Autor: Benedict Schubert

25. März

Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel
zu seinen Zeiten; er wandelte mit Gott.
1. Mose 6,9

Manchmal bezeichne ich mich gerne selbst als «fromm». Mir ist klar, dass das etwas befremdlich wirken kann, aber es lässt eher aufhorchen, als wenn ich mich «religiös» oder «spirituell» nennen würde. «Fromm» – damit ordne ich mich unverschämt in die christliche Tradition ein und bekenne mich zur Kirche.
Legt mir die Losung nahe, mir darin Noah zum Vorbild zu nehmen? Wie Noah will ich mit Gott wandeln. Gott hält in Bewegung, ruft zum Aufbruch, bewahrt uns davor, uns festzufahren in Positionen und festzulegen auf Standpunkte. Was zu Noahs Zeiten war und galt, muss zu unseren Zeiten nicht gleich sein und gelten. Manches, was er für gut und richtig, für wahr und fromm hielt, ist zum Glück überholt. Wie Noah will ich indessen aufmerksam auf die Zeichen und Weisungen Gottes für unsere Zeiten achten.
Will und kann ich zu diesen unseren Zeiten tadellos leben? Ja, wenn damit gemeint ist, dass ich nicht rücksichtslos sein will, nicht meine Interessen über alles stellen, sondern dass ich respektvoll, offen, bescheiden und in der Bereitschaft, meine Grenzen und Fehler anzuerkennen, Liebe üben will.
Kein Interesse habe ich übrigens daran, mich mit ein paar wenigen in einen Kasten einzuschliessen und den Rest der Welt untergehen zu lassen. Das erwartet Gott zum Glück auch nicht mehr von uns.

Von: Benedict Schubert

24. März

Es ist der HERR; er tue, was ihm wohlgefällt. 1. Samuel 3,18

In der Nacht hört Samuel die Stimme Gottes. Gott muss drei Mal rufen, bis Samuel begreift: Gott ruft mich. Der erste Auftrag des Ewigen für Samuel ist eine Zumutung: Er soll Eli, dem alten Propheten, ankündigen, dass Gott sein Haus für immer richten werde. Und das heisst: Sie werden alles verlieren, auch das Leben. Kein Wunder, hat Samuel Angst, seinem Ziehvater und Lehrmeister dieses Gotteswort auszurichten. Erst auf Drängen Elis rapportiert er die nächtliche Weisung des Ewigen – und unsere Losung ist das Wort, mit dem Eli darauf antwortet. Eli akzeptiert den Schuldspruch, nimmt, was geschehen soll, als gerechte Strafe auf sich.
Dass Gott uns strafen will, im ärgsten Fall sogar ums Leben bringen, können und wollen wir uns nicht vorstellen. Wir halten uns an das Prophetenwort des Jesaja, dass unsere Strafe auf ihm liegt. Mit den Evangelisten verlassen wir uns darauf, dass Er Jesus Christus ist. Und mit Paulus glauben wir, dass in ihm Gott radikal und vorbehaltlos für uns ist.
In der dritten Bitte des Unservaters – «Dein Wille geschehe!» – vernehmen wir aber dennoch ein Echo auf das Wort Elis. Und wir versuchen, die Bitte auch dann mitzusprechen, wenn Gott uns etwas zumutet, das uns sinnlos vorkommt, das wir nicht verdient haben, das uns leiden lässt. Wir weigern uns zu glauben, dass die Finsternis stärker sei als das Licht.

Von: Benedict Schubert

25. Februar

Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Psalm 118,14

Diejenigen, die wissen, dass Gott das erste und das letzte Wort hat, müssen nicht mehr um die eigene Macht kämpfen. Diejenigen, die wissen, dass Menschsein zum Ziel hat, das Lob Gottes zu singen, halten sich zurück, wenn lauthals das Lob eines Volkes, einer Partei, einer Ideologie oder auch einer Konfession gesungen wird. Diejenigen, die wissen, dass von Gott her ihr Leben Sinn und Erfüllung bekommt, bilden sich nicht mehr ein, sie müssten ihr Glück selbst und dann oft auch auf Kosten anderer schmieden.
Psalm 118 ist eigentlich eine ganze Dankliturgie, im Wechsel von Einzelstimmen und Gemeinde zu singen. Der heutige Losungsvers steht ziemlich genau in seiner Mitte als Einladung an jeden und jede, sich dieses Bekenntnis zu eigen zu machen. Im Psalter, aus dem ich immer wieder singe, ist übersetzt: «Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden.» Ich bin mir bewusst: Wenn ich das mitsinge, bedeutet das nicht, dass mein Leben einfacher, harmloser, bequemer wird. Unmittelbar vor diesem Vers ist zum Beispiel von lästigen Gegnern die Rede, die uns wie Wespen umschwirren. Doch singend wird mein Vertrauen gestärkt, dass mir eigentlich nichts passieren kann, weil «Gott im Regimente sitzt».

Von: Benedict Schubert

25. Januar

Der HERR wird sich wieder über dich freuen, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat. 5. Mose 30,9

Das Deuteronomium («Zweites Gesetz»), das 5. Buch Mose, endet damit, dass der Ewige seinem Volk erneut darlegt, wie der Bund aussehen soll, in den Israel eingeladen und aufgenommen ist. Es ist kein Bund zwischen zwei ebenbürtigen Partnern. Der Grössenunterschied ist im Gegenteil so gewaltig, dass er nur durch Liebe und Treue überbrückt werden kann. Die Weisungen darin sind ein Geschenk, das Gott seinem Volk macht. Der Erfinder und Schöpfer des Lebens zeigt den Seinen, wie dieses Leben so gelebt werden kann, dass es für alle gut und schön ist.
Eingebaut in die Weisungen ist die Ansage, wie Gott damit umgehen will und wird, wenn sein Volk den Bund nicht hält, die Beziehung vernachlässigt, die eigentlich von Liebe und Vertrauen geprägt sein sollte. Gott weiss, dass sein Volk, dass wir zu Misstrauen neigen, zu Selbstüberschätzung, zu Unklarheit, zu Gedankenlosigkeit, zu Lieblosigkeit und zu Angst. Darum gibt Gott uns im Bund die Möglichkeit, umzukehren, uns zu besinnen, Abwege aufzugeben, dem Nebel von Lüge und Täuschung zu entrinnen. Wir können jederzeit wieder zur Besinnung kommen, uns auf Gott hin ausrichten. Die heutige Losung sagt, wie Gott dann reagiert. Jesus wird es im Gleichnis beschreiben, wo der Vater dem verlorenen Sohn entgegeneilt und ihn umarmt.

Von: Benedict Schubert

24. Januar

Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Jona 2,9

Zwei Grundwörter werden als schroffe Alternativen einander gegenübergestellt. Hier das «Nichtige», dort die «Gnade».
Hier der flüchtige Windhauch, ohne jegliche Substanz. Du kriegst ihn nicht zu fassen; er entzieht sich dir andauernd. Einen Moment lang mag dich bezaubernde Schönheit betören – wie wenn du eine Kerze ausbläst und es steigt eine zarte Rauchskulptur auf, doch im Nu hat sie sich aufgelöst.
Dort die ungeschuldete Solidarität, die grosszügige Zuwendung, mit der du nicht rechnen konntest, weil es eigentlich keinen Grund gab, du kein Recht darauf gehabt hättest. Das Wort «Huld» ist nicht mehr in Gebrauch; früher bot es sich zur Übersetzung an, wo in der Losung heute «Gnade» steht.
Wenn ich die Rauchfahne anschaue, wenn ich meinen Fokus auf das richte, was sich verflüchtigt, dann verpasse ich das, was mir im Leben Halt gäbe. Ich verpasse das, was mich mit dem zurechtkommen lässt, was schiefgelaufen ist und was ich habe schieflaufen lassen, weil es mir einen Neuanfang eröffnet.
Zugegeben, mit solchen Gegenüberstellungen ist im Glauben viel Druck ausgeübt worden. Aber es gibt Momente, da müssen wir uns klar entscheiden zwischen dem, was nichts ist, und Gott, der sich uns zuwendet und uns hält. Davon jedenfalls weiss Jona im Fischbauch sein Lied zu singen.

Von: Benedict Schubert

28. Dezember

Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem HERRN,
und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat.

Sprüche 19,17

Wir sprechen lieber von «Solidarität» und von «Partnerschaft
» als von «Barmherzigkeit». Ich bin den kirchlichen
Werken, die die Solidarität international pflegen, lange
genug verbunden, um das zu verstehen und zu begründen.
Ich übersehe aber auch nicht, dass wir uns damit neue
Fragen eingehandelt haben, zum Beispiel diese: Können wir
uns der Armen noch erbarmen, ohne von ihnen zu fordern,
dass sie – immer nach unseren Vorgaben – Projekte konzipieren,
umsetzen und dann darüber abrechnen?
Unser Losungswort eröffnet eine andere Perspektive. Es
geht von dem aus, was Jesus in seinem Gleichnis vom Weltgericht
ausdrücklich formuliert: Im Armen begegnen wir
Gott selbst. Und daraus zieht die Losung den überraschenden
Schluss: Wenn wir uns der Armen erbarmen, wenn wir
ihnen Zeit schenken oder Geld, ein Hemd oder ein Bett
zum Übernachten, dann tun wir das nicht «à fonds perdu».
Wir werden es nicht einfach weggegeben, losgelassen und
damit aufgegeben haben. Schmerzlichen Verzicht müssen
wir nicht üben.
Denn was wir den Armen gegeben haben, haben wir in
ihnen Gott selbst geliehen. Es ist bei Gott gut aufgehoben;
wir kommen nicht zu kurz. Grosszügig barmherziges Leben
ist in Gott «Leben in Fülle».

Von: Benedict Schubert

27. Dezember

Aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.
Psalm 98,3

Nicht nur aufbewahrt und überliefert hat das Gottesvolk
den geistgewirkten Widerspruch gegen den Augenschein,
sondern gefeiert und gesungen. Später wird der unbekannte
Verfasser des Hebräerbriefs definieren, glauben heisse festhalten,
sich einlassen auf das, was wir eben nicht sehen.
Die unmittelbare Reaktion, wenn wir das heutige Losungswort
lesen, mag Unglaube sein, verärgerte Verwunderung:
Nein! Wir sehen nicht das Heil unseres Gottes! Wir
müssen uns im Gegenteil an allen Ecken und Enden das
Unheil anschauen, das Menschen über Menschen bringen,
das Elend, das als böser Zufall über Menschen kommt, das
Unglück, das sie als finsterer Schicksalsschlag trifft!
Dem Augenschein widersprechen und damit der Verzweiflung
widerstehen kann indessen die von Gottes Geist eröffnete
Sicht auf die tiefere Wirklichkeit, von der die Psalmen
singen. Ihre therapeutische Wirkung entfalten sie selten
beim ersten Hören oder Singen. Wiederholungen lassen sie
einsinken. Verse, die wir auswendig kennen, «par coeur»,
wie es auf Französisch so wunderbar heisst – sie heilen und
beleben Herz und Seele, Geist und Leib.
Meine Empfehlung an jene, die mit dem heutigen Losungswort
nichts anfangen können, weil es ihnen so realitätsfremd
vorkommt, ist also: Wiederhole das Wort – am besten
singend – so lange, bis du es glaubst. Zu deinem Glück.

Von: Benedict Schubert

7. Dezember

Der HERR sprach zu Kain: Was hast du getan?
Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu
mir von der Erde.
1. Mose 4,10

Aus der einen Stimme von Abels Blut ist ein unermesslich
grosser Chor von Stimmen geworden von Blut von Schwestern
und Brüdern, die ums Leben gebracht wurden und
werden, weil solche wie Kain sich zurückgesetzt fühlen und
deshalb ausser sich geraten.
Kain – sein Name bedeutet «Besitz» oder «Krieger» – war
es gewohnt, an erster Stelle zu kommen, der Stolz seiner
Eltern, der Erstgeborene. Doch bei Gott sind Letzte Erste.
Gott schaut zuerst Abel an, den «Windhauch» und «Flüchtigkeit
» genannten, der immer der Zweite bleibt, und Kain
erträgt das nicht. Denn für ihn wird damit eine Rangordnung
gestört, die er für natürlich, ja gottgegeben hält. Kommt
er tatsächlich zu kurz, weil er nicht das gewohnte Privileg
geniesst? Das spielt bekanntlich nie eine Rolle, wo Menschen
meinen, sie kämen zu kurz, und deshalb gewalttätig werden.
Manche erinnern sich: Auf einem der ersten «Hungertücher
» aus Äthiopien wird ein Zeuge des Verbrechens
gezeigt. Er sitzt daneben, schaut aber nicht hin, als Kain den
Abel erschlägt, sondern wendet sich von der Gewalttat ab.
Seine Augen sind dieselben wie die von Kain.
Gott hört die Stimme des Blutes, das vergossen wird. Gott
schaut nicht weg, sondern fragt: Was hast du getan?

Von: Benedict Schubert

28. Oktober

Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen. Psalm 16,10

Da ist einer, da ist eine gewiss, dass Gott unser Leben will, schützt und fördert und dass Gott uns deshalb nicht dem Tod und dem Nichts überlässt, sondern bei sich, im Leben,
in der Liebe birgt. – Wie kommt er dazu? Wie findet eine heraus aus dem Zwielicht des Zweifels und der ständigen Ungewissheit in ein solches Vertrauen, das nicht einmal mehr vor dem Tod Angst hat?
Psalm 16 ist der Psalm von Menschen, die den Grundentscheid gefällt haben, sich auf Gott und nur auf Gott zu verlassen. Sie haben beobachtet, wie es jenen geht, die sich auf Gott verlassen, und was umgekehrt das Schicksal derer ist, die «fremden Göttern» vertrauen. Das hat sie zum Schluss kommen lassen: «Mein ganzes Glück finde ich beim Ewigen, nur bei Ihm.»
Nun machen sie die entsprechenden Erfahrungen. Ich vermute, dass ihr Leben ab diesem Zeitpunkt dennoch kein gemütlicher Spaziergang auf ebenem, von der Sonne beschienenem Weg ist. Es ist aber ein Lebensweg, auf dem das Vertrauen sich bestätigt, die Liebe wieder und wieder erlebt wird.
Der Psalm dankt für Gutes, das von Gott kommt. Und er berichtet davon, wie die Betenden ihrerseits dieses Vertrauensverhältnis pflegen: in lebendiger Kommunikation, sogar in schlaflosen Nächten. Das trägt und bleibt über den Tod hinaus.

Von: Benedict Schubert

27. Oktober

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott,
der HERR ist einer.
5. Mose 6,4

Dieses «Schma Israel!» ist das Grundbekenntnis Israels. Es ist auch das Grundbekenntnis des Messias. In unserer «Multioptionsgesellschaft» ist es ein radikales Fremdwort. Wir wollen und sollen immer möglichst viele Optionen offenhalten. Das wirkt sich auch auf unseren Glauben aus. Schon vor Jahren wurde die Frömmigkeit von Frau und Herrn Schweizer als «bricolage du croire» bezeichnet.
Eine vielfältige, aus möglichst exotischen Elementen zusammengebastelte Spiritualität ist im Trend. Wie sperrig und simpel, man muss sogar sagen «stur», wirkt da diese Betonung einer kompromisslosen Exklusivität.
Mir selbst wird gerne attestiert, ich hätte ein «vermittelndes Wesen». Deshalb liegen mir klare «Entweder-oder-Entscheidungen
» eher fern. Ich weiss überdies, dass Israel selbst dieses «Schma Israel!» im Lauf seiner Geschichte manchmal sehr exklusiv, dann wieder sehr offen und inklusiv verstanden hat. Das verlockt mich zu denken, wir sollten doch alles nicht allzu eng sehen.
Bis mich unbequem, irritierend, herausfordernd dieses strenge «Höre, Israel!» trifft und aufweckt. Es lässt mich hoffen und bitten, dass Gottes Geist mich die Momente nicht verpassen lässt, in denen das klare Bekenntnis, die eindeutige Entscheidung gefordert sind, wenn ich die Liebe nicht verraten will.

Von: Benedict Schubert