kunz

10. September

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Römer 8,38–39

Es bricht regelrecht aus Paulus heraus, so begeistert ist er von der Liebe Gottes in Christus. Sein hymnisches Lob hat eine kosmische Weite. Alle Mächte werden aufgezählt, die uns von der Liebe scheiden könnten. Aber sie sind machtlos gegen die Übermacht der göttlichen Liebe. Einzig und allein, weil sie in Christus Jesus befestigt ist!
Etwas Gewisseres vermag Paulus nicht zu denken und etwas Grösseres nicht aufzubieten. Die Liebe, die Christus Jesus ist, ist das Herz der Schöpfung, Quelle alles Seienden, Anfang und Ende aller Kreatur und darum ewigwährend, unzerstörbar, alles überbietend, alles überwindend – auch den Tod und selbst die herrenlosen Mächte, die uns jetzt noch das Leben schwer machen.
Ich will es gerne glauben, auch wenn ich gewiss bin, dass weder Saulus noch Paulus Übermenschen waren. Auch Paulus kannte Momente der Anfechtung, in denen sich ein Spalt des Zweifels auftat. Er würde erst recht darauf beharren, dass es die Liebe Gottes ist, der wir vertrauen. Selbst wenn wir zweifeln. Denn die Treue Gottes ist grösser als unsere Untreue!

Von: Ralph Kunz

11. August

Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Joel 3,5

«In Gottes Namen» ist eine Floskel, ein Stossseufzer, der Schicksalsergebenheit ausdrückt. Begleitet vom Bekenntnis: «Es ist so, wie es ist.» Wenn es schlimm kommt, folgt vielleicht ein «um Gottes willen!».
So oder so – wer geistlos von Gott daherredet, verspricht sich nicht viel von seinem Namen. Der Prophet gibt denen, die den Namen Gottes anrufen, ein ganz anderes Versprechen. Wer ihn ruft, wird gerettet! Was gibt uns die Zuversicht, dass es kein leeres Versprechen ist? Es hört sich ein klitzeklein wenig nach Magie an, nach Simsalabim oder sonst einem Zauberwort. Und ist da nicht das harte Wort Jesu, «dass nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! in das Reich der Himmel eingehen wird, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut» (Matthäus 7,21).
Nein, Joel verspricht nicht Magie, sondern Pneumatologie! Es heisst: «Ich will meinen Geist ausgiessen über alles Fleisch.» (Joel 3,1) Wer den Geist hat, ruft Gott, und wer Gott ruft, bekommt den Geist. Und der Name? Der bürgt dafür. Gott heisst nicht «es ist, wie es ist», sondern «ich bin, der ich bin» (Exodus 3,14). Der Name ist nicht Schall und Rauch, Gott ist nicht anonym, kein Es, sondern Du. Im Namensanruf wird Gott gegenwärtig. Und wenn ich daran zweifle? Dann halte ich mich an den, der im Namen Gottes verspricht, dass der Vater im Himmel denen den Heiligen Geist schenken wird, die ihn darum bitten (Lukas 11,13). Amen!

Von: Ralph Kunz

10.August

Der HERR segne dich und behüte dich. 4. Mose 6,24

Am Ende des Gottesdienstes empfängt die Gemeinde den Segen Gottes mittels einer Sprechhandlung, die mehr verspricht, als Menschen halten können: Schutz, Lebenskraft und Frieden! Mit dem Zuspruch kommt das Bild der göttlichen Zuwendung. Im aaronitischen Segen ist es das göttliche Angesicht, das über mir aufleuchtet und mich anstrahlt wie die Sonne. Aus der göttlichen Quelle fliesst es in mich hinein –
das göttliche Licht, das mich stark macht, lebendig und friedfertig. Und sättigt! Segen ist für mich auch ein Lebensmittel. Er nährt die Seele. Und unsere Seelen sind gefrässig.
Manchmal holen wir uns einen falschen Segen – hängen an der Flasche oder einem anderen Laster, das uns mehr nimmt als gibt. In seinen wunderbar gewitzten «Dienstanweisungen für einen Unterteufel» beschreibt C. S. Lewis das Gegenteil der göttlichen Segenskraft als ein Saugen, das uns leer macht. «Für uns», meint der Oberteufel, «bedeutet der Mensch hauptsächlich ein Nahrungsmittel; wir bezwecken, seinen Willen vollständig aufzusaugen in unseren Willen … Wir brauchen Vieh, das schliesslich zum Frass wird. Gott sucht Diener, die zuletzt zu Töchtern und Söhnen werden. Wir saugen sie aus. Er gibt sich her. Wir sind leer und wollen uns füllen. Gott besitzt die Fülle und fliesst über.»
Heute ist der Tag des Überfliessens, lassen Sie sich eine doppelte Ration Segen geben! Meinen haben Sie schon.

Von: Ralph Kunz

11. Juli

HERR, wenn ich an deine ewigen Ordnungen denke,
so werde ich getröstet.
Psalm 119,52

Der Psalmist erfährt Trost, wenn er an die ewigen Ordnungen
Gottes denkt. Gemeint sind die Gebote und Weisungen
der Tora. Sie sind denen, die sich daran halten, «ein
Licht auf dem Weg» und Quelle der Zuversicht. Der Psalmist
wird nicht müde, seine Freude darüber auszudrücken.
Ein wenig irritiert es den protestantischen Freiheitsliebhaber,
der die ewige Unordnung auf seinem Schreibtisch
betrachtet. Warum ist die Ordnung so wichtig? Weil es das
ist, was den Betern von Gott geblieben war, als weit und
breit keine Schlachtopfer oder Chöre für die religiöse Versorgung
bereitstanden. Im Exil hatte die Metzgerei geschlossen.
Darum das überschwängliche Lob des Wortes. Psalm 119 ist
nicht nur der längste aller Psalmen im Psalter. Was hier von
A bis Z durchbuchstabiert wird, ist ein trotziges Bekenntnis
zum Wort. Im Trost ist auch ein Trotz. Ist Gott noch im Regiment?
Es sieht nicht so aus. Andere blasen sich auf. Aber das
Gottesvolk hat die Erinnerung an das Ursprungswort und
hält sich an das Versprechen seiner kommenden Herrschaft.
Sich an der Erinnerung festhalten und auf die Zukunft ausrichten
öffnet den Glauben für die Gegenwart des Ewigen.
Aufgespannt und gehalten vom Wort, wächst die Hoffnung.
Ohne seinen Trost läuft der Trotz ins Leere und ohne das
tägliche Trotzen gegen die falschen Herrschaften wird der
Trost zur Vertröstung.

Von: Ralph Kunz

10. Juli

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und
mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm
kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Johannes 14,23

«Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst
und nicht der Welt?» So fragt Judas. Der heutige Lehrtext
zitiert die Antwort Jesu. Sie ist einfach zu verstehen. Jesus
spricht zu denen, die ihn lieben. Dass er sie liebt, wissen
sie. Er wäscht ihnen die Füsse (Johannes 13,1–17), nennt sie
Freunde (Johannes 15,15). Aber lieben sie ihn? Liebt Judas
ihn? Eigentlich ist es seltsam, wie Jesus antwortet. «Wer mich
liebt, hält sich an mein Wort.» Die Umkehrung würde mehr
Sinn machen. Wer sein Wort hält, der wird von ihm geliebt.
Wer tut, was er sagt, findet Gnade. Die Umkehrung verschiebt
etwas, rückt die Beziehung in den Vordergrund. Ist
das die Antwort, auf die Judas hofft? Vielleicht hat er etwas
Pompöseres, ein Machtwort, eine Demonstration der göttlichen
Herrlichkeit erwartet, die alle überzeugt? Und jetzt
beharrt Jesus auf die Liebe zu ihm und verspricht die Liebe
des Vaters, die durch ihn kommt und als Geist einwohnt.
Die Liebe ist das Entscheidende. Jetzt sollen seine Freunde
verstehen, was die Welt nicht verstehen kann. Die Offenbarung
des Christus für die Welt folgt – aber nicht so, wie es
sich Judas vorgestellt hat. Das Kreuz ist der Beweis der Liebe
Jesu zum Vater. Er hält sich an sein Wort. Und später wird er
Petrus fragen: «Liebst du mich?» Vielleicht dachte Jesus an
Judas. Ich glaube, er hätte Ja gesagt.

Von: Ralph Kunz

11. Juni

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN,
deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun.
2.Mose 20,9.10

Ich muss gestehen, dass ich das Sabbatgebot, wenn ich es
wortwörtlich verstehe, nicht einhalte. Aber ich habe deswegen
kein schlechtes Gewissen. Das hat zum einen mit meinem
Beruf als Theologe zu tun, der in Gottes Namen auch
Sonntagsarbeit bedeutet. Überhaupt ist das so eine Sache
mit diesen Zeiten. Ich vermute, dass viele pensionierte Menschen
die Regel nicht strikte befolgen. Wer im reichen Norden
lebt, kann sich im Alter den Ruhestand leisten. Der
biblische Text stammt aus einer Kultur, die weder Ferien
noch Pensionierung kannte. Das Sabbatgebot passt nicht
mehr zu unserem modernen Verständnis von Arbeitszeit
und Freizeit. Und doch ist etwas dran am alten Rhythmus
von Schaffen und Ruhe. Es geht tiefer als unsere Life-Work-
Balance. Es geht um eine Freiheit, die wir uns gönnen sollten.
Damit wir nicht Sklaven der eigenen Betriebsamkeit werden.
Damit wir Konsum, Hobbys und Sport nicht wie goldene
Kälber anbeten. Positiv gewendet: «Gönn dir einen Tag in
der Woche, an dem du dich von ganzem Herzen, mit ganzer
Hingabe, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand
Gott widmest.»


Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum
Besten dienen. (Römer 8,28)

Von: Ralph Kunz

10. Juni

Paulus schreibt: Der Herr stand mir bei und gab
mir Kraft. Denn die Verkündigung seiner Botschaft
sollte durch mich ihr Ziel erreichen: Alle Völker
sollten sie hören. Und ich wurde aus dem Rachen
des Löwen gerettet.
2. Timotheus 4,17

Die Heidenmission hat einen schlechten Ruf, schon das Wort
«Heiden» einen üblen Beiklang. Dabei bedeutet «Mission»
nichts anderes als Sendung und «Heiden» nichts anderes als
Völker. Gemeint sind alle Völker, die sich nicht zum Gottesvolk
zählen und andere Götter verehren. Sie, die vom Evangelium
noch nichts vernommen haben, sollen die Botschaft
ihrer Befreiung hören. Woher der schlechte Ruf? Dieser hat
weniger mit der Botschaft als mit dem Auftritt der Botschafter
in der Zeit des Kolonialismus zu tun. Sie brachten
mit dem Evangelium auch ihre Kultur und Sprache und das
Bewusstsein der überlegenen Eroberer mit.
Die postkoloniale Missionstheologie weiss um das geschehene
Unrecht. Was bei einer kritischen Musterung der biblischen
Ursprungstexte auffällt: Wenn der Völkerapostel von
seiner Mission spricht, ist sein pharisäisches Erbe, sein Status
als römischer Bürger oder seine Nationalität kein Thema. Er
spricht von der Ablehnung, die er erdulden, dem Hass, den
er erfahren und den Schlägen, die er einstecken musste –
und von der Kraft zum Aushalten, die ihm verliehen wurde.
Es gibt keinen einzigen Text im Neuen Testament, der eine
koloniale Mission stützen würde. Und wenn es einen gäbe,
gehörte er in den Rachen des Löwen.

Von: Ralph Kunz