Autor: Benedict Schubert

25. Januar

Der HERR wird sich wieder über dich freuen, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat. 5. Mose 30,9

Das Deuteronomium («Zweites Gesetz»), das 5. Buch Mose, endet damit, dass der Ewige seinem Volk erneut darlegt, wie der Bund aussehen soll, in den Israel eingeladen und aufgenommen ist. Es ist kein Bund zwischen zwei ebenbürtigen Partnern. Der Grössenunterschied ist im Gegenteil so gewaltig, dass er nur durch Liebe und Treue überbrückt werden kann. Die Weisungen darin sind ein Geschenk, das Gott seinem Volk macht. Der Erfinder und Schöpfer des Lebens zeigt den Seinen, wie dieses Leben so gelebt werden kann, dass es für alle gut und schön ist.
Eingebaut in die Weisungen ist die Ansage, wie Gott damit umgehen will und wird, wenn sein Volk den Bund nicht hält, die Beziehung vernachlässigt, die eigentlich von Liebe und Vertrauen geprägt sein sollte. Gott weiss, dass sein Volk, dass wir zu Misstrauen neigen, zu Selbstüberschätzung, zu Unklarheit, zu Gedankenlosigkeit, zu Lieblosigkeit und zu Angst. Darum gibt Gott uns im Bund die Möglichkeit, umzukehren, uns zu besinnen, Abwege aufzugeben, dem Nebel von Lüge und Täuschung zu entrinnen. Wir können jederzeit wieder zur Besinnung kommen, uns auf Gott hin ausrichten. Die heutige Losung sagt, wie Gott dann reagiert. Jesus wird es im Gleichnis beschreiben, wo der Vater dem verlorenen Sohn entgegeneilt und ihn umarmt.

Von: Benedict Schubert

24. Januar

Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Jona 2,9

Zwei Grundwörter werden als schroffe Alternativen einander gegenübergestellt. Hier das «Nichtige», dort die «Gnade».
Hier der flüchtige Windhauch, ohne jegliche Substanz. Du kriegst ihn nicht zu fassen; er entzieht sich dir andauernd. Einen Moment lang mag dich bezaubernde Schönheit betören – wie wenn du eine Kerze ausbläst und es steigt eine zarte Rauchskulptur auf, doch im Nu hat sie sich aufgelöst.
Dort die ungeschuldete Solidarität, die grosszügige Zuwendung, mit der du nicht rechnen konntest, weil es eigentlich keinen Grund gab, du kein Recht darauf gehabt hättest. Das Wort «Huld» ist nicht mehr in Gebrauch; früher bot es sich zur Übersetzung an, wo in der Losung heute «Gnade» steht.
Wenn ich die Rauchfahne anschaue, wenn ich meinen Fokus auf das richte, was sich verflüchtigt, dann verpasse ich das, was mir im Leben Halt gäbe. Ich verpasse das, was mich mit dem zurechtkommen lässt, was schiefgelaufen ist und was ich habe schieflaufen lassen, weil es mir einen Neuanfang eröffnet.
Zugegeben, mit solchen Gegenüberstellungen ist im Glauben viel Druck ausgeübt worden. Aber es gibt Momente, da müssen wir uns klar entscheiden zwischen dem, was nichts ist, und Gott, der sich uns zuwendet und uns hält. Davon jedenfalls weiss Jona im Fischbauch sein Lied zu singen.

Von: Benedict Schubert

28. Dezember

Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem HERRN,
und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat.

Sprüche 19,17

Wir sprechen lieber von «Solidarität» und von «Partnerschaft
» als von «Barmherzigkeit». Ich bin den kirchlichen
Werken, die die Solidarität international pflegen, lange
genug verbunden, um das zu verstehen und zu begründen.
Ich übersehe aber auch nicht, dass wir uns damit neue
Fragen eingehandelt haben, zum Beispiel diese: Können wir
uns der Armen noch erbarmen, ohne von ihnen zu fordern,
dass sie – immer nach unseren Vorgaben – Projekte konzipieren,
umsetzen und dann darüber abrechnen?
Unser Losungswort eröffnet eine andere Perspektive. Es
geht von dem aus, was Jesus in seinem Gleichnis vom Weltgericht
ausdrücklich formuliert: Im Armen begegnen wir
Gott selbst. Und daraus zieht die Losung den überraschenden
Schluss: Wenn wir uns der Armen erbarmen, wenn wir
ihnen Zeit schenken oder Geld, ein Hemd oder ein Bett
zum Übernachten, dann tun wir das nicht «à fonds perdu».
Wir werden es nicht einfach weggegeben, losgelassen und
damit aufgegeben haben. Schmerzlichen Verzicht müssen
wir nicht üben.
Denn was wir den Armen gegeben haben, haben wir in
ihnen Gott selbst geliehen. Es ist bei Gott gut aufgehoben;
wir kommen nicht zu kurz. Grosszügig barmherziges Leben
ist in Gott «Leben in Fülle».

Von: Benedict Schubert

27. Dezember

Aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.
Psalm 98,3

Nicht nur aufbewahrt und überliefert hat das Gottesvolk
den geistgewirkten Widerspruch gegen den Augenschein,
sondern gefeiert und gesungen. Später wird der unbekannte
Verfasser des Hebräerbriefs definieren, glauben heisse festhalten,
sich einlassen auf das, was wir eben nicht sehen.
Die unmittelbare Reaktion, wenn wir das heutige Losungswort
lesen, mag Unglaube sein, verärgerte Verwunderung:
Nein! Wir sehen nicht das Heil unseres Gottes! Wir
müssen uns im Gegenteil an allen Ecken und Enden das
Unheil anschauen, das Menschen über Menschen bringen,
das Elend, das als böser Zufall über Menschen kommt, das
Unglück, das sie als finsterer Schicksalsschlag trifft!
Dem Augenschein widersprechen und damit der Verzweiflung
widerstehen kann indessen die von Gottes Geist eröffnete
Sicht auf die tiefere Wirklichkeit, von der die Psalmen
singen. Ihre therapeutische Wirkung entfalten sie selten
beim ersten Hören oder Singen. Wiederholungen lassen sie
einsinken. Verse, die wir auswendig kennen, «par coeur»,
wie es auf Französisch so wunderbar heisst – sie heilen und
beleben Herz und Seele, Geist und Leib.
Meine Empfehlung an jene, die mit dem heutigen Losungswort
nichts anfangen können, weil es ihnen so realitätsfremd
vorkommt, ist also: Wiederhole das Wort – am besten
singend – so lange, bis du es glaubst. Zu deinem Glück.

Von: Benedict Schubert

7. Dezember

Der HERR sprach zu Kain: Was hast du getan?
Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu
mir von der Erde.
1. Mose 4,10

Aus der einen Stimme von Abels Blut ist ein unermesslich
grosser Chor von Stimmen geworden von Blut von Schwestern
und Brüdern, die ums Leben gebracht wurden und
werden, weil solche wie Kain sich zurückgesetzt fühlen und
deshalb ausser sich geraten.
Kain – sein Name bedeutet «Besitz» oder «Krieger» – war
es gewohnt, an erster Stelle zu kommen, der Stolz seiner
Eltern, der Erstgeborene. Doch bei Gott sind Letzte Erste.
Gott schaut zuerst Abel an, den «Windhauch» und «Flüchtigkeit
» genannten, der immer der Zweite bleibt, und Kain
erträgt das nicht. Denn für ihn wird damit eine Rangordnung
gestört, die er für natürlich, ja gottgegeben hält. Kommt
er tatsächlich zu kurz, weil er nicht das gewohnte Privileg
geniesst? Das spielt bekanntlich nie eine Rolle, wo Menschen
meinen, sie kämen zu kurz, und deshalb gewalttätig werden.
Manche erinnern sich: Auf einem der ersten «Hungertücher
» aus Äthiopien wird ein Zeuge des Verbrechens
gezeigt. Er sitzt daneben, schaut aber nicht hin, als Kain den
Abel erschlägt, sondern wendet sich von der Gewalttat ab.
Seine Augen sind dieselben wie die von Kain.
Gott hört die Stimme des Blutes, das vergossen wird. Gott
schaut nicht weg, sondern fragt: Was hast du getan?

Von: Benedict Schubert

28. Oktober

Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen. Psalm 16,10

Da ist einer, da ist eine gewiss, dass Gott unser Leben will, schützt und fördert und dass Gott uns deshalb nicht dem Tod und dem Nichts überlässt, sondern bei sich, im Leben,
in der Liebe birgt. – Wie kommt er dazu? Wie findet eine heraus aus dem Zwielicht des Zweifels und der ständigen Ungewissheit in ein solches Vertrauen, das nicht einmal mehr vor dem Tod Angst hat?
Psalm 16 ist der Psalm von Menschen, die den Grundentscheid gefällt haben, sich auf Gott und nur auf Gott zu verlassen. Sie haben beobachtet, wie es jenen geht, die sich auf Gott verlassen, und was umgekehrt das Schicksal derer ist, die «fremden Göttern» vertrauen. Das hat sie zum Schluss kommen lassen: «Mein ganzes Glück finde ich beim Ewigen, nur bei Ihm.»
Nun machen sie die entsprechenden Erfahrungen. Ich vermute, dass ihr Leben ab diesem Zeitpunkt dennoch kein gemütlicher Spaziergang auf ebenem, von der Sonne beschienenem Weg ist. Es ist aber ein Lebensweg, auf dem das Vertrauen sich bestätigt, die Liebe wieder und wieder erlebt wird.
Der Psalm dankt für Gutes, das von Gott kommt. Und er berichtet davon, wie die Betenden ihrerseits dieses Vertrauensverhältnis pflegen: in lebendiger Kommunikation, sogar in schlaflosen Nächten. Das trägt und bleibt über den Tod hinaus.

Von: Benedict Schubert

27. Oktober

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott,
der HERR ist einer.
5. Mose 6,4

Dieses «Schma Israel!» ist das Grundbekenntnis Israels. Es ist auch das Grundbekenntnis des Messias. In unserer «Multioptionsgesellschaft» ist es ein radikales Fremdwort. Wir wollen und sollen immer möglichst viele Optionen offenhalten. Das wirkt sich auch auf unseren Glauben aus. Schon vor Jahren wurde die Frömmigkeit von Frau und Herrn Schweizer als «bricolage du croire» bezeichnet.
Eine vielfältige, aus möglichst exotischen Elementen zusammengebastelte Spiritualität ist im Trend. Wie sperrig und simpel, man muss sogar sagen «stur», wirkt da diese Betonung einer kompromisslosen Exklusivität.
Mir selbst wird gerne attestiert, ich hätte ein «vermittelndes Wesen». Deshalb liegen mir klare «Entweder-oder-Entscheidungen
» eher fern. Ich weiss überdies, dass Israel selbst dieses «Schma Israel!» im Lauf seiner Geschichte manchmal sehr exklusiv, dann wieder sehr offen und inklusiv verstanden hat. Das verlockt mich zu denken, wir sollten doch alles nicht allzu eng sehen.
Bis mich unbequem, irritierend, herausfordernd dieses strenge «Höre, Israel!» trifft und aufweckt. Es lässt mich hoffen und bitten, dass Gottes Geist mich die Momente nicht verpassen lässt, in denen das klare Bekenntnis, die eindeutige Entscheidung gefordert sind, wenn ich die Liebe nicht verraten will.

Von: Benedict Schubert

7. Oktober

Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen,
so hilf doch um deines Namens willen!
Jeremia 14,7

Nicht als willkürliches Geschick erlebt und deutet das Gottesvolk die grosse Dürre, unter der das Land und die Menschen leiden. Israel sieht das Elend als etwas, das es selbst auf sich gezogen hat. Die Not komme über Israel, weil es den Weg Gottes und die Weisungen des Ewigen verlassen hat. Und so ist die Trockenheit für Israel beides: eine berechtigte Anklage und Grund zur Klage. Beides legt Jeremia Gott vor. Der Prophet erlebt den Ewigen als schweigend und fern, weil er dem Unheil seinen Lauf lässt. Doch er hält Gott vor: Du bist doch Israels Gott und Retter, du musst es sein. Hilf uns nicht, weil wir wir sind, aber weil du du bist!
Darf und kann ich ein Wort aus jener grossen, dramatischen Zeit auf mein kleines Leben, meine privaten Dramen beziehen? Vielleicht so: Was ich unbedacht gesagt habe, holt mich jetzt ein. Ich erkenne mit Schrecken die Folgen dessen, was ich lieblos getan habe. Mein Freund wirft mir zu Recht vor, ich hätte ihn durch meine Gedankenlosigkeit verletzt. Meine Nachbarin stellt bitter fest, mein Entscheid bringe sie in eine verzwickte Lage. So «verklagen mich meine Sünden» –
und ich wüsste nicht, wie ich es wiedergutmachen könnte.
Ausser Gott hilft mir, beschenkt mich gnädig mit der Geistkraft, die das Unmögliche möglich macht.

Von: Benedict Schubert

28. August

So richtet nun euer Herz und euren Sinn darauf,
den HERRN, euren Gott, zu suchen.
1. Chronik 22,19

Wenn es bloss so einfach wäre, Herz und Sinn auf etwas
zu richten! Schon der Prophet wusste, dass das Herz «ein
trotzig und verzagt Ding» ist. Und in der Flut von Sinneseindrücken
– wie soll es mir da gelingen, meinen Sinn nicht
ablenken zu lassen, sondern mich zu konzentrieren, mich auf
die Mitte hin auszurichten?
In den Chronikbüchern wird David als der König Israels
dargestellt, der in allen Stücken Gottes Weisung befolgt und
Gottes Ehre sucht. Deswegen muss auch er es sein, der den
Tempelbau in die Wege leitet, den Standort festlegt, die
Pläne zeichnen lässt und die Finanzen besorgt. Salomo soll
bloss ausführen, was David begründet hat. Unsere Losung
ist der Abschluss von Davids grosser Ermahnung an Salomo.
David wendet sich an die «Oberen Israels» mit diesem Aufruf,
die Gottsuche zuoberst auf die Prioritätenliste zu setzen
und deswegen schliesslich den Tempel zu bauen.
Wer immer über die Jahrhunderte Gott gesucht hat, weiss:
Weil das Herz sich oft widerspenstig zeigt und der Sinn sich
so leicht in Zerstreuungen ablenken lässt, brauchen wir für
Gott geheiligte Orte in Raum und Zeit. Die können unterschiedlich
aussehen.
Wenn sie es uns bloss etwas leichter machen, unser Herz
und unseren Sinn immer wieder auf Gott auszurichten!
Denn von Gott kommt Licht, kommt Orientierung.

Von: Benedict Schubert

27. August

Die Befehle des HERRN sind richtig und
erfreuen das Herz.
Psalm 19,9

Es ist eher unüblich, «Befehl» und «erfreuen» miteinander
zu verbinden und so direkt aufeinander zu beziehen, wie der
Psalmvers es tut. Die Zeiten, in denen man mit bolzengeradem
Rücken von den «Freuden der Pflicht» sprach, sind
glücklicherweise vorbei. Können und wollen wir dem Psalmisten
zustimmen und dankbar einstimmen in sein Loblied
der Weisungen des Ewigen?
Ich glaube, der entscheidende Punkt liegt darin: Die Freude
im Herzen entspringt eher nicht im Moment, in dem wir
Gottes Weisung hören, sondern sie stellt sich ein im Mass,
wie wir uns darin üben, die Weisung in unserem Leben zu
verfolgen. Sportlerinnen würden mir wohl zustimmen. Die
Anweisung zu dieser oder jener Trainingseinheit lässt noch
nicht die Freude aufkommen, die sich aber dann einstellt,
wenn der Lauf siegreich absolviert ist. Mir liegt der Vergleich
mit der Musik näher: Ich hätte Freude am Klavierspiel
und wäre nicht frustriert über mein Geklimper, wenn mein
Klavierlehrer damals strenger gewesen wäre und ich seine
freundlichen Anweisungen besser befolgt hätte.
Oder anders: Es ist eine Zumutung für unseren Anspruch
auf Autonomie, auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung,
uns sagen zu lassen, dass Gott besser weiss als wir,
wie Leben geht. Doch das zu glauben und sich darauf einzulassen,
macht Freude.

Von: Benedict Schubert